Freude, Furcht, Fokus 

Die Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius verrät das Rezept für den optimalen Cocktail aus Neurotransmittern, den das Gehirn braucht, um erfolgreich zu lernen – garniert mit praktischen Neurohacks zum Selbstanwenden.
Friederike Fabritus übers erfolgreich Lernen
Friederike Fabritius ist Neurowissenschaftlerin, Autorin und Leadership-Expertin. (© Jacqueline Eustachi)

Frau Fabritius, was lernen Sie gerade, was Sie noch nicht können? 

Niederländisch. Eigentlich wollte ich für meine Kinder eine Sprach-App herunterladen, damit sie ihr Englisch und Französisch nicht vergessen, und da gab es dann ein Familienabo – so lerne ich nun jeden Tag fünf Minuten. 

Und im Beruflichen? 

Da versuche ich aktuell, meine E-Mails nicht im Urlaub zu checken. Zugegeben, hier geht es mehr um das Verlernen einer Gewohnheit denn um das Erlernen von etwas gänzlich Neuem. 


Zur Person

Friederike Fabritius ist Neurowissenschaftlerin, Autorin und Leadership-Expertin. Als Alumna der Managementberatung McKinsey & Company schlägt sie die Brücke zwischen Hirnforschung und Management und arbeitet für das Top-Management internationaler Marken wie Bayer, Siemens und Trivago. 


Frau Fabritius, der Mensch das Gewohnheitstier. Wieso fällt uns das Aufbrechen von Gewohnheiten eigentlich so schwer und was passiert da im Gehirn? 

Eine Gewohnheit ist nichts anderes als ein starkes neuronales Netz zwischen verschiedenen Synapsen und Neuronen, das sehr oft verwendet wurde. Je häufiger ich eine Tätigkeit ausübe, desto stärker wird das entsprechende neuronale Netz. In der Lernforschung gibt es dazu einen Merksatz: „Neurons that fire together, wire together.“ Und da unser Gehirn von Haus aus energieeffizient agieren will, übersetzt es möglichst viele Aktivitäten in Gewohnheiten – „Use it or lose it“ lautet hier das Motto. Dagegen kostet eine neue Gewohnheit unser Gehirn erst mal Energie. Meistens fehlt dabei zudem der Spaßfaktor und damit der nötige Dopaminkick. 

Kommen wir vom Verlernen von Gewohnheiten zum aktiven Lernen: Was sind die wichtigsten neurobiologischen Mechanismen für erfolgreiche Lernprozesse? 

Für einen optimalen Lernerfolg brauchen wir die richtige Mischung aus Freude, Furcht und Fokus. Denn diese drei Zutaten sind die perfekten Trigger für den Cocktail aus Neurotransmittern, den das Gehirn braucht, um lern- und leistungsfähig zu sein. 

Wie sieht dieses Cocktailrezept im Detail aus? 

Freude ist wichtig, damit Dopamin ausgeschüttet wird. Einfach ausgedrückt: Ich lerne besser, wenn ich gute Laune habe. Im beruflichen Kontext gilt es für Führungskräfte, eine positive Atmosphäre für ihr Team zu schaffen. Ein deutlich unterschätzter Quick Win am Arbeitsplatz ist Humor. Denn das Allerwichtigste für Lernerfolge ist der emotionale Zustand, jeder Mensch braucht die sogenannte Psychological Safety. 

Wofür brauchen wir dann die Furcht? 

Hier geht es um die Ausschüttung des Neurotransmitters Noradrenalin. Auf einen konkreten Lernvorgang bezogen, ist der Zustand einer leichten Überforderung ideal. Dazu passt, dass Menschen oftmals die besten Ideen kurz vor einer Deadline haben. Oder andersherum: Wenn ich mich langweile, alles immer nach Plan läuft und keine Veränderung passiert, dann findet auch kein Lernen statt. Denn unser Gehirn fragt sich dann, warum es sich anstrengen sollte. Die große Herausforderung ist es, den optimalen persönlichen Stresspunkt zu finden. Dieser ist bekanntlich von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, was wiederum für den Unternehmenskontext sehr relevant ist. 

