Von Anne-Kathrin Velten
Ein T-Shirt für drei Euro, die passende Jeans für knapp zehn Euro. Der irische Modehändler Primark hat das Preisniveau im europäischen Modemarkt extrem abgesenkt. Das setzt selbst erfolgsverwöhnte Firmen wie Hennes & Mauritz (H&M) und Zara unter Handlungsdruck. Spürt das mittlere Preissegment seit Jahren einen Kostendruck, ist der Preiskampf nun im Billigsektor angekommen. Über Jahrzehnte war H&M führend bei schneller und erschwinglicher junger Mode. Ausgerechnet in ihrem 70. Geschäftsjahr rufen die Schweden aufgrund schwacher Zahlen den Krisenmodus aus. Sie müssen noch agiler werden und Preise abermals senken.
Durch Günstig-Ketten wie Primark oder TK Maxx tauschen deutsche Konsumenten ihre Kleidungsstücke ständig aus. Laut Greenpeace wird die Hälfte aller Kleidungsstücke ein Jahr getragen, jedes fünfte nie. Am Ende jeder Kollektion entstehen hohe Altkleiderberge. Der Gedanke an Nachhaltigkeit setzt beim Modekonsum hierzulande aus. Eine Million Tonnen Textilien landen 2018 bei den Zweitverwertern. Experten prognostizieren: Der Trend zu „Fast Fashion“ wird noch zunehmen.
In Berlin eröffnete Primark seine bislang modernste Filiale in Deutschland. Mit seiner hohen Schlagzahl bei Kollektionen setzt der Modediscounter selbst Branchengrößen wie H&M unter Druck.
Produktion kommt zurück
Die Folge: Unternehmen müssen kontinuierlich neue Ware auf den Markt bringen. Eine aktuelle McKinsey-Umfrage zeigt, dass 98 Prozent der Unternehmen ihren Abverkauf beschleunigen wollen. Je schneller und unkomplizierter Kunden an modische Waren kommen, umso mehr Teile könnten die Firmen zum vollen Preis verkaufen. Das gilt sowohl für den stationären als auch für den Online-Handel. Wer zu langsam reagiert oder produziert, verpasst einen Trend schnell gänzlich. Das Verbraucherverhalten hat sich innerhalb von zwei Jahren völlig verändert, so die McKinsey-Berater. Kunden entdecken Trends in sozialen Medien, kaufen Mode über ihr Smartphone und erwarten, Trendstücke nahezu zeitgleich in den Händen halten zu können.
Die Schnelllebigkeit der Branche bringt auch die Produktion zurück nach Europa und Nordamerika. Noch steht „Made in China“ in den meisten Kleidungsstücken. Allerdings kann in der Türkei eine Jeans bereits um drei Prozent günstiger produziert werden als in Asien. Das liegt an geringeren Transport- und Einfuhrkosten. Eine Jeans aus Mexiko hat sogar zwölf Prozent niedrigere Gesamtkosten. Der Hauptgrund für eine Rückverlagerung der Produktion – das sogenannte Nearshoring – ist die kurze Lieferzeit. Modeunternehmen können so auf Trends schneller reagieren und Kollektionen agiler anpassen. Ein Kleidungsstück aus Südostasien braucht 30 Tage bis Deutschland, aus der Türkei reichen drei Tage. Ein in Mexiko gefertigtes T-Shirt ist in einem Tag auf den US-amerikanischen Markt.
Marketing muss lauter werden
So schnell die Ware in den Geschäften oder in den Online-Shops ist, so schnell muss der Kunde davon aber auch erfahren. Das Modemarketing kann sich lange Trenddiskussion oder das Planen großer Kampagnen nicht mehr leisten. Es muss lauter, aggressiver und spontaner werden. Genauso wenig wie in Kampagnen darf in Kollektionen mit 40 bis 50 Einzelteilen gedacht werden. Einzelprodukte verkaufen sich besser als gesamte Outfits. Auch die Trendbeobachtung muss sich grundlegend neu aufstellen. Leitmedien wie Musiksender oder Zeitschriften bilden neueste Entwicklungen nicht mehr ab. Die Trends geben Influencer online vor.
Der jährliche Höhepunkt des Fast-Fashion-Trends steht Ende November bevor. Beim „Black Friday“ am 23. November werden Fast-Fashion-Modemarken wie Primark, Zara oder H&M mit den Preisen stark heruntergehen. Die Onlinemodehäuser von Amazon bis Zalando werden diese noch einmal unterbieten. An Abverkaufstagen war das Modemarketing schon immer laut und aggressiv. In der neuen Modewelt sind Rabatttage nun Alltag.