Es war ein Schock für viele Franzosen, als die ersten Ergebnisse der Regionalwahl vom 6. Dezember bekannt wurden: Rund 28 Prozent konnte der rechtsextreme Front National in der ersten Runde der Regionalwahlen auf sich vereinen. Die Partei war damit zur stärksten Kraft des Landes geworden. Parteichefin Marine Le Pen jubilierte.
Eine Woche später ist sie etwas stiller geworden, denn in der Stichwahl am Sonntag konnte die Partei keine der Regionen schlußendlich für sich gewinnen – auch dank eines Bündnisses von Linken und Konservativen. Für einen Moment sind die Rechten ausgebremst, doch gestoppt ist die Partei keinesfalls.
Es ist nicht nur die Frustration über die etablierten Parteien, die dem Front National die Erfolge im ersten Wahlgang bescherten. Zu den Wähler gehören längst nicht mehr nur die Ewiggestrigen. Den schrillen Rechtsextremismus ihres Vaters hat sie entfernt, sie gibt sich demokratisch. Marine Le Pen ist für viele wählbar geworden, die sich von dem plumpen Extremismus der Vergangenheit abgeschrecken ließen. Der gefährliche Relaunch einer Marke.
Die Partei als Marke
Dass sich Marken und Parteien durchaus miteinander vergleichen lassen, weiß auch Markenexperte Karsten Kilian, Professor für Markenmanagement: „Gemeinsam ist Parteien und Marken, dass sie von Menschen gemacht werden. Insbesondere sehr personenzentrierte Marken, zum Beispiel Apple mit Steve Jobs oder Virgin mit Richard Branson, lassen sich am ehesten mit Parteien vergleichen.“
Parteien verkauften ein Konzept oder ein Idee, sagt Kilian: „Ihr Erfolg hängt deshalb maßgeblich davon ab, ob die Führungsmannschaft die eigenen Wähler erreicht und wie sie ihnen die Ideen der Partei erklärt und verargumentiert.“ Was für Parteien Wahlveranstaltungen und Fernsehauftritte sind, seien für Unternehmen Werbespots und Medienberichte, erklärt Kilian.
Gemeinsam sei Produktanbietern und Parteien zudem, dass sie beide markiert werden, sagt der Markenexperte: „Sie haben einen Namen, ein Logo, eine bestimmte Farbgebung und werden von ausgewählten Personen repräsentiert. Sie haben Mitarbeiter bzw. Mitglieder. Beide nutzen gestaltete Unterlagen und setzen stark auf die mediale Beeinflussung ihrer Zielgruppe. Beide wollen – auf ihre Art – gewählt werden.“
Auch der Front National setzt auf eine starke Führungspersönlichkeit in Form von Marine Le Pen. Ihr es ist gelungen, was dem Vater nicht gelang: „Frau Le Pen ist eine Meisterin der Camouflage“, meint Stefan Bajohr, Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Sie spielt die anständige Bürgerin und hat ihre Partei Kreide fressen lassen. So konnte sie den Front National vom Schmuddelimage befreien und den Eindruck einer ideologischen Mäßigung erwecken.“ Kern ihrer Politik bleibe aber der Hass auf alles, was nicht in das Weltbild des Front National passe, so Bajohr.
Wie der Relaunch funktioniert
Anders als ihr Vater hat sich Le Pen beispielsweise vom Antisemitismus distanziert, auch in Bezug auf Homophobie hielt sie sich in der Vergangenheit zurück. Doch das seien taktische Manöver, die ihre eingeschworenen Anhänger nicht ernst nähmen, meint Politikwissenschaftler Bajohr: „Le Pen selbst schwadroniert auch jetzt wieder von einer angeblichen internationalen Homosexuellen-Lobby. Der Front National will die französische Gesellschaft spalten und die europäische Friedensordnung aus den Angeln heben. So etwas würden die Französinnen und Franzosen unter normalen Umständen nicht honorieren.“ Den Erfolg im ersten Wahlgang verdanke die Partei dem Versagen der Integrations- und Beschäftigungspolitik, den islamistischen Terroristen, den flüchtlingsfeindlichen Eliten in vielen Ländern Europas und der erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung, fasst Bajohr zusammen.
Die Positionierung des Front National zeige sich auch im „Markenauftritt“, meint Markenexperte Karsten Kilian: „Front klingt sehr kriegerisch und bring damit die kämpferische Haltung der Partei zum Ausdruck. Das ist leider ziemlich gut gemacht.“ Das in den französischen Farben gehaltene, flammende Logo passe dazu. „Und dann noch, ganz zeitgemäß, eine Frau an der Spitze“, so Kilian, „Das ist ein Bündel an Signalen, das offensichtlich viele Wähler verführt.“
Vom Denkzettel zur Substanz
Langfristig reiche ein starker Name samt Logo allerdings nicht aus, so Kilian: „Wähler lassen sich teilweise kurzfristig blenden, vor allem, wenn sie sich mit einer Sache nur oberflächlich beschäftigen. Auch wählen einige ganz bewusst aus Protest einmalig eine andere Partei, oft nicht, weil sie sie gut finden, sondern weil sie die Alternativen als schlechter finden bzw. als festgefahren einstufen bzw. ihnen einfach mal einen Denkzettel geben wollen.“ Mit der Zeit zeige sich aber, ob etwas Substanz habe oder nicht, meint Kilian: „Das Gleiche gilt für Markenprodukte. Einmal verkaufen ist nicht entscheidend, sondern es geht darum, loyale Kunden zu finden – und an sich zu binden. Das geht nur mit Substanz.“
Die gefährliche Substanz des Front National hat im zweiten Wahlgang nicht für einen Sieg gereicht. Gebannt ist die Gefahr allerdings nicht. Denn dass sich viele aus der sogenannten Mitte täuschen lassen, mache ihm am meisten Sorge, erklärt Politikwissenschaftler Stefan Bajohr: „Denn mehr als Glatzköpfe in Springerstiefeln müssen wir, worauf schon Adorno hinwies, die Rückkehr der Faschisten in der Maske von Demokraten fürchten.“