Inwiefern? 

Führungskräfte, die viel Stress aushalten, müssen verstehen, dass Menschen aus ihren Teams nicht automatisch auf einem ähnlichen Stressniveau gute Ergebnisse erzielen. Das hat nichts mit der absoluten Lern- und Leistungsfähigkeit zu tun, sondern rein mit dem optimalen Stresspegel jedes und jeder Einzelnen.  

Bleibt noch der Fokus. 

Beim Fokus geht es um den Neurotransmitter Acetylcholin. Dieser wird ausgeschüttet, wenn wir wirklich konzentriert bei der Sache sind. Wir sind heutzutage viel zu sehr abgelenkt, E-Mails und Soziale Medien kidnappen unser Dopaminsystem geradezu, das ist ein riesiges Problem für unser Gehirn. Wir brauchen die fokussierte Aufmerksamkeit ohne Ablenkung. Falls Ihnen das schwerfällt, empfehle ich Ihnen ein Meeting mit sich selbst. Das heißt: Kein Multitasking, Handy aus, E-Mail-Programm zu, „Nicht stören“-Schild an die Tür oder was auch immer. Es geht letztlich darum, sich in einen Flow-Zustand zu versetzen. 

Was kennzeichnet einen solchen Flow? 

Im Hier und Jetzt zu sein, die Zeit zu vergessen, zu lieben, was man tut, und dabei einen Produktivitäts-Boost spürbar zu erfahren. Im Flow-Zustand können Menschen fünfmal schneller lernen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das im Job ein wirklicher Wettbewerbsvorteil ist. Das beste Beispiel dafür sind Menschen, die offensichtlich Höchstleistungen erbringen – ob im Profisport, in der Kunst oder in der Wirtschaft. Das sind alles Menschen, die wissen, wie sie sich in einen Flow-Zustand bringen.  

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Friederike Fabritius findet, wir lenken uns heute beim Lernen viel zu sehr ab. (© Jacqueline Eustachi)

Was machen Menschen beim Lernen am häufigsten falsch? 

Sie erliegen einem Trugschluss. Lernen ist ein emotionaler und kein rationaler Vorgang. Viele Menschen denken, es sei genau andersherum. Das ist enorm wichtig zu verstehen, insbesondere in Bezug auf das Lernen im Beruf. Denn wenn mich neu zu erlernende Arbeitsinhalte langweilen oder ich sie mir nur aneigne, weil meine Führungskraft das will, dann lerne ich bei weitem nicht so gut, als wenn ich emotional involviert wäre. Der entscheidende Punkt beim Lernen ist, einen persönlichen Bezug zu dem jeweiligen Thema herzustellen.  

Wie können wir das Belohnungssystem unseres Gehirns nutzen, um uns für das Lernen neuer beruflicher Fähigkeiten zu motivieren? Süßigkeiten oder Afterwork-Partys allein dürften ja eher nicht reichen … 

Externe Belohnungen stimulieren natürlich ebenfalls das Dopaminsystem. Aber hier ist Vorsicht geboten: Wenn ich den Dopamin-Trigger zu sehr externalisiere, dann lerne ich oft nur für die Belohnung. Und das Gelernte verschwindet dann relativ schnell wieder, sobald dieser Meilenstein erreicht ist. Das kennen viele vielleicht noch aus der Uni-Zeit, wenn man für bestimmte Prüfungen gelernt hat. Man lernt dann im Grunde für die Klausur und nicht fürs Leben. 

Was ist die Lösung? 

Ein Ansatz wäre das sogenannte Double-Loop Learning. Lernen muss aktiv sein, denn die passive Aufnahme von Informationen ist oftmals nicht stark genug. Wir lernen umso besser, wenn wir anderen etwas beibringen. Wenn ich als Führungskraft meine Teams schule, dann lerne ich unter Umständen sogar mehr als sie. Auch die richtige Lernumgebung am Arbeitsplatz spielt eine wichtige Rolle. 

