Von Matthias Arnold, dpa
Sukkulenten, Sansevieria oder Monstera – wer mit diesen Bezeichnungen nichts anfangen kann, hat den Trend verschlafen: Grüne Zimmerpflanzen stehen hoch im Kurs, vor allem bei jungen Großstadt-Bewohnern. Davon können sich vor allem Instagram-Nutzer überzeugen: Mehrere Millionen Menschen folgen den Hashtags #plantsofinsta oder #plantsofinstagram auf dem Foto-Portal im Netz. Pflanzenfans liefern sich auf solchen Kanälen einen Wettkampf um die schönste und exotischste Errungenschaft. Und zahlreiche Händler versuchen, davon zu profitieren und werben für ihre Angebote.
Die Branche ist mit Blick auf diesen Teilmarkt zufrieden, spricht vom Trend „Urban Jungle“, der die Verkaufszahlen der grünen Zimmerpflanzen in die Höhe katapultierte“, wie der Zentralverband Gartenbau im Jahresbericht für 2018 schreibt. Die Branchenexperten der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft verzeichneten ein Umsatzwachstum für den Nischenmarkt nicht-blühender Zimmergewächse von 7,2 Prozent auf rund eine halbe Milliarde Euro im vergangenen Jahr.
Online-Shops und Start-ups prägen das Image
Vor allem Online-Shops und Start-ups prägen das neue Image der Zimmerpflanze, die für vieles zugleich steht: Verantwortung, Natur, Oase in der Großstadt – oder einfach für ein weiteres schickes Design-Objekt. „Es gibt ein verändertes Gesellschaftsverhalten“, sagt Christian Engelke, Vorsitzender des Fachverbands Raumbegrünung und Hydrokultur. „Dieses Cocooning, der Rückzug auf sich selbst, der noch vor einigen Jahren Thema war, ist inzwischen abgelöst.“ Heute gehe es wieder nach außen, um Hingucker und Trendsetter. «Ich will schick sein und zeigen, was ich kann und was ich für schöne Elemente habe.“
Im Pflanzen-Café The Greens in der Alten Münze in Berlin – ein einstiger Industriekomplexes im Zentrum der Stadt, in dem heute Künstler und Kulturtreibende arbeiten – scheint Betreiber Christian Otto die verschiedenen Facetten zu kombinieren. Im industriellen Ambiente haben er und sein Team einen kleinen Dschungel gestaltet. An den Wänden und zwischen den Tischen stehen und hängen Hunderte Pflanzen: Kleine Kakteen, Sukkulenten oder sogenannte Bodenhanfe. Neben Spezialitäten-Kaffee, veganem Kuchen und Brot können die Besucher auch die Gewächse kaufen.
„Wir wollen mit dem Pflanzenthema den Bogen spannen zur Nachhaltigkeit“, sagt Otto. Sämtliche Einrichtungsgegenstände, von den hölzernen Tischen bis zu den Regalen, seien gebraucht. Der Verkauf der Pflanzen werde nicht forciert, sagt Otto. „Ein kommerzieller Fokus würde den Vibe zerstören.“
Auf Instagram postet auch The Greens fleißig Fotos vom Café und den Gewächsen. Zwei Mal im Jahr veranstaltet Otto eine Pflanzenbörse auf dem Gelände, die zahlreiche Besucher anzieht.
Ikea springt auf Trend auf
Längst haben den Trend auch traditionelle Gartencenter und Konzerne wie Ikea erkannt. „Die haben alle ihre Research-Teams, die den Markt und die Trends im Blick haben“, sagt Hanni Schermaul, Gründerin des Pflanzenhandels The Botanical Room, ebenfalls in Berlin. Ikea habe sogar einmal angefragt, ob man sich bei ihr umschauen dürfe. „Da habe ich aber abgelehnt.“ 50 bis 80 Pflanzenarten bietet Schermaul an – online und in ihrer Filiale. Den größeren Teil verkaufe sie aber analog über die Ladentheke. „Ich kann nicht für andere sprechen, aber bei mir läuft offline stärker als online“, sagt sie.
Neben den Pflanzen führt die Architektin auch Accessoires im Sortiment: Design-Töpfe, Pflanzenständer, Pflanzenhänger, Körbe oder Gießkannen. 2017 sei sie mit ihrem Konzept an den Start gegangen. Allein ist Schermaul auf dem deutschen Markt nicht mehr: Auch ausländische Start-ups tummeln sich dort wie der holländische Pflanzenversand Bergamotte, der regelmäßig mit kurzzeitig errichteten Pop-up-Stores in Berlin für sein Angebot wirbt.
Boom auch in Nachbarländern
Im Nachbarland boomt das Thema schon lange. Von dort beziehen die deutschen Unternehmer häufig ihre Pflanzen – ebenso aus Dänemark und aus Belgien. In Deutschland selbst würden Grün- und Zimmerpflanzen selten gezüchtet, sagt Verbandschef Engelke.
Unter anderem deshalb kritisiert Afra Heil, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), den Trend: „Ich glaube nicht, dass man sich automatisch für Natur interessiert, nur weil man sich eine Topfpflanze aufstellt“, sagt sie. „Pflanzen werden eher als Design-Objekt angesehen und nicht als Teil der Natur.“ Es komme darauf an, wo die Gewächse herkämen. Ein Problem sei vor allem, dass gerade die großen, kommerziellen Anbieter im Verkauf häufig torfhaltige Blumenerde verwendeten. „Dadurch werden aber die Moore zerstört“, sagt Heil. Den Käufern stürben diese Pflanzen häufig weg, sodass immer weitere Gewächse gekauft würden.
Auch Café-Betreiber Otto räumt ein, dass man beim Bezug der Pflanzen im Kleinen noch nachbessern könnte. Doch sie seien auch ein wichtiges Symbol für Gleichgewicht und Vielfalt in der Natur.
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