von Michael Ziesmann
Der ORF betreibt zwei Vollprogramme, neun Landesstudios, drei nationale Hörfunksender, ORF Sport plus sowie ein umfangreiches Internetangebot. ORF1 gilt dabei als das privateste Fernsehprogramm Europas. Ein „Best-Of“ aller deutschsprachigen Privatsender. ORF2 richtet sich an eine ältere Zielgruppe und punktet mit Information, Dokumentationen, Kultur und Inhalten, die die nationale Identität stärken sollen. Auch der Marktführer im Radio, Ö3, gilt als bestes Privatradio Europas. In Sachen Werbung gibt es für den ORF so wenige Beschränkungen wie bei keinem anderen öffentlich-rechtlichen Fernsehunternehmen. Dementsprechend hoch sind die Anteile an Werbeeinnahmen am Budget: 250 Millionen Euro. Aus Rundfunkgebühren kommen weitere 650 Millionen Euro dazu. Allerdings ist die Tendenz beider Einnahmequellen stark rückläufig.
Im laufenden Jahr rechnet ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz mit einem Minus von 80 Millionen Euro. Die Gebühreneinnahmen gehen zurück. 60 Millionen Euro der Rundfunkgebühren landen zuerst bei Bund und Ländern. Etwas, das Wrabetz zugunsten des ORF ändern will, um aus dem Schneider zu kommen. Da die Marktanteile des ORF auf einem historischen Tief liegen, sinken die Werbeeinahmen deutlich. In diesen Tagen werden die ORF Werbepreise für das Jahr 2010 bekannt gegeben. Mediaexperten rechnen mit Preissenkungen von 20 bis 30 Prozent. Aber auch danach sind 1000 Kontakte im ORF Fernsehen knapp doppelt so teuer wie bei österreichischen Privatsendern oder im europäischen Vergleich. Die Senkung der Werbepreise für 2010 kann mit dem Zuschauerschwund kaum Schritt halten.
Ursache dessen ist nicht nur die gescheiterte größte Programmreform der Sendergeschichte, wie Wrabetz es vor zwei Jahren nannte, sondern auch eine verfehlte Medienpolitik. Österreichs Politik hat die rasante Medienentwicklung der letzten zwanzig Jahre verschlafen. Mit halbherzigem Aktionismus versucht die große Koalition in Wien die Folgen dessen zu beseitigen, ohne den eigenen politischen Einfluss zu kürzen. Während Privatfernsehen in Deutschland 1984 eingeführt wurde, begann das duale Rundfunksystem in Österreich im Jahr 2001 – als letztem Land in Europa sogar nach dem viel zitierten (Medien-)Albanien. Ein gescheiterter Versuch.
Fairer Wettbewerb zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Programmanbietern kann mit den jetzigen Rahmenbedingungen nicht stattfinden. Während der ORF auf allen Hochzeiten tanzt, bis ihm dafür das Geld ausgeht oder die EU-Kommission Maßnahmen setzt, kämpfen Privatsender wie ATV und Puls4 um die Existenz. Die politisch gewollte, chaotische Digitalisierung des Fernsehempfangs stellte sich für den ORF als Katastrophe heraus. Anstatt flächendeckend auf Empfang über DVB-T (digitales terrestriches Fernsehen) umzusteigen, wechselten die meisten Österreicher auf digitalen Satellitenempfang. Statt fünf Programme verfügen die meisten Fernsehhaushalte über 80 deutschsprachige Programme. Ein Eigentor der Politik: anstatt den ORF in die digitale Zukunft zu führen, steht der ORF heute in Konkurrenz zu einer Vielzahl deutschsprachiger Programme. Insbesondere den austauschbaren Inhalten von ORF1 setzt dies zu. An vielen Sendetagen bleiben die Quoten hinter denen von Sat.1, Pro Sieben oder RTL zurück – die streckenweise dieselben Inhalte senden.
