„Bitte löschen Sie die E-Mail, die wir ihnen heute Vormittag zugeschickt haben. Darin hatte sich ein Daten-Fehler eingeschlichen. Verwenden Sie bitte ausschließlich die Informationen aus dieser E-Mail. Vielen Dank.“ Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Manche sind vergleichsweise leicht zu beheben wie dieser. Andere sind schwerwiegender – trotz einer vermeintlich offenen Fehlerkultur.
So wie der Wells-Fargo-Skandal, der im Jahr 2016 öffentlich bekannt wurde. Wells Fargo ist eine der größten Banken in den USA. Mitarbeiter der Bank hatten damals ohne Zustimmung der Kunden Millionen von Bankkonten und Kreditkarten eröffnet. Sie taten dies, um aggressive Verkaufsziele zu erreichen und Boni zu erhalten. Der Skandal führte zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Kunden sowie rechtlichen und finanziellen Konsequenzen für das Unternehmen. Letztlich wurden rund 5.000 darin involvierte Mitarbeitende und Führungskräfte entlassen und das Unternehmen musste eine Strafe von rund drei Milliarden US-Dollar zahlen.
Doch nicht nur extremer Zeitdruck oder übermotivierte Vertriebsziele können zu Fehlern führen. Fallstricke lauern im Business-Alltag überall. Christian Seeringer, Business Partner für Brand & Transformation Strategy der Strategieberatung diffferent, sieht das größte Fehlerpotenzial vor allem in drei Bereichen: beim interdisziplinären Arbeiten, dem asynchronen Arbeiten und bei komplexen Projekten.
Insbesondere durch zu viele gleichzeitige oder zu schnell aufeinander folgende Veränderungen und die damit einhergehende Change-Müdigkeit werden Mitarbeiter*innen fehleranfällig „Die kognitive und emotionale Energie, die in die Bewältigung der Veränderung fließt, fehlt dann für die tägliche Arbeit“, sagt Seeringer.
Direkte Kommunikation ist zielführender
Nach den Erfahrungen des Experten werden in den meisten Unternehmen Konflikte und direkte Konfrontation auf individueller Ebene vermieden oder sie werden in kollektive Lösungen überführt. Beispielsweise kann in einem Unternehmen die Unachtsamkeit einiger weniger Kolleg*innen wiederholt zu Fehlern in der Produktion führen. Wenn die Reaktion der Vorgesetzten dann so aussieht, dass im gesamten Unternehmen daraufhin eine Kampagne zu mehr Aufmerksamkeit im Arbeitsprozess plakatiert wird, wäre das wenig hilfreich.
„Hier wäre die direkte Kommunikation im Zweifelsfall sowohl zielführender als auch wertschätzender für alle Beteiligten – kostet aber Überwindung und wird deshalb häufig umgangen.“ Für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern ist Seeringer zufolge zunächst wichtig, die Art und Ursache des Fehlers zu identifizieren und zu differenzieren: Verstößt beispielsweise ein*e Mitarbeiter*in gegen definierte Regeln, sollten die Ursachen erforscht werden und gemeinsam an deren Behebung gearbeitet werden – in der Annahme, dass keine Person absichtlich den Fehler begangen hat, sondern aus Unwissen, Zeitmangel, fehlender Aufmerksamkeit oder Zielkonflikten.
Viele Unternehmen fördern Experimente und ermutigen Mitarbeitende Neues auszuprobieren – mit dem Ziel, damit möglichst erfolgreich zu sein. Doch dabei passieren häufig Fehler, weil sie zu einem Lernprozess dazu gehören. „Die getroffenen Entscheidungen stellen sich nachträglich als falsch heraus? Auch das ist ein Ergebnis, das sich im weiteren Prozess nutzen lässt und einen Erkenntnisgewinn bringt“, sagt Seeringer. Eine Situation, die in Unternehmen immer wieder vorkommt.
