Die Erfolge der jüngsten Vergangenheit haben diesen bitteren Beigeschmack nicht. Die Marke BVB strahlt. Vor allem im sportlichen Glanz, aber auch, weil die Betriebswirte der Borussia mittlerweile strategisch und taktisch gut aufgestellt sind. Deshalb gewann der BVB in 2012 sportlich das Double, aber insgesamt das Triple: Für den Relaunch seiner Marke wurde der Verein im März 2012 mit einem Sonderpreis des Marken-Award für exzellente Leistungen in der Markenführung ausgezeichnet, vergeben von absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing und dem Deutschen Marketing-Verband (DMV). Mannschaftskapitän Sebastian Kehl nahm den Award in der „Night of the Brands“ im Düsseldorfer Capitol-Theater mit in Empfang, aber das Scheinwerferlicht galt diesmal Geschäftsführer Joachim Watzke und Marketingchef Carsten Cramer. Mit ihnen strahlte BVB-Aufsichtsrat Peer Steinbrück um die Wette, und die vier ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wie sehr der neue Claim des BVB Fans, Verein und Mannschaft verbindet: „Echte Liebe.“
Solch eine emotionale Absolutheit können nur wenige Marken ernsthaft für sich in Anspruch nehmen, obwohl es viele gerne möchten. Das Wunschdenken der Markenführer geht so weit, dass sie mitunter etwas verwechseln: die Emotionalität, die eine Marke ausstrahlen kann, wenn sie gefühlvoll geführt wird, mit der Proklamation einer wie auch immer gearteten Gefühligkeit. Beispiele gefällig? „Wir lieben Logistik“, behauptet UPS. Der Spruch „Wir lieben Schuhe“ des österreichischen Schuhherstellers Humanic klingt genauso einfallslos, wenn auch mit Blick auf die Warengruppe etwas glaubwürdiger. Immerhin schreit da niemand vor Glück. Ansonsten wird im Marketing „geliebt“, dass man glauben könnte, es ginge hier um alles, nur nicht ums Geschäft: Edeka liebt Lebensmittel, Saturn liebte Technik, Apetito liebte es frisch und VW tat alles aus Liebe zum Automobil. Die Welt der Wirtschaft und des Marketing müsste demnach ein sehr empathischer Ort sein. Ausnahmen bestätigen die Regel, dass die Verbraucher mit Liebe als leerer Worthülse überschüttet werden. McDonald’s hat es mit „Ich liebe es“ zum Beispiel besser gemacht, weil dieser einst von der deutschen Werbeagentur Heye und Partner ersonnene Spruch weltweit („I’m lovin’ it“) subtiler funktioniert als andere Liebesschwüre: Im Burgerbrater-Claim wird der Kunde zum Subjekt und nicht das Unternehmen. Im schlechteren Fall, um den Unterschied deutlich zu machen, hätte es heißen müssen: „Wir lieben Burger.“
Orientierung, Sicherheit und ideeller Mehrwert
Nun sind Emotionen für den Erfolg einer Marke, mit der Verbrauchern auch Orientierung, Sicherheit und ein ideeller Mehrwert verkauft werden, entscheidend. Das bedeutet: Gefühle sind immer im Spiel, und nach wie vor gilt, zumal in der vernetzten Welt der sozialen Medien, was Hans Domizlaff, Vater der Markentechnik und Autor des wegweisenden Buchs „Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens“, schon vor über 70 Jahren postulierte: „Es ist keine mechanische Rechnung, die zu guten Markenschöpfungen führt, sondern ein durch Selbsterziehung gewonnenes Einfühlungsvermögen, ein schöpferischer Einfall, der die vielen – bewusst meist gar nicht mehr übersehbaren – beziehungsreichen Fäden zu einem festen Gewebe vereinigt, um ein Markengebilde entstehen zu lassen, das bereits in der Geburtsstunde seinem Schöpfer gegenüber Selbstständigkeit zu beanspruchen anfängt und auf dem Markte eine Lebenskraft beweist, die nur noch Diener duldet.“
Reiner Produktnutzen allein reicht nicht mehr
Das Lebenselixier des immateriellen Wesens Marke sind die Gefühle, die sie bei den Menschen auslöst. Kein Wunder also, dass sich zum Stichwort „Emotionalisierung“ wahrscheinlich in fast jeder PowerPoint-Präsentation zu Launch, Relaunch oder Dehnung einer Marke ein paar Charts finden. Das ist im Prinzip auch gut so, denn mit dem reinen Produktnutzen ist heute mit einer Marke kein Staat mehr zu machen. Aber es braucht halt mehr als eine behauptete Emotionalität. Sie muss sich ergeben aus der Art und Weise, wie Marken gewachsen oder konzipiert worden sind, wie sie geführt und beworben werden, aus den Werten und Attributen, für die sie stehen. Markenführung muss den Kunden die Möglichkeit geben, einer authentischen Marke offen zu begegnen, und sie muss den Raum für eine emotionale Reaktion schaffen.