Nicht umsonst fordern Konkurrenten die Privatisierung von ORF1. Nur so wäre ein duales Rundfunksystem zu schaffen, meinen die, die am Kauf von ORF1 interessiert sind. Dazu gehören Verlagshäuser ebenso wie Banken. Auch der RTL Group wird Interesse an einem privaten ORF1 nachgesagt. Der ORF hält trotz der angespannten Finanzlage an zwei Vollprogrammen fest. ORF Kommunikationsdirektor Pius Strobl zu absatzwirtschaft: „Der ORF war und ist wesentlich für den Erhalt der österreichischen Identität. Eine österreichische Medienlandschaft ohne den ORF ist für weit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung undenkbar. Wo ORF drauf steht wird auch künftig wie in der Vergangenheit Österreich drin sein. Das gilt für Inhalte aus Information, Kultur, Bildung und Sport ebenso wie für Unterhaltung – exakt so, wie es in unserem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag steht. Unsere Konkurrenz sehen wir dabei weniger in den österreichischen Privatsendern, sondern in den deutschen Werbefenstern. Diese haben keine oder nur geringe Wertschöpfung in Österreich und ziehen rund 250 Millionen Euro Werbegelder (brutto, Anm. d. Red.) jährlich ab.“
Kritik kommt auch von ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz am Beispiel des Pokers um Sportrechte: „Dass ein Format bei der privaten Konkurrenz ist, dass Heuschrecken-Senderfamilien jeden Preis zahlen um die Konkurrenz auszubremsen, kann im dualen Medienmarkt schon einmal vorkommen. Die Formel 1 hat in den vergangenen Jahren an relativer Bedeutung verloren. Und es ist eine symbolische Frage, ob man in Zeiten von Klimaschutz & Co dieses Produkt anbietet oder die Mittel besser in österreichische Produktionen investiert. Diese Frage stellen wir uns 2011, wenn der Formel 1-Vertrag ausläuft“. Zurzeit liegen die Formel1-Rechte ungenutzt beim ORF. Angesprochen auf die Sparbemühungen des ORF ergänzt Wrabetz: „Von 2008 auf 2009 haben wir strukturell 80 Millionen Euro an Gesamtkosten eingespart. 2010 müssen wir weitere 83 Millionen Euro einsparen, um auf die Nulllinie zu kommen – das müssen und werden wir glaubhaft und transparent umsetzen.“
Ziel von Wrabetz ist es, mit zusätzlichen öffentlichen Geldern das jetzige ORF-Angebot unverändert aufrecht zu erhalten. Eine Anpassung des ORF an die finanziellen und nationalen Gegebenheiten, redimensioniert für Österreich, kommt für Wrabetz nicht infrage. Ein Verkauf von ORF1 und Ö3 an private Investoren steht für Wrabetz nicht zur Debatte. Auch an den politisch gewollten neun Landesstudios will Wrabetz festhalten – die täglich zwanzig Minuten Programm pro Bundesland produzieren. Eine Fusion verschiedener Landesstudios am Modell des RBB, MDR, NDR oder SWR wird nicht diskutiert. Künftig sollen eigenständige Landesstudios für 280 000 Burgenländer ebenso wie für 1,7 Millionen Wiener senden. Sparpotenzial, das weit über Gebührenrefundierung oder Verluste bei den Werbeeinnahmen hinaus geht.
Die private Konkurrenz geht mit der politisch gewollten, wenig dualen Situation unterschiedlich um. Sender der RTL-Gruppe haben gar nicht erst versucht, Programm für Österreich zu machen. Sie beschränken sich auf Werbefenster: österreichische Werbeblöcke, die in das reguläre Programm von RTL oder VOX eingefügt werden. Anlässlich der Programmpräsentation sagte RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt zu Journalisten in Wien: „Wir machen noch immer kein Programmfenster. Und jetzt fragen sie mich: machen sie es bald? Und ich sage wieder: nein, wir machen das nicht“. Der gebürtige Wiener Gerhard Zeiler wird als CEO der RTL Group anlässlich der in dieser Woche stattfindenden Medientage in Wien noch deutlicher: „Ich bin kein Anhänger solcher Programmfenster. Mein Vorgänger bei RTL Deutschland, Helmut Thoma, hat es in der Schweiz ohne Erfolg versucht. Ich glaube nicht, dass das in Österreich besser laufen würde. Wir haben die Frage, ob wir in Österreich einen eigenen Fernsehsender in Konkurrenz zum ORF, den österreichischen Programmen, aber letztlich auch in Konkurrenz zu unseren eigenen Programmen aufmachen sollen, durchgerechnet. Das Risiko, das damit verbunden ist, steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu möglichen Gewinnen. Sollten sich die Rahmenbedingungen einmal ändern, dann werden wir nicht mit einem Billigprogramm in den Markt gehen, bei dem 99 Prozent aller Sendungen bereits zigmal abgespielt wurden. Für ein RTL Österreich gilt: entweder ganz oder gar nicht. Wenn, dann wollen wir´s wirklich wissen“, so Zeiler gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Trend. Gefragt, was für eine solide Zukunft des ORF nötig ist, meint Zeiler, der seine Karriere beim ORF begann: „Für eine Zukunft des ORF braucht es zwei Dinge: klare Rahmenbedingungen seitens des Gesetzgebers und ein gutes Management. Damit sind alle Probleme zu lösen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“ Hartnäckig wird Zeiler eine Rückkehr an die Spitze von ORF1 nachgesagt. Diesmal jedoch nicht als Generaldirektor, sondern als CEO eines möglichen Eigentümers RTL.
Der Stadthalter von Pro Sieben Sat.1, Markus Breitenecker, spricht gebetsmühlenartig von „nationalem Schulterschluss“ und seinen „österreichischen Privatsendern“. Eine vielschichtige Argumentation. Einerseits vermarktet Seven One Media die von Wrabetz scharf attackierten Werbefenster für Pro Sieben oder Sat.1. Andererseits verkauft Breitenecker diese Sender als österreichische Produkte, obwohl sich diese zu 100 Prozent im Besitz von Seven One Media, Seven One Brands und damit der Pro Sieben Sat.1 Media AG im deutschen Unterföhring befinden. Im Gegensatz zu den Sendern der RTL Group hat Breitenecker Programmfenster eingeführt. Wohl aber nicht zuerst, um einen Programmauftrag zu erfüllen oder Service Public zu leisten, sondern um die Österreich-Versionen der Sender auf der Fernbedienung nach vorne zu bringen, was zu mehr Reichweite und erhöhten Einnahmen für die Werbefenster führt – die zuerst im deutschen Unterföhring ankommen.
