Finanzbranche im Umbruch

Niedrigzinsen, veraltete IT, gleichgültige Kunden, Überregulierung: Etablierte Finanzhäuser durchleben schwere Zeiten. Nun machen ihnen auch noch Fintechs das Leben schwer. Deren Zukunft ist allerdings auch nicht uneingeschränkt rosig. Die neuen und die alten Player am Markt können sich entweder alleine durchwurschteln (schlecht) oder auf neue Allianzen setzen (besser).
Die Investition in Fintechs ist ungebremst. Und China setzt auf die neue Finanzbranche

Von Vera Hermes

Es ist doch so: Kein Mensch geht gern zur Bank. Menschen gehen zur Bank, weil sie einen Bedarf haben. Wollen sie Geld anlegen, haben sie meist das mulmige Gefühl, vielleicht doch über den Tisch gezogen zu werden. Beantragen sie einen Kredit, fühlen sie sich als Bittsteller. In ihrem Alltag spielt eine Bank nur dann eine Rolle, wenn sie in mit künstlichen Zimmerpalmen mühsam aufgehübschten Automatenhallen Geld aus der Maschine ziehen. Oder wenn sie von wo auch immer ihre Finanzen via Onlinebanking regeln. Eine innige, loyale Beziehung ist das nicht.

Die mangelnde Kundenbindung ist nur ein Problem der deutschen Banken. Zu dieser hausgemachten Misere kommen noch hinzu: Die Niedrigzinspolitik, die ihre Margen zerstört. Die nach der Finanzmarktkrise losgetretene Regulierungslawine, die sie langsamer und bürokratischer macht. Und der Nachholbedarf in puncto Digitalisierung, der sie technologieseitig unter enormen Druck setzt. „Das ist zusammengenommen ein echt übler Cocktail für traditionelle Banken“, sagt Prof. Dr. Jürgen Moormann, Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School of Finance & Management.

Die Folgen werden derzeit nahezu täglich in den Nachrichten behandelt: Die Commerzbank baut in den
kommen
den vier Jahren über 7 000 Stellen ab, will 80 Prozent ihrer Prozesse digitalisieren und sich für 1,1 Milliarden Euro umbauen. Die Deutsche Bank ist dermaßen skandalgeschüttelt, dass die „FAZ“ über ihr mögliches Ende spekuliert. Volks- und Raiffeisenbanken sowie Sparkassen melden immer häufiger Fusionen, die sie effizienter machen sollen. Die Probleme in der Finanzwirtschaft werden zunehmend in den Städten sichtbar: Es gibt immer weniger Bankfilialen. Laut Bundesbank fiel ihre Zahl im Jahr 2015 um 1 257 auf 34 045 Tendenz: rapide sinkend.

Lieblinge der Medien

Als hätten die Banker nicht sowieso schon genug Kummer, drängen jetzt auch noch die Fintechs als neue Wettbewerber auf den Markt. Die Start-ups – angetreten, um mit intelligenter Technologie die Finanzbranche umzukrempeln – sind zum Liebling der Medien avanciert, versprechen sie doch günstigere Konditionen, kundenorientiertere Prozesse und kürzere Wege als die etablierten Finanzinstitute. Sie sind digital, schnell und hip, via Smartphone immer verfügbar, in Echtzeit, einfach und freundlich. Was für ein Unterschied!

In vielen Fällen handelt es sich um eine Handvoll fotogener junger Gründer, die in coolen Locations voller Esprit und Energie daran arbeiten, in einem speziellen Segment des Bankengeschäfts genauso gut oder besser zu sein als die Traditionshäuser. Was ihnen durchaus auch gelingt: Die Riester-Sparpläne des mit der Sutor Bank kooperierenden Fintech-Unternehmens Fairr zum Beispiel schneiden in Tests regelmäßig gut ab. Das Start-up Transferwise aus London ermöglicht erheblich kostengünstigere Auslandsüberweisungen als etablierte Anbieter. Über Vaamo lässt sich schnell – und laut „Wirtschaftswoche” mit hohem Kundennutzen – Geld anlegen. (Siehe dazu auch den Artikel auf Seite 10). Und so gibt es etliche agile Fintech-Start-ups, die den großen Banken in einer kleinen Nische die Stirn bieten.