Dazu bedarf es eines Managementsystems, das die moderne Kommunikationswelt, die Berührungspunkte zwischen Marke und Kunde im Vertrieb und Service, sowie die Wertewelt, für die eine Marke steht, berücksichtigt – und gleichzeitig für die unternehmensstrategische und betriebswirtschaftliche Erdung der Marke sorgt. Die Aufgabe für´die Markenverantwortlichen besteht darin, ihre Marken im Domizlaff´schen Sinne ins Leben zu entlassen – dahin, wo die Kunden ihnen an den Touchpoints, in der Werbung und im Gebrauch begegnen, wo es sich entscheidet, ob die Kunden das Angebot ablehnen oder begeistert sind, ob sie sich nach dem ersten Kauf abwenden, wiederholt kaufen oder die Marke gar empfehlen. Wo sich ebenso Antipathie und Loyalität entwickeln können, wo sich die Gefühle für eine Marke entwickeln und entfalten können – oder eben nicht.
Wie solche Markenräume entstehen und gemanagt werden, zeigen Marken wie Apple oder Google, bei denen die emotionale Bindung der Verbraucher vor allem auf Markenerlebnissen beruht. Beide Marken verzichten übrigens auf einen Claim, worüber Werbeagenturen, die meinen, Marken auf Gedeih und Verderb mittels eines Spruchs positionieren zu müssen, einmal nachdenken sollten. Aber natürlich überlassen diese beiden Power Brands ihre Marke im echten Leben nicht ihrem Schicksal, sondern führen sie systematisch an allen Touchpoints. Und im Falle von Apple gilt
das für Produkt, Packaging und Läden. Man denke nur an den kathedralenartigen Apple Store in New York. Würden hier Anspruch der Marke und Wirklichkeit der Markenführung nicht auf hohem Niveau in Einklang stehen, ergäbe sich ein Bruch, wenn nicht gar eine kognitive Verwerfung. Aber für viele Apple-Kunden scheint es geradezu logisch und angemessen, dass sich „ihre“ Marke derart inszeniert. Wofür die Marke stehen sollte – darüber verliert Apple jedoch kein Wort. Wozu auch? Mancher Apfel ist eben jede Sünde wert. Apple hat als Marke also eine solche Ausnahmestellung inne, dass Sie sich von ihr inspirieren lassen, aber sie nicht unbedingt nachahmen sollten. Woran aber orientieren, wenn es darum geht, Begegnungen und Erlebnisse mit Marken zu ermöglichen? Welchen Bezugsrahmen gilt es aufzubauen, um eine Marke im Sinne der Unternehmensstrategie zu führen? Und wie sollte die Kommunikation einer Marke konzipiert werden, damit die Verbraucher mit ihr in Beziehung treten können?
