Aus München berichtet Michael Ziesmann
Es war ein kleiner Mediatag in München, doch inhaltlich relevanter als manche Podiumsdiskussion. Frostig war es. Nicht nur in München, sondern auch im Saal 2 des Oberlandesgerichts – nur wenige Meter vom Justizpalast entfernt, in dem in zwei Wochen bei der „Langen Nacht der Medien“ auch diese Klage für Gesprächsstoff sorgen dürfte. So beschäftigt der Umgang mit Kickbacks der Medien an Mediaagenturen erstmals ein Oberlandesgericht.
Danone hatte die Aegis Media-Tochter Carat Ende 2007 auf Weiterleitung von agenturbezogenen Rabatten verklagt, die der Mediaagentur von den TV-Vermarktern IP Deutschland und Seven One Media auf Kundenbasis gewährt worden sind. Danone bezieht sich dabei auf die Jahre 2003 bis 2005.
Das Gericht folgte der Auffassung von Danone, wonach der Milch-Multi erst durch die skurrilen Umstände am Beginn der Ruzicka-Affäre über Art und Umfang der Agenturrabatte erfahren hat. Danone war in Deutschland bis zum Oktober 2006 Kunde der Aegis Media-Tochter Carat. Danone wurde auf Basis eines Vertrages aus dem Jahr 1999 betreut, der im Jahr 2003 ergänzt wurde. Kern des Rechtsstreites ist Punkt 2.2.10 dieses Vertrages, in dem es heißt: „Carat ist gehalten, für den Kunden alle am Markt realisierbaren Vorteile zu erzielen, die im Rahmen der gemeinsamen Geschäftsbeziehung erzielbar sind, und diese in voller Höhe an den Kunden weiterzuleiten. Wirtschaftliche Vorteile, die weder Tarifbestandteil der Medien noch marktüblich sind, aber dennoch von Carat beim Media-Einkauf durchgesetzt werden, werden in voller Höhe an den Kunden weitergegeben.“ Das Landgericht München hatte am 30.3.2009 in einem ersten Teilurteil über Auskunft zum gesamten Rabattvolumen als Berechnungsgrundlage für die eingeklagte Rückzahlung zugunsten von Danone geurteilt. Carat hatte dagegen berufen. Am Mittwoch trafen die Parteien vor dem Oberlandesgericht München aufeinander.
Der 7.Senat unter Vorsitz von Richter Martin Kainz stellte einleitend fest, dass die Klage weder verjährt noch eine Überleitung des Vertrages an eine andere Aegis Media-Tochter für ihn erkennbar sei. Für das Gericht gäbe es Überschneidungen zwischen agenturbezogenen und kundenbezogenen Rabatten. Beide Rabattformen könnten nicht voneinander getrennt werden, da sie nicht ausreichend voneinander abgegrenzt seien. Der Kern des Streites, Punkt 2.2.10. des Kundenvertrages, sei auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Der Absatz habe für den Senat durchaus Bedeutung. Dieser Absatz könne nicht ins Leere laufen, wie Carat argumentiert habe. Jedoch ließ der Senat Zweifel daran erkennen, ob für die Umsetzung dessen eine Auskunft im von Danone geforderten Umfang nötig sei. Diese Dimension wird Danone sicher nicht beanspruchen können, so Richter Kainz. Es sei ein diffiziler Bereich, wenn man die Anteile von Danone anteilig vom Agenturvolumen berechnen würde. Budgets lassen sich verschieben, ohne dass Danone direkten Einfluss darauf habe, so der Senat. Richter Kainz ließ erkennen, dass der Senat eine prozentual anteilige Berechnung am Agenturvolumen nicht sieht.
Carat, mit zwei Anwälten, einem eigenen Juristen und Pressesprecherin anwesend, erteilte hiernach überraschend die von Danone geforderte Auskunft. Danone wurde schriftlich mitgeteilt, dass die Beklagte Carat Wiesbaden keine Medialeistungen für Danone erbracht hat. Demzufolge könnten auch keine Rabatte nachzuzahlen sein. Es sei der Wunsch von Danone gewesen, von Carat Ismaning betreut zu werden, weshalb sich Carat Wiesbaden für nicht zuständig hält. Richter Kainz äußerte nachdrücklich, dass die Auskunft nicht durch Tricks oder operatives Herumschieben unterlaufen werden könne. Aegis-Anwalt Johann-Christoph Gaedertz verwahrte sich gegen den Vorwurf, dass bei seiner Mandantin etwas herumgeschoben werde. Carat schiebe nichts herum. Danone wollte von Carat Ismaning betreut werden. Gaedertz verwies auf umfangreichen Schriftverkehr des damaligen Mediadirektors von Danone, Thomas P. Der Senat verwies seinerseits auf Schriftwechsel mit Aegis Media in Wiesbaden und den damaligen Einkaufsgeschäftsführern.
Richter Martin Kainz hielt fest, dass beide Parteien nicht das bekommen könnten, was sie wollen. Danone fordere alles für sich und lege den strittigen Vertragspunkt vollständig zu ihren Gunsten aus. Das könne es auch nicht sein, so Kainz. Der Senat ließ erkennen, dass Danone eine angemessene Beteiligung an den kundenbezogen gewährten Agenturrabatten fordern könne. Knackpunkt dabei sei die Größenordnung. Allein die Berechnung dessen auf den letzten Cent und drei Stellen nach dem Komma, sei schwer umsetzbar. Richter Kainz wollte die Parteien wohl zu einem Vergleich führen. Denn, so Kainz, auch wenn sie in ein paar Jahren wieder hier sitzen, löst das das Problem nicht. Einen pro-rata Anteil am Agenturvolumen, auf Basis des eigenen Werbebudgets von rund 70 Millionen Euro pro Jahr, könne Danone auch nicht erwarten.
