David Linn äußerte auf Befragung des Richters erneut, dass er keine Leistungen für Camaco erbracht hat. Er widersprach damit der Aussage Ruzickas. Linn habe keine Kenntnis über die behauptete Kostenauslagerung bei Aegis Media-Events gehabt. Ruzicka habe zwar die ein oder andere überraschende Zusatzinformation gehabt. Die Wertigkeit dessen könne er aber nicht beurteilen. Linn sagte, dass Aegis Media jährlich einen hohen einstelligen Millionenbetrag durch den rabattierten Verkauf von agenturspezifischen Freispots an die Werbekunden verdient hätte.
Er sprach aber auch von weiteren entgangenen Gewinnmöglichkeiten für Aegis Media. Linn ist einer der vier Treugeber von Camaco und hatte in Summe rund 2 Millionen Euro erhalten. Inzwischen soll sich Linn mit Aegis Media verständigt und eine außergerichtliche einvernehmliche Regelung mit Rückzahlung der 2 Millionen Euro getroffen haben. Linn hatte die angeklagte Summe von 51,2 Millionen Euro nachgerechnet und bestätigt, nicht jedoch ein vorsätzlich schadhaftes Verhalten seinerseits eingeräumt.
Auch Aleksander Ruzicka wurde in dieser Prozesswoche erneut befragt. Richter Bonk richtete seinen Fokus zunächst auf die behauptete Informationsbeschaffung. Dies betraf laut Ruzicka allgemein verfügbare Quellen wie Nielsen S&P aber auch ein von Aegis Media aufgebautes Informationsnetz. Staatsanwalt Wolf Jördens rückte bei seiner überraschend kurzen Befragung konkrete Fallbeispiele in den Mittelpunkt. So zum Beispiel die Scheinrechnungen, die Emerson FF an Aegis Media geschickt hat.
Allein durch deren Bezahlung sollen mehr als 30 Millionen Euro aus dem Vermögen von Aegis Media abgezogen worden sein. Aus diesen Rechnungen soll sich ergeben, dass Aegis Media „Vermittlung von Werbezeiten“ aber nicht Werbezeiten berechnet wurde. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als fraglich, dass diese Rechnungen die Buchhaltung von Aegis Media automatisch und ohne Kontrollmöglichkeit passiert haben sollen. Insbesondere wenn keine Vermittlung stattgefunden hat und den Rechnungen kein Rechtsgrund zugrunde lag, wie die Staatsanwaltschaft angeklagt und festgestellt haben will.
Aleksander Ruzicka hatte im Interview mit absatzwirtschaft als auch vor Gericht betont, dass nie Agenturgeld betroffen gewesen sei. Die Geldflüsse zu Emerson FF und weiter zu seinen Firmen Camaco und Watson seien aus Kundengeldern über die EKV-Konten bei Aegis Media erfolgt. Man habe immer strikt zwischen Agenturgeld und Kundengeld getrennt. Da kein Agenturgeld bewegt worden sei, könne Aegis Media nicht geschädigt worden sein.
Da die Kunden sämtliche Leistungen und vertragskonforme Sonderboni erhalten haben, seien auch diese nicht geschädigt worden. Für Aegis Media seien die Scheinrechnungen von Emerson FF ein Nullsummenspiel gewesen, da die Beträge 1:1 an die Kunden durchgereicht worden seien, so Ruzicka. Aegis Media könne daher keinen geldwerten Schaden erlitten haben, den die Mediaagentur behauptet.