Offene Feedbackkultur nötig
Auch im Otto-Konzern kennt man sich mit dem Erproben von Neuem und Veränderungsprozessen bestens aus. Nicht nur nach außen hat sich der einstige Katalog-Versandhändler verändert, auch intern wandelt sich der heutige E-Commerce-Riese stetig. Vor acht Jahren hat man hier einen „Kulturwandel 4.0“ gestartet und von Beginn an als offenen Prozess deklariert, ohne definiertes Ende. Hauptsächlich geht es darum, permanent Gewohntes zu hinterfragen und die Art und Weise wie man zusammenarbeitet, so zu gestalten, dass man weiterhin als Unternehmen zukunftsfähig ist. „Der Kulturwandel ist nie vorbei“, sagt Bianca Lammers, Division Manager vom Kulturwandel 4.0-Team der Otto Group. In diesem Prozess gebe bezüglich der Fehlerkultur auch keine vorgefertigten Muster, sondern man „lerne sich voran“.
Der Umgang mit Fehlern gehört bei Otto zu einem Lernprozess dazu. „Es geht nicht um die einzig richtige oder perfekte Lösung. Es braucht den Mut, schnelle – und somit vielleicht auch einmal falsche – Entscheidungen zu treffen, Dinge auszuprobieren, andere Wege zu gehen“, sagt Lammers.
Wie Unternehmen mit Fehlern umgehen, ist generell höchst individuell. Die hohe Kunst ist es, aus den Fehltritten zu lernen und sie künftig zu vermeiden. Dafür ist eine Feedback-Kultur enorm wichtig. Im Otto-Konzern wird diese kontinuierlich weiterentwickelt. Bereits zu Beginn des Kulturwandel-Prozesses wurden FuckUp-Nights initiiert, ein Mut-Festival ausgerichtet und dialogische Feedback-Tools etabliert. Retrospektiven, in denen Projekte gemeinsam reflektiert und die Zusammenarbeit darin besprochen wird, gehören bei Otto zum Arbeitsalltag.
Fehlerkultur: Chance zum Lernen
„Fehler kann man nicht vermeiden, nur minimieren“, ist sich Lammers sicher. Die Herausforderung dabei: In manchen Kontexten sind Experimente nicht zielführend, vielmehr gilt es dann, wohlbewährtes Wissen verantwortungsvoll anzuwenden. In anderen Zusammenhängen wiederum kann die Strategie, so schnell wie möglich zu lernen, überlebenswichtig sein. Dann heißt es bezüglich der Fehlerkultur, lieber den Fehler so früh wie möglich machen, um nicht unnötig Zeit mit der falschen Maßnahme zu verlieren.
Allerdings ist ein solches Vorgehen für viele Mitarbeitende oft ungewohnt, denn so werden Menschen in der Regel nicht sozialisiert. Laut Lammers kann es daher durchaus hilfreich sein, Fehler zu feiern und einen bewussten Umgang mit Fehlern als wichtige Lernchance zu etablieren. Gleichzeitig warnt die Expertin aber davor, in die Falle zu tappen und FuckUp-Nights oder Preisverleihungen für den lehrreichsten Fehler zu einem Show-Effekt verkommen zu lassen. „Wenn das ‚Fehler feiern‘ nicht authentisch ist, merkt das die gesamte Organisation und man erzielt den gegenteiligen Effekt“, sagt Lammers. Regelmäßige Retrospektiven in einem vertrauten Rahmen sind nach ihrer Erfahrung ein gutes Instrument, um das Thema „Fehlerkultur“ als Organisation anzugehen.
Ob fehlende Buchstaben auf einem Werbeplakat, missverstandene Briefings oder ein Monteur, der die Heizung beim falschen Kunden wartet: Fehler passieren. Und nur in den allerseltensten Fällen steckt Absicht dahinter. Firmen sind also gut beraten, sich auf den resultierenden Erkenntnisgewinn zu konzentrieren. Eine offene Kommunikation und regelmäßiges Feedback können Unternehmen helfen, die Fehler-Ursachen zu erkennen, und nach und nach abzustellen. Nach Einschätzung von Seeringer ist es wichtig, im Sinne von „Psychological Safety“, eine Kultur des Experimentierens zu schaffen, „in der Fehler nicht als Versagen, sondern als Chance zum Lernen interpretiert werden.“