Auf solche Fragen geben viele Theorien und Tools zur Markenführung Antworten. Ziel an dieser Stelle ist es keineswegs, noch eine Lösung
anzubieten, sondern die Essenz aus den Best-Practice- Case-Studies der Gewinner des Marken-Awards. Die Jury mit Vertretern aus Unternehmen, Wissenschaft, Beratung und Agenturen hat sich nicht nur ihre singulären Leistungen in Werbung oder Absatz angeschaut, sondern die Markenführung umfassend betrachtet – mit all ihren Facetten in Strategie, Kommunikation, Vertrieb und Pricing – und ihr Zusammenspiel bewertet. Unter den Gewinnern befinden sich große Konsumgüterkonzerne wie Procter & Gamble („Meister Proper“), Henkel („Syoss“) oder Beiersdorf („Nivea“) ebenso wie Familienunternehmen wie Dr. C. Soldan („Em-eukal“) oder Mast-Jägermeister. Medienhäuser wie die Süddeutsche Zeitung oder der Landwirtschaftsverlag Münster („Landlust“)haben den Preis eingeheimst, ebenso die Automobilkonzerne BMW („Mini“) und Volkswagen („Skoda“). Manche Überraschung gelang der Jury, etwa durch die Auszeichnung der bis dahin in den alten Bundesländern unbekannten sächsischen Getreidemarke „Wurzener“ oder des studentischen Start-ups „True-Fruits“ als „Beste Neue Marke“. Dienstleistungsmarken sind mit dem Marken-Award ausgezeichnet worden, etwa Air Berlin, Ergo Versicherungen und die Deutsche Bahn. Sonderpreisgewinner wie die Hilfsorganisationen „Aktion Mensch“, „SOS Kinderdörfer“ und eben der Fußballbundesligist BVB belegen, wie weit die „Ausweitung der Markenzone“, so der Titel eines Buchs von Kai-Uwe Hellmann und Rüdiger Pichler, gediehen ist.
Jedes dieser Fallbeispiele steht für sich, aber durch die Zusammenarbeit von Roland Berger Strategy Consultants und absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing ist es gelungen, die Quintessenz all dieser Siegerstorys herauszuarbeiten, gezogen aus den Erfolgsfaktoren und -strategien von 36 Gewinnern seit 2001. Sie geben Hinweise darauf, worauf es in der Hinwendung der Marke zum Verbraucher ankommt, wie viel Know-how, Herzblut und Fingerspitzengefühl vonnöten sind, damit sich die emotionale Bande zwischen Marke und Verbraucher ausbilden kann. Wie sich herausgestellt hat, ist eine Mischung aus gesundem Marketing- und Menschenverstand besonders erfolgsversprechend.
Nicht jede Geschäftschance ist es wert, genutzt zu werden
Worauf sollten Markenkapitäne demnach achten? Der Analyse zufolge müssen die Unternehmen zuerst die Bedürfnisse und Motivation ihrer Zielgruppen detailliert verstehen lernen und aus diesem Wissen die Markenwerte ableiten. Auch sollte sich eine Marke im Sinne einer „Brand USP“ vom Wettbewerb differenzieren. Nicht unbedingt im Produktnutzen, was dem alten Verständnis der Differenzierung entspricht, die aber in vielen Warengruppen kaum mehr möglich ist. Vielmehr geht es darum, ideelle und Mehrwerte zu vermitteln und sich in der Art und Weise, wie sich die Marke ins Leben der Nutzer integriert, vom Wettbewerb zu unterscheiden. Auch die Kommunikation kann ein Mittel sein, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Authentizität ist dabei Pflicht – und harte Arbeit: Henkel kann gar nicht anders, als „Syoss“ in Zukunft immer als Marke mit Friseurqualität zu erschwinglichen Preisen zu führen. Der Landwirtschaftsverlag muss bei der Zeitschrift Landlust trotz des Erfolgs gerade bei Städtern immer darauf achten, dass die Sehnsüchte auf das Landleben gerichtet werden. Brüche in der Markenführung sind zu vermeiden, und das heißt ganz häufig: Nicht jede Geschäftschance ist es wert, genutzt zu werden, und nicht jeder noch so verführerisch erscheinende Kommunikationsanlass zahlt wirklich aufs Markenkonto ein. Marken, das zeigen die Geschichten der Marken-Award-Gewinner, werden darüber hinaus besser evolutionär und nicht revolutionär entwickelt. Innovationen, etwa Line Extensions oder Submarken, müssen in Einklang mit dem Markenkern stehen. Beiersdorf ist das mit der Power Brand Nivea in der Vergangenheit mal mehr, mal weniger gut gelungen. Auf dem Ausflug in die Welt der Kosmetik mit Nivea Beauté sind die deutschen Verbraucher der Marke nicht gefolgt, die Submarke wurde wieder eingestellt. Nivea for Men allerdings ist eine Erfolgsstory, weil sie exakt und nachvollziehbar am Markenkern der sanften Hautpflege liegt.
