Das Programm von „Power Pur“, einer Schweizer Branchenveranstaltung für Printmedien Ende April, war ein echter Hingucker: „Wir freuen uns schon sehr, die beiden CEOs von Jung von Matt Schweiz, Roman Hirsbrunner und Sven Würgler, bei der ersten Ausgabe von Power Pur – Forum Swiss Print + Media Industry in der Diskussionsrunde live zu erleben“ hieß es in einem Linkedin-Post des Events. Zwei CEOs? Das war kein Tippfehler. Ende vergangenen Jahres hatte Jung von Matt Schweiz öffentlich einen „Future CEO“ gesucht (die absatzwirtschaft hat vorab mit Jung von Matt über die Erwartungen gesprochen) – ein junges Nachwuchstalent, das CEO Roman Hirsbrunner für zwei Monate durch den Agenturalltag begleitet. Er dürfe mitreden, mitdenken und sogar mitentscheiden, hieß es – und Anfang März war es so weit: Der „Future CEO“ Sven Würgler trat seinen Dienst an.
Keine Bewerbung von weiblichen Kandidatinnen
Schon die Bewerbungsphase brachte für Jung von Matt wichtige Learnings mit sich: So sei die Resonanz zwar groß gewesen, vor allem aber von Personen, die die Idee spannend fanden. „Wir hatten zwar einige Bewerbungen, mussten aber auch feststellen, dass die Signalwirkung der CEO-Rolle auch viele davon abhält, sich zu bewerben“, sagt Roman Hirsbrunner. Was auffiel: Keine einzige Bewerbung kam von einer Frau. Obwohl der Anteil von weiblichen Führungskräften in der Agentur hoch ist, sieht der CEO das Problem als kulturelles: „Die CEO-Rolle ist in den Köpfen – und leider auch noch in der Realität – oft männlich besetzt. Und entspricht auch nicht gerade dem, was man unter Work-Life-Balance versteht. Und: Ich entspreche eben genau diesem Bild eines CEO. Dass das auf Frauen – die sich unter Umständen auch nochmal etwas kritischer mit unserer Leistungskultur befassen als junge Männer – nicht gerade überzeugend wirkt, kann ich nachvollziehen.“ Für die Zukunft wolle man daher sorgfältiger an der Kommunikation arbeiten. Oder eben bewusst nur die Future CEO suchen.
Sven Würgler hatte keine Berührungsängste, hat sich beworben – und es hat geklappt. Zwei Monate lang blieb der 22-jährige BWL-Student an der Seite von Jung von Matt-CEO Roman Hirsbrunner – vom ersten Meeting um 8.30 Uhr bis zum späten Abendessen – oder besser gesagt zum „Znacht“, wie man in der Schweiz sagt. Wie waren die ersten Tage? Roman Hirsbrunner muss bei dieser Frage nicht lange überlegen: „Ungewohnt!“ Allerdings, sagt er, sei das ja auch das Ziel gewesen. „Eine Störung im System, sozusagen. Zu Beginn war das Ganze eine Mischung aus erklären und machen. Wobei der Erklär-Anteil immer kleiner wurde.“
Spannender Reflexionsprozess
Ziel war es auch, sich als Agentur kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und das hat sich gelohnt: „Ein großes Learning für mich persönlich war, dass mein Alltag geprägt ist von vielen Selbstverständlichkeiten, Dinge, die vorausgesetzt sind, zum Beispiel als Basis einer Diskussion. Da eine Grundlage zu schaffen, auf der Sven mitdiskutieren kann, war für mich ein spannender Reflexionsprozess. Indem ich erklären musste, warum wir Dinge tun, wie wir sie tun, stieß ich eigentlich schon meine eigene kritische Auseinandersetzung an“, erklärt der CEO.
Und auch über die Gen Z gewann die Agentur Einblicke, wie man sie sonst nur vom Hörensagen kennt: Sie strebt nach Verwirklichung und stellt viel öfter die kompromisslose Frage nach dem Sinn. Arbeit soll Spaß machen, aber auch sinnhaft sein. „Das ist zugegebenermaßen nicht immer einfach zu navigieren“, gibt Hirsbrunner zu. Und wie einfach war es für den „Future CEO“, wirklich mitzuentscheiden? Schließlich durfte er bei allen internen Diskussionen dabei sein und sich einbringen – etwa, wenn es darum ging, wie die Agentur ihre Kultur intern im Rahmen von Events erlebbar machen kann, aber auch bei Projekten für Neukunden. Sven Würgler, der Future CEO, gibt zu: „Am Anfang war ich unsicher, weil ich das meiste Hintergrundwissen nicht hatte. Aber bei Jung von Matt ist eine Meinung zu haben ja schon fast Pflicht.“
Dabei stellte er auch fest, dass ein CEO Entscheidungen nicht im Alleingang trifft und seine Meinung durchsetzt. „Ein reiner Top-Down-Entscheider hat es als CEO heute schwer“, sagt der Trainee.
Für Sven Würgler war das auch eines der wichtigsten Learnings aus seiner Zeit bei Jung von Matt: „It’s a people’s business. Ohne ein großartiges Team erreicht auch die oder der beste CEO nichts. Das gilt aber für die Werbebranche im Allgemeinen: Gute Werbung und gute Ideen entstehen primär im Team.“ Was er sonst noch gelernt hat? Beim CEO-Job geht es um Zeitmanagement. „Es ist verdammt stressig, klar. Aber: In was investiere ich wie viel Zeit? Bleibt genügend Luft, um nachzudenken?“ Und: „Als CEO erhält man alle Informationen gefiltert. Dessen sollte man sich bewusst sein.“
Alle 30 Minuten ein neues Thema
Auch die vielen Meetings waren für den Future CEO nicht so entspannt wie anfangs gedacht: Alle 30 Minuten das Thema komplett zu wechseln, das raubt Energie, sagt der Nachwuchs-CEO. „Diesen Kalender über längere Zeit zu stemmen, finde ich verdammt bewundernswert.“
Auf den zahlreichen Events, die beide gemeinsam besucht haben, war das CEO-Duo ein echter Gäste-Magnet. „Das Thema interessiert sehr, um nicht schon fast zu sagen fasziniert. Viele fanden den Schritt mutig, andere wollten ganz genau wissen, wie denn der Alltag aussieht, wieder andere meinten, ich träte bald als CEO von Jung von Matt in der Schweiz zurück“, erzählt Roman Hirsbrunner. Auch, wenn er das nicht vorhat, möchte die Agentur die Aktion unbedingt wiederholen. Und bis dahin kleine, aber spürbare Veränderungen vornehmen, die Sven Würgler in seiner Zeit bei Jung von Matt angestoßen hat.
Eine Aktion, die sich also für alle Beteiligten gelohnt hat. Für den Future CEO seien es die beiden lehrreichsten Monate seines Lebens gewesen, sagt er selbst. Und Roman Hirsbrunner ist überzeugt: “The CEO is dead. Long live the CEO.”