In Zeiten von New Work und nicht zuletzt durch die pandemiebedingte Homeoffice-Tendenz wird das althergebrachte Konzept des Büros vielerorts neu gedacht. Woran sollten Unternehmen dabei aus neurowissenschaftlicher Sicht zwingend denken? 

Das Allerwichtigste sind Zonen, in denen Menschen ungestört arbeiten können. Sie müssen sich ja nicht gleich jeden Tag darin einsperren, aber sie sollten solche Rückzugsorte temporär nutzen können. Das wäre ideal für produktives Arbeiten und effektive Lernprozesse. Denn selbst wenn in Großraumbüros alle leise arbeiten, kann die Umgebung störend sein. Soziale Reize triggern das Gehirn besonders stark, sind sie auch noch so klein. Für konzentrierte Lernphasen ist das absolut kontraproduktiv. 

Der Trend geht aktuell aber eher Richtung Großraumbüro und Interaktion. 

Das hat dosiert auch absolut seine Berechtigung. Kreativität entsteht oft erst durch den Austausch mit anderen Menschen. Und für diesen Zweck muss es genauso auch Interaktionszonen geben, in denen man bestenfalls zufallsgesteuert in den Austausch kommen kann. 

Verraten Sie uns zum Schluss noch ein paar praktische Neurohacks, die wir morgen direkt anwenden können? 

Bewegen Sie sich, wann immer Sie können! Bewegung verbessert die Durchblutung und es kommt mehr Sauerstoff im Gehirn an. Auch ausreichend Schlaf ist enorm wichtig für erfolgreiches Lernen. Jeder Mensch benötigt mindestens sechs Stunden pro Nacht, und zwar mehrfach hintereinander. Denn die Übertragung des Gelernten ins Langzeitgedächtnis ist erst nach zwei bis drei Nächten abgeschlossen. Achten Sie zudem auf die richtige Ernährung. Zu viel Zucker und verarbeitete Lebensmittel sorgen für Entzündungsprozesse im Gehirn und mindern unsere Denkleistung. Mein Rat: viel Gemüse, gute Fette und ausreichend Proteine, idealerweise am Mittag. Und für alle Kaffeetrinker habe ich abschließend noch eine gute, aber auch eine schlechte Nachricht. 

Die gute zuerst bitte und dann die schlechte. 

Kaffee kann die Leistung des Gehirns kurzfristig tatsächlich steigern! Allerdings tritt dieser Effekt nur ein, wenn man nicht so an Koffein gewöhnt ist. Wer jeden Tag drei Becher Kaffee trinkt, ist schon so abhängig, dass die Menge immer wieder benötigt wird, allein um keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Empfehlenswert wäre also, einen koffeinhaltigen Kaffee ausschließlich vor einer womöglich anspruchsvollen Gehirnleistung zu trinken. Nur dann hätte man einen Booster, der den Lerneffekt positiv beeinflussen würde. 

Gemäß des sogenannten Mozart-Effekts soll nach dem Anhören eines bestimmten Stücks von Wolfgang Amadeus Mozart, um genau zu sein die Sonate D-Dur für zwei Klaviere, KV 448, eine vorübergehende Leistungssteigerung in der visuell-räumlichen Verarbeitung auftreten. Wilde Legende oder wissenschaftlicher Lernhack? 

Ganz konkret auf Mozart bezogen kann ich das nicht sagen. Aber allgemein ist bekannt, dass Musik und Lernen im Gehirn seit Urzeiten verknüpft sind. Bevor Menschen Sprache beherrschten, hatten sie sich Dinge schon durch Rhythmen gemerkt. Musik ist nichts anderes als ein Muster oder ein Rhythmus. Und wir können uns Dinge sehr gut aneignen, wenn wir sie aufbrechen. Das bekannteste Beispiel dafür sind Telefonnummern, die wir in kleine Teile zerlegen und diese dann wie einen Rap nach einem bestimmten Rhythmus lernen. 

Rein subjektiv kann ich die Frage übrigens auch bestätigen. Wenn ich mich konzentriere, höre ich fast immer Musik – allerdings nicht Mozart, sondern Bach. 

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.