Jährlich werden in Deutschland mehrere Millionen Tonnen genießbare Lebensmittel weggeworfen. Nicht nur Supermärkte, sondern auch Hotels und Restaurants haben am Abend noch vieles übrig, was sie ihrer regulären Kundschaft am nächsten Tag nicht mehr anbieten. An diesem Punkt setzt die App Too Good To Go an.
Bis 2016 gab es keine kommerzielle Lösung für Lebensmittel, die eigentlich noch genießbar waren, jedoch in der Mülltonne landeten. Dann gründete sich das Social-Impact-Unternehmen Too Good To Go. Mithilfe einer App können unverkaufte Lebensmittel aus Restaurants, Supermärkten oder Hotels bestellt und somit gerettet werden. Die Lebensmittel werden in sogenannte Überraschungstüten verpackt und zu einem Bruchteil des eigentlichen Verkaufspreises zur Abholung bereitgestellt. Als eine Konkurrenz zu den Tafeln sieht sich das Unternehmen dabei nicht, da es schließlich mehrere Ansätze brauche, um gegen Lebensmittelverschwendung vorzugehen.
Das Start-up leistet mit seiner App seit Jahren einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung und somit auch gegen den Klimawandel. Laut dem aktuellen Impact Report besitzt das Unternehmen inzwischen eine Community von 85 Millionen Nutzer*innen in 17 verschiedenen Ländern (Europa und Amerika). Too Good To Go hat im vergangenen Jahr dazu beigetragen, mehr als 121 Millionen Mahlzeiten vor der Verschwendung zu bewahren. Damit das Unternehmen mit seiner Vision noch mehr Menschen erreichen kann, hat es über die Jahre einige interessante Marketingkampagnen entwickelt und Marketingkanäle ausgeweitet. Wir haben Nora Walraph, Senior-PR-Managerin DACH bei Too Good To Go, dazu befragt.
Frau Walraph, welche Botschaften wollen Sie mit Ihren Werbekampagnen transportieren?
Aufklärungsarbeit ist ein wichtiger Aspekt für uns, denn durch bewussteren Umgang mit Lebensmitteln, durch erlernte Tricks zur Verlängerung ihrer Haltbarkeit oder zur richtigen Lagerung wird weniger weggeworfen. Wenn Food Waste ein Land wäre, wäre es sogar der drittgrößte Treibhausgasemittent nach China und den USA (Quelle: FAO). Das wissen viele Menschen nicht, deshalb versuchen wir mit all unseren Kampagnen darauf aufmerksam zu machen.
Kürzlich haben wir im DACH-Raum eine Kampagne in Zusammenarbeit mit Thermomix durchgeführt. Diese Kooperation konzentriert sich insbesondere auf das Kochen und darauf, wie man aus Resten leckere Rezepte zubereiten kann. Darüber hinaus nutzen wir Tage wie den Weltwassertag, den Earth Day oder auch den IDAFLW-Tag, um das Thema Lebensmittelverschwendung ins Bewusstsein zu rufen und aufzuklären.
Wie hat sich die Marketingstrategie von Too Good To Go im Laufe der Zeit entwickelt, vor allem vor dem Hintergrund des Wachstums des Unternehmens und der zunehmenden Bekanntheit der App?
Anfangs investierten wir stark in die Neukundengewinnung über Social-Media-Anzeigen (Paid UA, User Acquisition), da dies zu Beginn Priorität hatte. Zudem fokussierten wir uns auf Out-of-Home-Werbung in ausgewählten Städten. In dieser Phase sind unsere Social-Media-Kanäle sehr schnell organisch gewachsen, wobei der Content damals wie heute entscheidend ist. Mittlerweile liegt unser Fokus mehr auf der Bindung und Reaktivierung bestehender Nutzer*innen sowie Personen, die die App bereits heruntergeladen haben. Hierfür setzen wir weiterhin auf Paid UA und Influencer-Marketing.
