Damit stellt sich aber auch die Frage, wie sich Unternehmen in disruptiven Branchen aufstellen müssen, um die eigene Existenz dauerhaft abzusichern.
Managementvorbild Google
Speziell Google, oder besser: die Google Gründer Larry Page und Sergey Brin, werden zurzeit dafür gelobt, mit der Schaffung der Alphabet Holding den Konzern perfekt für die Zukunft aufgestellt zu haben. Laut Medienberichten soll dadurch sichergestellt werden, dass Google in Zukunft nicht in ähnliche Schwierigkeiten kommt wie einst IBM, Microsoft, Nokia oder gar Kodak.
Unter dem neuen Alphabet-Dach wird es Marken beziehungsweise Unternehmen wie Google, X-Lab, Sidewalk, Nest, Calico, Google Ventures oder Google Fiber geben. Starke Marken wie Android, YouTube oder Chrome bleiben direkt unter dem Marken- beziehungsweise Unternehmensdach Google. Dazu schrieb die WirtschaftsWoche (Ausgabe 34/2015) in ihrer Titelgeschichte: „Das Geschäftsmodell ist nicht mehr Web-Suche sondern Innovation.“ Mehr noch: „Was Google tut, wird zum Vorbild, weit über die Internet-Wirtschaft hinaus.“ Nur genau in dieser Fokussierung auf Innovation statt auf Suche liegt nicht nur die große Chance von Alphabet, sondern vor allem auch die große Gefahr.
Das Innovations-Dilemma
Als wichtige Gründe für Unternehmenskrisen werden immer wieder mangelnde oder zu späte Innovationen genannt. Sieht man sich jedoch Konzerne an, die durch disruptive Innovationen in echte Schwierigkeiten geraten sind, lag das in der Regel nie an der Menge der Innovationen, sondern immer an wenigen, oft sogar nur einer einzigen Schlüsselinnovation.
Der Niedergang von IBM als größtes Hardware-Computerunternehmen begann mit der Ära des Business-PCs. Noch heute wird IBM vielfach vorgeworfen, dass das Unternehmen zu spät in diesen Markt eingestiegen sei, was so nicht stimmt. IBM war absoluter Business-PC-Vorreiter und galt Anfang der 1980er Jahre sogar als der PC-Weltmarktführer. Letztlich konnte sich das Unternehmen gegen Spezialisten wie Compaq oder Dell aber nicht durchsetzen.
Der Niedergang von Kodak begann mit der Ära der Digitalkamera. Der Niedergang von Nokia begann mit der Ära des iPhones, also mit der Ära des Touchscreen-Smartphones. Und für die aktuelle strategische Orientierungslosigkeit von Microsoft ist ein wesentlicher Grund – wenn auch nicht der alleinige – sicherlich Android. Das heißt, dass es neben einem dominanten PC-Betriebssystem auch noch zusätzlich ein dominantes offenes Smartphone-Betriebssystem gibt.
Zu viele Innovationsrichtungen
Wie es aussieht, will Google mit der neuen Alphabet-Struktur diesem Schicksal entgehen. Diese Struktur könnte jedoch genau den gegenteiligen Effekt erzielen, da sich Märkte auf lange Sicht in Teilmärkte aufteilen. Für IBM war die Computerwelt in Ordnung, solange der Großrechner diese Welt dominierte. Dieser Markt splittete sich dann aber massiv auf: Mini-Computer, Workstation, PC, Notebook, Peripheriegeräte aller Art, Software aller Art – und irgendwann war IBM nicht mehr der Weltmarktführer, sondern nur mehr ein Teil des Computeruniversums. Für Kodak brach die Welt zusammen, als sich der Markt in analoge und digitale Fotografie aufteilte, und für Nokia, als er sich in Mobiltelefon und Smartphone aufteilte.
Selbst Amazon sollte sich nicht auf dem bisher Erreichten ausruhen. Speziell im letzten Jahrzehnt wurde diese Marke von dem führenden Internetbuchhändler in das dominante Internetwarenhaus transformiert. Genau darin könnte auch die größte Gefahr liegen. Noch in den 1960er Jahren war das stationäre Warenhaus in Deutschland und in vielen anderen Ländern dieser Erde die dominante Form im Einzelhandel. Mit dem Aufkommen von spezialisierten nationalen Handelsformen ging es mit dem unspezialisierten Warenhaus aber stetig bergab. Viele spezialisierte Online-Anbieter könnten den unspezialisierten Riesen Amazon in Bedrängnis bringen. Je breiter sich Amazon aufstellt, desto mehr Angriffsfläche bietet das Unternehmen.
Statisch versus dynamisch
Statisch betrachtet ist die neue Google-Alphabet-Welt perfekt. Dynamisch betrachtet ist Alphabet in jedem Geschäftsbereich der Thematik „Aufteilung der Märkte“ ausgesetzt. So wird sich zwangsläufig jeder dieser Teilbereiche in mehr und mehr Teilbereiche beziehungsweise Teilmärkte aufspalten. Das große Risiko dabei ist: Mit einer komplett neuen Idee übernimmt ein anderes Unternehmen die digitale Weltherrschaft, die Google heute beansprucht oder die dem US-Konzern von vielen zugeschrieben wird.
IBMs Computerweltherrschaft wurde von Microsoft abgelöst, die von Microsoft aktuell von Google – also Hardware-Konzern von Software-Konzern und dieser wiederum von Internetsuch-Konzern. Ob unter den vielen Ideen von Alphabet die eine Idee ist, die diesen Ablöseprozess verhindert, ist mehr als fraglich. Viel eher besteht die Gefahr, dass sich Alphabet heillos verzettelt und genau dadurch diese eine Idee übersieht. Anders ausgedrückt: Die größte Gefahr für Google besteht in der einen Idee des nächsten Larry Page oder des nächsten Sergey Brin oder des nächsten Steve Jobs.
Fazit: Natürlich macht es Sinn, dass Google sich klarer und besser strukturiert, nur sollte man dabei wahrscheinlich sehr viel selektiver und fokussierter vorgehen. Vor allem aber sollten alle Unternehmen, die heute keine so dominante Position wie Google besitzen, es sich sehr gut überlegen, ob sie dieses Geschäftsmodell als Vorbild nehmen sollten.
Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, OÖ, Associate of Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com.