Nach Auffassung der Wiesbadener Ermittler macht es für den Tatvorwurf der hier angeklagten Untreue jedoch keinen Unterschied ob die Scheinrechnungen von Emerson FF aus Kundengeld oder Agenturgeld bezahlt wurden. Darauf angesprochen meint Oberstaatsanwalt und Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, Hartmut Ferse, gegenüber absatzwirtschaft:
„Im zurzeit verhandelten Verfahren geht es darum, dass auf Veranlassung der Angeklagten von Aegis Media Rechnungen der Firma Emerson FF bezahlt wurden, obwohl diesen Rechnungen tatsächlich keine Leistungen zugrunde lagen. Auf die Deklarierung dieser Nichtleistung in den Rechnungen kommt es im Kern gar nicht an, da hätten auch nichtgelieferte Geländewagen oder nichtgelieferte Fernsehgeräte stehen können – nur wäre das bei einer Überprüfung schneller bemerkt worden. Diese Rechnungen wurden von Bankkonten der Aegis Media bezahlt, minderten also das Vermögen dieser Firma. Geschädigt wurde das Vermögen der Firma Aegis Media. Vermögen setzt sich aus Eigentum und Forderungen zusammen. In welcher Form Aegis Media die Übersicht über die Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden behielt, also entsprechende Buchhaltungskonten anlegte, spielt für den Untreuevorwurf ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob Rabatte Aegis Media oder ihren Kunden zustanden.”
Das würde bedeuten, dass es rechtlich betrachtet keine Kundengelder gibt, sobald die Summen auf dem Konto der Mediaagentur stehen. Egal ob die Beträge auf einem kundenbezogenen EKV-Konto gutgeschrieben werden. Diese Gelder stünden dann im Vermögen der Mediaagentur. Die Werbekunden hätten nur noch einen Anspruch auf die zweckgebundene Verwendung. Dies würde die Wirtschaftsstufe der Mediaagenturen als Treuhänder unmöglich machen. Werbekunden und OWM fordern dies jedoch seit Jahren.
Gefragt ob Emerson FF eine Art schwarze Kasse gewesen sei, meint Ferse: „Den von Ihnen gezogenen Vergleich zwischen der Firma Emerson FF und einer schwarzen Kasse finde ich nicht abwegig. Das Bilden schwarzer Kassen ist für die entsprechenden Firmenverantwortlichen Untreue“. Das Gericht klärt nun sehr akribisch was mit den Geldern geschah, die zu Emerson FF geflossen sind, wer wovon wusste und die Gelder genutzt hat.
Denn: wer mit Vermögensbetreuungspflicht Kenntnis einer schwarzen Kasse hatte oder diese genutzt hat, ist ebenfalls wegen Untreue zur Verantwortung zu ziehen. Es genügt, wenn dem Unternehmen Vermögen vorenthalten wurde. Der Bundesgerichtshof hatte am 29.August 2008 im Zuge der Schmiergeld-Affäre bei Siemens dazu ein Grundsatzurteil gefällt (2 StR 587/07).
Um zu beurteilen ob Ruzicka das Geld privat verprasst hat, oder es im Interesse von Aegis Media verwendet wurde, legt das Gericht offenbar neben den „gefühlten Größen“ bei den Rechnungen für Informationsbeschaffung besonderes Augenmerk auf die konkret bezifferbaren Events. Dazu wurde am Mittwoch eine weitere Mitarbeiterin von Aegis Media gehört.
Carmen M. sagte dem Gericht, dass Aegis Media in den Jahren 2003 bis 2005 zu den viel zitierten Jagdevents nach Ungarn eingeladen hat. In ihrer Eigenschaft als Personal Assistant von Heinrich Kernebeck und Aleksander Ruzicka habe sie für diverse Manager der Agenturgruppe, sowie deren Kunden und Gäste, ein „Rundum-Sorglos-Paket“ organisiert.
Carmen M. bestätigte Medienberichte, wonach Carat Wiesbaden Unterkünfte, Aufenthalte und Menüarrangements in einem Jagdressort im ungarischen Sokorópátka bestellt hat. Auf den Briefbögen von Carat Wiesbaden heißt es beispielsweise: „Wir kommen mal wieder mit Gästen zur Jagd nach Ungarn“ und „…benötigen zur Hirschbrunft überschlägig 17 Zimmer“. Auch die liebevolle Organisation vom Frühstück auf einem Reiterhof über Mittagessen während der Jagd bis hin zum gemeinsamen Dinner übernahm Carmen M.
