Unschlüssig steht Melanie im Supermarkt. Prüfend lässt die 35-jährige Hausfrau ihren Blick über das Gemüseregal schweifen. Ihr Mann hat ihr angekündigt, Kollegen von ihm kämen zum Abendessen und Melanie soll für sie kochen – leider weiß sie noch nicht, wie viele Gäste es sein werden, wieviel genau sie einkaufen muss. „Ach, was soll’s“, murmelt Melanie und greift einfach zu, häuft Gurken, Paprika, Tomaten, Zucchini großzügig in ihren Einkaufswagen; die Regale sind ja gut bestückt und lieber kauft sie mehr ein, als zu wenig. Und wenn was übrigbleibt, weil sie zu viel eingekauft hat, schmeißt sie’s eben weg.
Verschwendung, Überproduktionen, Transportwege
So dekadent wie Melanie verhalten sich leider viele Verbraucher im wohlgenährten Deutschland. Satte zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen bundesweit pro Jahr im Müll, das geht aus einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtshaft (BMEL) hervor. Der Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht mit 52 Prozent – 6,1 Millionen Tonnen – in privaten Haushalten, so das BMEL; jeder Verbraucher wirft demnach rund 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg.
Ein anderer Grund für diese Verschwendung sind Überproduktionen der Lebensmittelindustrie. Das begänne bereits bei der Landwirtschaft informiert die Verbraucherzentrale auf ihrer Webseite: „Hier werden zum Teil Lebensmittel, die nicht den Marktbestimmungen entsprechen, erst gar nicht geerntet. Wenn Form, Größe oder Farbe von den Anforderungen der Abnehmer (Verarbeiter, Großhandel, Handel, Verbraucher) abweichen, ist der Absatz nicht gesichert.“
Bei langen Transportwegen und Lagerung schaffe es zudem nicht jedes Lebensmittel, frisch und unversehrt an das Ziel zukommen. „Der Anspruch, zu jeder Zeit alles frisch zur Verfügung zu haben, führt zu einem großen Angebot und letztlich auch zu Überproduktion“, beklagt die Verbraucherzentrale. „Um den Verbrauchern das volle Sortiment anzubieten, muss der Großhandel alle Lebensmittel auf Vorrat halten, um den Einzelhandel kurzfristig Ware zuliefern. In der Folge werden Lebensmittel, die ihre Frische verlieren, und Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum bald erreicht ist, frühzeitig aussortiert.“
Motatos erschafft eigene „Zero Waste„-Marke
Letztlich alles eine Folge des westlichen Wohlstandsprinzips, das ärmeren Ländern gänzlich unbekannt ist. Doch mit der zunehmenden Digitalisierung zeichnet sich eine Lösung ab, ist Alexander Holzknecht überzeugt. Der 38-Jährige ist Deutschland-Chef des 2014 in Schweden gegründeten Online-Lebensmittel-Start-ups Motatos, das der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagt. Motatos rettet Lebensmittel aus Überproduktionen vor der Entsorgung, indem sie online zu vergünstigten Preisen weiterverkauft werden. „Konkret läuft es so, dass wir internationalen Lebensmittelproduzenten Produkte abkaufen, die zum Beispiel aufgrund von Verpackungs- und Produktionsfehlern oder saisonalen Trends nicht im Supermarkt verkauft werden können und sonst weggeschmissen würden“, erklärt Holzknecht. Damit trage Motatos „zur nachhaltigen Reform globaler Lebensmittelsysteme bei, die in den UN-Nachhaltigkeitszielen definiert ist“.
Außerdem hat Motatos die eigene „Zero Waste“-Marke „By Motatos“ erschaffen, deren Produkte ebenfalls nur online erhältlich sind. „Es handelt sich dabei um Basislebensmittel wie Pasta, Olivenöl und verschiedene Konserven, die unser sonstiges Sortiment gut ergänzen“, sagt Holzknecht, demnächst kämen noch einige vegetarische Produkte hinzu.
Motatos spendet Teil des Bruttogewinns an NGO
Motatos bezieht alle Waren werden von zentralen Standorten. Es werden keine neuen Chargen produziert, bis das letzte Produkt verkauft wurde. „Neben der Rettung von Lebensmitteln wollen wir damit auch auf die Ineffizienz traditioneller Wertschöpfungsketten aufmerksam machen und eine Lebensmittelmarke etablieren, die ohne Überproduktion und Verschwendung wertvoller Ressourcen auskommt“, sagt Holzknecht.
Und das ist noch nicht alles. Ein Prozent des Bruttogewinns aus dem Verkauf aller „By Motatos“-Produkte, mindestens aber 9000 Euro pro Jahr, gehen an die internationale Nichtregierungsorganisation „Das Hunger Projekt e.V.“. Es handelt sich dabei um ein globales Netzwerk, das sich über 23 Länder erstreckt, in denen „Programme zum Empowerment der Menschen vor Ort“ umgesetzt werden, sagt der gebürtige Innsbrucker.
Motatos rettete bereits 25.000 Tonnen Lebensmittel
Das Prinzip von Motatos scheint erste Früchte zu tragen, wie Deutschland-Chef Holzknecht mit einigen Zahlen andeutet: „Stand Mai 2021 haben wir insgesamt 25.000 Tonnen vor der Entsorgung retten können.“ Allein in Deutschland stehen wir schon bei über 3500 Tonnen. „Das sind 3,5 Millionen Kilogramm einwandfreier und im eigentlichen Sinne genießbarer Produkte, die wir mit unserem Modell zurück in den Wertschöpfungsprozess holen konnten“, sagt Holzknecht. Und genau dort gehören sie nach Ansicht des Motatos-Managers auch hin.