Danone, mit einem Juristen und dem Leiter der Rechtsabteilung vertreten, führte aus, dass derzeit gar keine Berechnung möglich sei, da die geforderte Auskunft über die Berechnungsbasis nicht erteilt wird. Die Größenordnung der Forderung von Danone könne nur angenommen oder geahnt werden. Irgendwas zwischen drei und 30 Millionen Euro, fügte die Klägerin hinzu. Sämtliche Vergleichsversuche zwischen den Geschäftsführern beider Parteien seien daran gescheitert, dass Carat keine konkrete Summe des gesamten Rabattvolumens nennen wollte. Deshalb sei eine anteilige Berechnung weder seriös, transparent oder bilateral möglich.
Aegis Anwalt Gaedertz erwiderte: Danone seien von Carat mehr Rabatte verschafft worden als dies allen anderen Agenturen möglich gewesen sei. Dies habe eine Analyse von Media-Audits ergeben. Es sei Danone gewesen, die Carat zuletzt auf 70 Prozent Rabatt getrieben hätten – mehr als alle anderen Kunden. Danone habe kein Honorar gezahlt und klage nun sogar noch die Vertragsstrafe ein. Das Vorgehen von Danone sei scheinheilig. Da Danone selbst mit den Medien verhandelt habe, würden sie bereits wissen, was sie als Auskunft einfordern. Danone würde die Situation ausnutzen und so viele Geschäftsgeheimnisse wie möglich öffentlich diskutieren. Zudem könne es sein, dass Danone mehr Rabatte bekommen hat, als ihr anteilig zustanden, so Gaedertz. Danone erwiderte: Dann legen sie es offen!
Auch mit dieser Auskunft sei eine Berechnung schwierig, so Gaedertz, da sich Rabatte nicht linear entwickeln würden. Auch für die Agentur sei das Rabattvolumen der Jahre 2003 bis 2005 auf dieser Basis schwer zu errechnen. Der Danone Rechtsanwalt hielt Gaedertz die anonym eingebrachte Anzeige gegen den ehemaligen CEO von Aegis Media, Aleksander Ruzicka, vor. Darin nennt Aegis Media ein jährliches Rabattvolumen von 200 bis 250 Millionen Euro. Die Anzeige wurde von Gaedertz als Anonymus am 5.Juli 2005 der Staatsanwaltschaft Wiesbaden zugespielt. Sie ist die Basis der nicht rechtskräftigen Verurteilung von Ruzicka vor dem Landgericht Wiesbaden.
Auch der Senat ließ Schwierigkeiten bei der Festlegung der Berechnungsbasis erkennen. Richter Kainz ortete notleidende Vertragsbestimmungen und dürftige Regelungen bei der Einordnung und Aufteilung von wirtschaftlichen Vorteilen. Danone: Ziel des Vertrages sei es eben gerade gewesen, dass Kunden nicht alles wissen sollen. Carat würde den Sachverhalt mit dutzenden Aktenordnern verschleiern und verkomplizieren. Die geforderte Auskunft sei auf zwei Seiten möglich. Danone vermisst den guten Willen bei Carat. Carat wirft Danone Scheinheiligkeit vor.
Der richterliche Vorschlag eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers traf bei Carat auf wenig Gegenliebe. Auch dieser würde sich zunächst nicht mit der Materie auskennen. Zudem könnten nicht die Jahresvereinbarungen der Jahre 2003 bis 2005 erneut verhandelt werden. Danone: Alles kann verglichen werden, aber auf konkreter Basis. Carat strebt offenbar eine Lösung für den gesamten Rechtsstreit an. Dazu gehört eine weitere Klage von Danone. Darin fordert der Milch-Multi von Carat eine Vertragsstrafe für das Jahr 2006 ein. Carat habe die vertraglich garantierten Leistungsziele im Jahr 2006 verfehlt. Danone fordert dem Vernehmen nach einen einstelligen Millionenbetrag, der von Carat vertraglich garantiert worden sein soll. Carat favorisiert eine kaufmännisch sinnvolle Lösung des Gesamtpaketes. Es sei nicht sinnvoll, so etwas vor Gericht klären zu wollen.
Richter Martin Kainz nannte diesen Fall ziemlich ungetoppt. Kainz ließ erkennen, dass es sich um ein generelles Problem zwischen Werbekunden und ihren Mediaagenturen handeln könne – dieses müsse ihm jedoch vorgetragen werden. Eine Auskunft im von Danone geforderten Umfang wird es wohl nicht geben. Jedoch kommt offenbar auch eine Klageabweisung nicht in Betracht. Danone und Carat können nun erneut schriftlich vortragen. Der 7.Senat des Oberlandesgerichts München wird am 23.Dezember um 9 Uhr den Entscheid verkünden. Es sei denn, die Parteien finden bis dahin eine Einigung im Wege eines Vergleichs. Die frostige Atmosphäre zwischen Carat und Danone scheint dies jedoch unmöglich zu machen. Immerhin gab es eine Einigung: Ein Zwangsgeld gegen Carat ist vom Tisch. Danone hatte bereits versucht, das erstinstanzliche Urteil zu vollstrecken. Richter Kainz nannte diese Beschlüsse des Erstgerichts defizitär und nicht zielführend.