Im Jahr 2008 kaufte Pro Sieben Sat.1 den Wiener Sender Puls TV. Das heutige „Puls4“ wird als österreichischer Sender positioniert. Dabei werden durchaus eigene Programme wie ein mehrstündiges Frühstücksfernsehen oder Talkrunden produziert. Im Kern greift Puls4 aber auf Ressourcen aus Film und Nachrichten von Pro Sieben Sat.1 zurück. Inhalte, die auf Sat.1, Pro Sieben und Kabel1 bereits vielfach gezeigt wurden oder vom Nachrichtensender N24 übernommen werden. Nicht umsonst werden die Werbezeiten von Puls4 über Seven One Media verkauft und mit Freispots auf Pro Sieben oder Sat.1 abgesichert. Breitenecker wird bei den Österreichischen Medientagen in dieser Woche in Wien ein neues Modell vorschlagen, wie öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk besser koexistieren könnten: der ORF solle sich doch im Wettbewerb stärker mit den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern messen. Denn auch ARD und ZDF sind nun in viel mehr österreichischen Haushalten empfangbar als vor der Digitalisierung. Gegen die privaten deutschen Sender fordert Breitenecker seinen nationalen Schulterschluss. Hiernach müsste Breitenecker gegen sich selbst argumentieren. Als Geschäftsführer von Seven One Media vermarktet er die „bösen“ deutschen Werbefenster ebenso wie das „gute“ Puls4 – welches zudem der „bösen“ deutschen Pro Sieben Sat.1 Media AG gehört.
Auch der „österreichische“ Privatsender ATV ist fest in deutscher Hand. ATV gehört wie Tele5 und teilweise RTL2 zur Tele München Gruppe von Herbert Kloiber. Kloiber hatte den ORF kürzlich gegenüber der Tageszeitung „Die Presse“ als „Schandfleck unter Europas öffentlich-rechtlichen Sendern“ bezeichnet: „Da findet im Sinne des Public Value fast gar nichts mehr statt“. ATV-Geschäftsführer, der Deutsche Ludwig Bauer, wird in Richtung ORF deutlich: „Hier wird eine große Sparnotwendigkeitsshow abgezogen, um die Gebührenrefundierung der Regierung zu bekommen. Es ist schon seltsam, dass sich der ORF nur das nicht mehr leisten kann, was zu seinem Kernauftrag gehört“. Hintergrund: trotz Finanzloch kaufte Wrabetz kürzlich den populären und mehrfach ausgezeichneten Boulevard-Reporter Dominic Heinzl vom Privatsender ATV um einen kolportierten Betrag von vier Millionen Euro. Ergänzt wird Privatfernsehen in Österreich durch Austria9. Unter dem Motto „Wiedersehen macht Freude“ zeigt der Sender Klassiker, Heimatfilme und Serien und findet damit sein Publikum. Trotz des Sendernamens ist auch Austria9 fest in deutscher Hand: Hubert Burda Media ist Eigentümer des Senders.
Öffentlich-rechtliche Konkurrenz bekommt der ORF seit wenigen Tagen ausgerechnet vom privaten ServusTV. Das Fernsehprojekt von Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz sendet europaweit über Satellit selbst produzierte Dokumentationen, Informationen, Nachrichten und Unterhaltung aus dem Raum Alpen-Adria, und bietet privat finanzierte Inhalte, die durchaus Service Public sind. In wenigen Tagen geht das ZDF den umgekehrten Weg. Mit Gebührengeldern startet „ZDF NEO“ ein Programm, das in direkter Konkurrenz zu Privatsendern steht. Vorbild dabei: ORF1.
Teile der österreichischen Medienpolitik arbeiten zudem daran, beim ORF „mittelfristig“ Werbung in der „Prime Time“ abzuschaffen, damit sich dieser nach einem harten Sparkurs ähnlich wie ARD und ZDF fast ausschließlich aus Gebühren finanziert und zuerst seinen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag erfüllt, anstatt aufgrund des im europäischen Vergleich unverhältnismäßig hohen Anteils von Werbung am Gesamtbudget, mit Programmen wie ORF1 auf Quoten schauen und Werbeeinnahmen erzielen muss. Das „G´riss“ um den ORF bleibt eine Geschichte voller Missverständnisse. Ob die österreichische Medienpolitik die Folgen des eigenen Tiefschlafes der letzten zwanzig Jahre ausgerechnet während einer Wirtschaftskrise korrigieren kann, muss bezweifelt werden – was es für alle Akteure im Medienmarkt ungleich schwerer macht.
www.orf.at, www.atv.at, www.servustv.com, www.puls4.com, www.austria9.at, www.sevenonemedia.at, www.ip-oesterreich.at, www.medien-tage.at