90 Prozent werden verschwinden

Allerdings: „Ökonomisch betrachtet    tendiert der Marktanteil der Fintechs gegen null; angesichts der Medienpräsenz könnte man aber denken, dass sie die Bankenwelt schon übernommen haben”, bilanziert Finanzexperte Peter Barkow. Ihm zufolge tummeln sich derzeit 405 Fintech-Unternehmen auf dem deutschen Markt. Und Venture-Capitalists sorgen mit frischem Geld dafür, dass immer neue starten. Die Markteintrittsbarriere sei nicht besonders hoch, erklärt Barkow. Eine gute Idee, gepaart mit einer ausgeklügelten Technologie – und ab ins Netz damit. Nun wächst aber die Zielgruppe nicht in derselben Geschwindigkeit wie die Zahl der Anbieter. Weshalb die Kundenakquisitionskosten gestiegen sein dürften. „Es ist teuer, in erheblichem Maße Kunden zu generieren. Das unterschätzen viele Fintech-Unternehmen”, sagt Barkow. Schätzungen zufolge werden bis zu 90 Prozent der ambitionierten Neugründungen früher oder später wieder in der Versenkung verschwinden. Weil sie aufgekauft werden, fusionieren oder schlicht pleitegehen.

Kunden? Bisher nicht relevant!

In der Finanzbranche treffen also zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite agieren die etablierten Banken. Sie sind zu langsam, haben eine teils hoffnungslos veraltete IT („Die arbeiten teilweise noch mit Cobol”, kichert ein Fintech-Chef) und meist auch noch die falsche Einstellung. „Banken denken immer noch vom Produkt und nicht vom Kunden her”, moniert Moormann. Die Fintechs machten es umgekehrt, und genau das sei ihr großer Wettbewerbsvorteil. Viele von Moormanns Studenten mit abgeschlossener Banklehre kommen mit super Kenntnissen über sämtliche Produkte an die Uni, der Kunde aber ist in ihrer betrieblichen Ausbildung so gut wie gar nicht vorgekommen. „Dieses Wissen war bisher für die Banken nicht relevant”, so Bankexperte Moormann. Allerdings ändere sich diese Haltung gerade, denn in den vergangenen ein, zwei Jahren sei bei Bankmanagern das Bewusstsein sprunghaft gestiegen, dass man sich schleunigst digitalisieren und innovativer, agiler werden müsse. Doch gerade Banken sind schwerfällige Organisationen mit gefestigten Strukturen und Prozessen. Gearbeitet wird in Silos, Innovationsprozesse sind im Regelbetrieb nicht vorgesehen, eine Forschungs-und-Entwicklungs-Abteilung existiert nicht.

Auf der anderen Seite mühen sich die Fintechs. Ihnen fehlt eine breite Kundenbasis und Bekanntheit, sie bieten in der Regel nur ein beschränktes Angebot und es mangelt ihnen an Erfahrung mit branchenspezifischen Prozessen. Laut Experten verfügen nach aktuellem Kenntnisstand überhaupt nur zwei deutsche Fintechs über eine Vollbanklizenz – N26, vormals Number 26, sowie die auf das B-to-B-Segment spezialisierte Solarisbank.

Alle anderen arbeiten letztlich als Mittler zwischen Kunden und Finanzinstituten, was ihnen, nebenbei erwähnt, eine Menge Bürokratie erspart. „Viele nennen sich Fintechs, obwohl sie genau genommen gar keine Fintechs sind, sondern eher Onlinemarketing betreiben”, sagt Mark Miller, Geschäftsführer der M&A-Beratung Catcap. Miller ist überzeugt, dass die Fintechs die Finanzbranche zwar verändern werden, es allerdings diejenigen schwer haben werden, die die Banken mit bankgleichen  Produkten zu schlagen versuchen.