Sogar die Ausstattung von Carmen M. als auch die Organisation von Schals, Jagdunterwäsche oder Aspirin für die Gäste wurde übernommen. Wie Bildmaterial und Gästelisten belegen, gehörten die Geschäftsführer von Carat Deutschland, Ungarn und Österreich oder Aegis Media Frankreich und Südafrika ebenso zu den Gästen der Jagdevents in der ungarischen Puszta, wie namhafte Manager aus der europäischen Markenartikelindustrie und deutscher Großverlage.
Wie ihr von Aleksander Ruzicka mitgeteilt worden sei, hat Carmen M. auf dem Briefbogen von Carat Wiesbaden um Abrechnung dieser Leistungen „wie gehabt“ an die angebliche Scheinfirma Watson Communication gebeten. Warum Aleksander Ruzicka die Kosten für Jagd, Verpflegung und Logis hätte privat über seine Firma Watson abrechnen wollen, wenn Carat Wiesbaden eingeladen, Leistungen bestellt und konsumiert hat, blieb zunächst offen.
Bis ein Vertrag zwischen Watson und Aegis Media auftauchte, der solche Abrechnungen auf Projektbasis regelt und von „bestellten Personen“ spricht, die Aegis Media zur Verfügung gestellt werden mussten. Dieser Vertrag wurde vom langjährigen Aegis-Finanzchef Hans-Henning Ihlefeld im Jahr 2004 erstellt. Carmen M. schilderte die Grenzen zwischen privat und beruflich als „schwimmend“.
Zwei ebenfalls befragte leitende Mitarbeiter der Buchhaltung bei Aegis Media bestätigten einerseits den Einsatz von Schecks für Rückvergütungen von Guthaben an die Werbekunden als üblich und gewollt. Andererseits erklärten sie erneut den Umgang mit den von Richter Bonk genau hinterfragten Geldflüssen in den EKV-Konten. Auf diesen werden zu Monatsbeginn die Gelder der Kunden gutgeschrieben um damit die Medienrechnungen zu bezahlen.
Die Scheinrechnungen von Emerson FF, auch für die bloße Vermittlung von Freispots, sollen hier gebucht worden sein. Auch der angeklagte Vorgang zwischen Carat und ZHP scheint sich aufzuklären. Wenn es einen Vertrag zwischen Carat und ZHP gab, der die Rückzahlung von Guthaben durch Einsatz von außertariflichen Vorteilen vorschreibt, ist der Vorwurf der Untreue in den ersten 38 der angeklagten 86 Fälle schwerlich aufrecht zu erhalten. Egal ob der Vertrag gut oder schlecht für Carat war, wie diverse Zeugen widersprüchlich aussagten.
Ob ZHP den Großteil der von Carat erstatteten rund 9 Millionen Euro zu Recht für „Beraterverträge“ an Firmen wie Camaco, Cascade, Watson oder Objektgesellschaft Haideweg 14 (geplantes Haus von Heinrich Kernebeck) weitergab, anstatt diese Gelder den eigenen Werbekunden zugute kommen zu lassen, ist hier nicht angeklagt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass bereits die Rückzahlung der Einkaufsvorteile von Carat an ZHP Untreue sei.
Zur Klärung dessen hat das Gericht den ehemaligen Geschäftsführer von Carat Wiesbaden, Sven T., geladen. Sven T. ist seit dem Jahr 2006 Geschäftsführer einer anderen Mediaagentur. Er soll den Vertrag zwischen Carat und ZHP im Jahr 2000 erstellt haben. Der Prozess ist auch in den kommenden beiden Wochen montags und mittwochs angesetzt. Die Standpunkte werden klarer. Die Beweise kommen auf den Tisch. Ein Urteil ist aber noch immer in weiter Ferne. -mz