Hybridideen haben schon immer die Menschheit fasziniert, egal ob die Meerjungfrau als Kombination aus Frau und Fisch, der Wassermann, eine Kombination aus Mann und Fisch, die Zentauren, ein Lebewesen mit dem Körper eines Pferdes und Kopf, Schultern, Arme eines Mannes oder auch der Minotaurus, eine Kombination aus Mensch und Stier.
Vom hybriden Megatraum …
Speziell aber auch das Management liebt die Hybrididee, vor allem dann, wenn dadurch Teilmärkte zu einem Megamarkt verschmelzen. So träumte man etwa in den 1980er und 1990er Jahren davon, dass PC, Fernseher und Musikanlage zu einem Multimediaentertainmentcenter verschmelzen werden. Nur in der Praxis passierte genau das Gegenteil.
Während der Fernseher immer flacher und größer wurde, wurden der PC und die Musikanlage immer kleiner und mobiler. So haben wir heute nicht ein zentrales Unterhaltungscenter im Haus, sondern viele Teilgeräte wie Flachbildfernseher, Notebook, Tablet, Smartphone und manche auch noch einen guten, alten MP3-Player.
Das heißt: In der Theorie sieht die Idee der Verschmelzung zweier oder mehrerer Teilmärkte oder Produktkategorien fast immer genial aus. In der Praxis sprechen vor allem zwei zusammenhängende Faktoren gegen die Hybrid- oder Konvergenztheorie. Der eine Faktor ist, dass sich jede einzelne Teilkategorie selbst weiterentwickelt. Der zweite damit zusammenhängende Faktor ist die Zeitkomponente. Während auf der einen Seite Unternehmen über einen längeren Zeitraum damit beschäftigt sind, zwei oder mehrere Produktbereiche oder Teilmärkte zu verschmelzen, treiben andere Unternehmen die Entwicklung dieser Produktbereiche oder Teilmärkte individuell weiter.
… zum hybriden Albtraum
Genau dadurch aber kann dieser Traum vom hybriden Megamarkt zum Albtraum werden. Diese Erfahrung musste auch Air Berlin machen. Dazu schrieb Absatzwirtschaft im Sonderheft Marken 2011: „Der als „Hybrid-Strategie“ bezeichnete anvisierte Spagat bestand darin, als Airline sowohl Charterdienste als Veranstalter als auch Individualdienste für Privat- und Geschäftskunden zu leisten.“ Dazu meinte bereits im Jahr 2004 der damalige Air Berlin-Chef Joachim Hunold: „Außerdem ist der Preis nicht alles. Wir bieten auch Qualität. … Ich glaube an den nachhaltigen Erfolg dieser Strategie, während Ryanair auf Randflughäfen kurzfristig einen künstlichen Markt schafft.“
Um diesen ambitionierten Spagat zu verwirklichen, setzte man viele Maßnahmen. Man kaufte Fluglinien wie die LTU oder die dba, man beteiligte sich an Fluglinien wie etwa an Fly Niki, Man baute Hubs in Palma de Mallorca, in Berlin, Düsseldorf oder Wien auf. Man wollte den Feriengast und den Businessreisenden. Noch 2013 erklärte dazu der damalige CCO von Air Berlin: „Air Berlin ist die Airline für alle – dies müssen wir für den einzelnen Kunden maßgeschneidert rüberbringen. Urlauber brauchen eine andere Ansprache als Geschäftsreisende, für die beispielsweise Gepäckregelungen weniger wichtiger sind. Wir haben unterschiedliche Ziel- und Interessengruppen, das können allein reisende Kinder, Senioren oder auch Special-Interest-Gruppen sein.“
Die Air Berlin-Lektion
Nur letztendlich war man so weder eine klassische Fluglinie wie etwa die Lufthansa noch war man eine Diskontfluglinie wie Ryanair, noch war man eine echte Charterfluglinie. Man war eine Art „Mittelding“ aus allem mit einer dementsprechenden Kostenstruktur. Nur genau das war und ist keine gute Ausgangsbasis im Wettbewerb von heute.
Diese Erfahrung musste auch Yahoo! machen. Einst war Yahoo! die weltweit führende Suchmaschine. Dann entschied das Management, den Fokus der Marke zu erweitern. Aus einer Suchmaschine wurde ein hybrides Alles-für-alle Online-Portal. Die Managementlogik dahinter war klar: Da der Suchmaschinen-Markt nur ein Teilmarkt eines Portals ist, muss der Portal-Markt in Summe um vieles größer als der Suchmaschinen-Markt sein.
Auf dem Papier ist das sicher richtig. Nur übersah man dabei, dass man so die Suchmaschinen-Position in der Wahrnehmung der Kunden aufgab. Diese Position überließ man Google. Wenn man heute die Website von Yahoo! aufsucht, findet man oben ein Suchmaschinen-Fenster. Darunter eine digitale Werbeanzeige und dann noch jede Menge Nachrichten und Dienstleistungen. Wenn man heute die Website von Google aufsucht, findet man prominent die Sucheingabe. Google ist auf den ersten Blick eine Suchmaschine. Yahoo! ist ein digitales Durcheinander und Desaster.
So traurig das Ende von Air Berlin auch sein mag, eines kann man heute und in Zukunft daraus lernen. Man sollte immer vorsichtig sein, wenn man mit dem Traum von verschmelzenden Märkten konfrontiert wird, egal ob klassische Fluglinie, Diskontfluglinie und Charterfluglinie zu einer Hybridfluglinie, egal ob Suchmaschine, Nachrichtenportal, Infoplattform zu einem großen Online-Portal oder PC, Fernseher und Musikanlage zu einem Supermultimediaentertainmentcenter. Dann das, was oft auf dem Papier wie ein Megatraum aussieht, entpuppt sich im harten spezialisierten Wettbewerb oft als Megaalbtraum. Oder wie einer der wenigen Besitzer über sein hybrides Schwimmauto in den 1960er Jahren sagte: „Es fährt wie ein Boot und schwimmt wie ein Auto.“
Über den Autor
Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, OÖ und Associate im Beraternetzwerk von Al Ries. Er ist Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Markenblog lautet: www.brandtneronbranding.com