Markenführung ist Chefsache
Natürlich sollten die Ziele der Marke mit den Zielen des Unternehmens kongruent sein, wobei aber auch zu beachten ist, dass eine Marke nicht jedem Ziel eines Unternehmens dienen kann. So ist es wirtschaftlich nachvollziehbar, dass der Papierkonzern SCA nach der Übernahme der Marke Tempo deren Absatz steigern wollte; ob die generisch für Papiertaschentücher stehende Marke aber die richtige für die Dehnung in das Segment Toilettenpapier war, mag einmal dahingestellt bleiben. Erfolgreiche Marken sind nicht nur sorgsam positioniert, sondern sie werden auch genauso gesteuert. Dazu muss es auch intern im Unternehmen stimmen. Ein wesentlicher Punkt: Markenführung ist Chefsache, ein Leadership-Thema, und sie muss nachhaltig in der Organisation sowie in allen wesentlichen Prozessen verankert werden. Die Marke wirkt von innen nach außen. Alle Mitarbeiter, und das ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe, sollten als überzeugte Markenbotschafter auftreten. Dies ist umso wichtiger, als dass exzellente Markenführung niemals das Ergebnis eines Erfolgsfaktors allein ist. Und weil die mannigfaltigen Aspekte der Markenführung orchestriert werden müssen, was nicht zuletzt auch Agenturen und andere Dienstleister einschließt, ist es hilfreich, wenn eine Marke eindeutig positioniert und die Mitarbeiter ihre Wesensmerkmale verinnerlicht haben. Neuralgischster Punkt ist sicher der Vertrieb, der unter Verkaufsdruck steht, und schon mal Verrat an den Markenwerten begeht. So ist es zum Beispiel mancher Premiummarke nicht gut bekommen, statt über den Fachhandel plötzlich über die Baumärkte vertrieben zu werden. Und nicht nur der Vertriebskanal ist entscheidend: Auch den Absatz über zu niedrige Preise zu fördern ist in der Markenführung oft keine gute Idee.
Letztlich, und da schließt sich der Kreis zu den Verbrauchern und der Situation, in welcher sie der Marke begegnen, muss der Marketing-Mix ganzheitlich betrachtet und umgesetzt werden. Dazu gehört, dass die Marke an allen Touchpoints immer das gleiche Gesicht zeigt. In der Werbung, in den Läden, im Service, im Internet und in den sozialen Medien ebenso wie in Print, TV oder auf Messen. Eine Marke muss konsistent über alle Elemente des Marketing-Mix inszeniert werden. Dabei ist für die Wahl der Kommunikationsinstrumente ausschlaggebend, wie relevant sie für die jeweilige Zielgruppe sind, und nicht, welchen kreativen Spielraum ein Kanal bietet. Dieser ist nur Mittel zum Zweck, den Verbraucher zur richtigen Zeit mit dem geeigneten Inhalt zu erreichen. Dieser Auszug aus den Erfolgsregeln der „Brand Excellence“, wie absatzwirtschaft und Roland Berger die Studie zu den Marken-Award-Gewinnern genannt haben, zeigt: Ohne Leadership im Unternehmen und konsequentes Management der Marken stellt sich kein nachhaltiger Erfolg ein. Die Kunst besteht darin, die Marke so eng zu führen, dass sie den Absichten und Zielen des Unternehmens dient, ohne jedoch dem Verbraucher die Luft zum Atmen zu nehmen. Wenn ein Unternehmen nur pusht, statt den Pull durch den Verbraucher zu animieren, tötet es jede Emotionalität im Keim. Oder um es mit den Worten von Borussia Dortmunds Chefmarketer Carsten Cramer zu sagen, der mit Blick auf die empfindsamen Fans des Vereins den Anspruch an seine eigene Arbeit formuliert hat: „Sie dürfen die Markenführung nicht spüren.“
Zuerst erschienen im Essayband „Deutsche Standards. Marke¹º„, hrsg. von Florian Langenscheidt, November 2012.