Um effizienter und skalierbarer zu werden, haben wir eine Mischung aus lokalen und globalen Kampagnen entwickelt, um auch weltweit mit einer einheitlichen Stimme aufzutreten und über Ländergrenzen hinweg wiedererkennbar zu sein. Fest in unserer Marketingstrategie verankert, sehen wir auch die klassische PR-Arbeit, die nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und auch zukünftig einen bedeutenden Beitrag leisten wird.
Welche Marketingkanäle setzt Ihr Unternehmen ein, um seinen Botschaften zu verbreiten und die Zahl der Nutzer*innen zu steigern?
Wir setzen auf eine 360-Grad-Strategie, um unsere Zielgruppen gezielt anzusprechen. Dabei nutzen wir eine Mischung aus Paid und Earned Media sowie unsere eigenen Kanäle wie Blogs und Social Media. Da unsere Zielgruppe vielfältig ist – sie reicht von Studierenden über Familien bis zu älteren Menschen – verwenden wir verschiedene Kanäle, um neue und bestehende Nutzer*innen zu erreichen. Ältere Bevölkerungsgruppen erreichen wir über PR, während wir jüngere Menschen eher über Social Media ansprechen.
Paid UA hat sich seit Jahren bewährt, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Influencern und Content Creators, deren authentische Videos uns überzeugt haben. Besonders erfolgreich sind Tipps und Tricks zum Lebensmittelretten. Allein im Zeitraum von 2020 bis 2021 konnten wir durch virale Posts unseren Instagram-Account von 49.000 auf 220.000 Follower steigern, mit einer Post-Reichweite von bis zu zwei Millionen. Dies zeigt, dass hochwertiger Content überzeugt und Menschen auch motiviert sind, gegen Lebensmittelverschwendung aktiv zu werden.
Werden von den Marketingkampagnen lediglich die Konsument*innen angesprochen oder auch neue Food-Supplier, Restaurants und Läden?
Grundsätzlich generieren kontinuierliche Berichterstattung in den Medien sowie unsere Marketingaktivitäten eine Aufmerksamkeit, die sowohl Nutzer*innen als auch neue Partner gleichermaßen anspricht. Der Grund ist einfach: Jeder Mensch hat täglich mit Lebensmitteln zu tun, es besteht eine emotionale Verbindung zum Thema. Daher sehen wir auch, dass regelmäßige Nutzer*innen oft zu Botschafter*innen werden und Too Good To Go ihren Lieblingsgeschäften oder den Unternehmen vorschlagen, in denen sie arbeiten. Dieses organische Wachstum durch persönliche Empfehlungen ist ein wichtiger Bestandteil und zeigt, wie stark unser Konzept auch von Mundpropaganda getragen wird.
Was will Too Good To Go in den nächsten Jahren erreichen?
Wir halten weiterhin an unserem Nordstern fest, denn unsere Vision ist ehrgeizig: Wir träumen von einem Planeten ohne Food Waste. Betrachtet man die aktuelle Welt, wird deutlich, dass noch viel zu tun ist. Laut dem WWF werden 40 Prozent aller Lebensmittel nicht konsumiert, sondern landen im Müll. Es ist erschreckend zu bedenken, dass beinahe die Hälfte eines gefüllten Tellers einfach weggeworfen wird. Diese enorme Menge verdeutlicht das Potenzial – und die Herausforderung, vor der wir als Gesellschaft stehen.
Um unserem Ziel näherzukommen, werden wir nicht nur weiterhin Partner akquirieren und Nutzer*innen motivieren, sondern auch unser Angebot verbessern und ausbauen. Anfang dieses Jahres haben wir beispielsweise die Too Good To Go-Plattform eingeführt, eine B2B-Lösung für den Handel, sowie das Mindesthaltbarkeitsdaten-Management digitalisiert und so Lebensmittelverschwendung schon im Laden reduziert. Darüber hinaus haben wir kürzlich unsere Expansion nach Australien verkündet.
Das Interview wurde schriftlich geführt.