Die angesagte Häkel-Jacke von Fendi, das Hemd im Tropen-Print von Versace, die Baumwollhose mit futuristischen Motiven von Paco Rabanne: Die neuesten Trends der Fashion-Industrie finden trotz der Corona-Pandemie ihren Weg in die Läden. Modeschöpfer finden per Livestream und digitalen Plattformen Wege, ihre neuesten Kollektionen der Fashion-Welt zu präsentieren. Normalerweise sind die Kleider der Laufstege schon nach wenigen Wochen auf der Stange verfügbar. Und trendbewusste Konsumenten strömen in die Filialen, um ihren Kleiderschrank auf den neuesten Stand zu bringen. Dieses Jahr ist die Nachfrage so niedrig wie lange nicht.
Corona stürzt Modebranche in die Krise
Neben der Gastronomie, der Hotellerie und Fluggesellschaften ist auch die Modeindustrie einer der größten Verlierer der Corona-Pandemie. Anders als bei Toilettenpapier und Seife handelt es sich bei Häkeljacken und Blumenprinthosen nicht um ein überlebenswichtiges Konsumgut. Und wer seine Zeit nur zu Hause verbringt, wird wohl kaum seine Louis-Vuitton-Tasche im Wohnzimmer herumführen. Die größten Verluste mussten laut McKinsey-Report „State of Fashion 2020“ Unternehmen der Anlassmode hinnehmen. So ging etwa der Verkauf von Brautkleidern und Anzügen um mehr als 60 Prozent zurück. Bei Damenkleidern verzeichnen Unternehmen einen Rückgang von mehr als 50 Prozent und bei Outdoor-Kleidung für Männer 49 Prozent. Die Bilanz der Studienautoren: 80 Prozent der europäischen Modeunternehmen befinden sich in finanzieller Not.
Auch mit der Wiedereröffnung der Läden kommt der große Shopping-Boom nicht zurück. Das derzeitige Klima ist aufgrund der hohen Kurzarbeitsrate, Arbeitslosigkeit und weiteren Einschränkungen im Alltag nicht besonders konsumfreundlich. Boutiquen und große Modelabels sind also gleichermaßen gefragt, Kunden neue Anreize zu bieten – und damit auch selbst die eigene Liquidität aufrechtzuerhalten.
Filialbetrieb und Webshop verzahnen
Abhilfe bieten intelligente Technologien, um die Customer Journey auch in Krisenzeiten zu verbessern und das Einkaufen wieder attraktiv zu machen. Zudem helfen Tools dabei, Personal, Warenbestände und Lieferantenverträge optimal zu managen und die finanzielle Sicherheit aufrechtzuerhalten. Aufgrund der sinkenden Nachfrage sitzen Händler derzeit auf hohen Lagerbeständen. Die Warenbestände lassen sich einfach umsortieren – von der Filiale in den Onlineshop. Gleichzeitig können Verkäufer Bestellungen direkt aus dem Ladenlokal verschicken. Um manuelles Umsortieren zu vermeiden, gilt es, Prozesse zu optimieren und eine übergeordnete Sicht auf die Bestände zu gewinnen: Online- und Filialsystem müssen ineinandergreifen und zu einem Bestandssystem zusammengeführt werden.
Nike macht es vor: Das Sport-Label hat im Onlinegeschäft hohe Umsätze erzielt – trotz Filialschließung. Auch die Modekette H&M verzahnt den stationären Einzelhandel mit ihrem Onlineangebot und schafft ein harmonisches Omnichannel-Erlebnis für ihre Kunden. Dabei hilft der Einsatz von zentralisierten Cloud-Plattformen Unternehmen, Produkte besser zu verwalten und Kunden eine ideale Customer Journey zu bieten. Mit intelligenter Allokation lassen sich zudem Ware oder überschüssige Bestände genau da einsetzen, wo Unternehmen steigende Nachfragen erwarten. Passende Algorithmen sorgen für automatisierte Prozesse, ein integriertes Bestandsmanagement bündelt die Nachfrage von Lieferanten, Partnern und Kunden.
Balance zwischen Agilität und Stabilität schaffen
Die stark volatile Marktlage erfordert zudem ein intelligentes Liquiditäts- und Kostenmanagement. Nur wer Cash-Flow und Liquidität in Echtzeit im Blick hat, kann potenzielle Risiken rechtzeitig erkennen und erforderliche Stellschrauben zur Sicherung der Liquidität drehen. Das sichert nicht nur in der aktuellen Situation die eigene Existenz. Auch nach überstandener Krise lassen sich mögliche Nachfrageeinbrüche simulieren, erste Engpässe entlang der gesamten Lieferkette identifizieren, Personalkosten ermitteln und die Kundenzufriedenheit feststellen – mithilfe einer gemeinsamen Datenbasis auf einer zentralen Plattform.
Doch nicht nur die Volatilität des Marktes fordert Modeunternehmen derzeit. Auch der Wettbewerb durch Online-Händler und die Geschwindigkeit, in der auf Kundenwünsche reagiert werden muss, steigen. So gilt es heute mehr denn je, die individuellen Wünsche der Konsumenten vorauszuahnen und genau zu kennen. Und mithilfe intelligenter Softwarelösungen die Kunden über alle Kanäle individuell anzusprechen. Etwa mit Sonderangeboten, um die Lagerware doch noch zu abverkaufen, anstatt darauf zu hoffen, dass die Mode im nächsten Jahr auch noch Anklang bei der Kundschaft findet.
Lieferkette der Zukunft: flexibel und transparent
Weil der weltweite Lockdown aktuell viele Zulieferer ausbremst, muss auch beim Supply Chain Management ein Umdenken stattfinden. Denn laut aktueller Händlerbund-Studie haben 52 Prozent der befragten Zulieferer und Partner Schwierigkeiten, ihre Leistungen zu erbringen. Und die Situation dürfte sich so schnell nicht ändern. Die Folge: Verzögerte Lieferungen, stornierte Aufträge, leere Lager. Was sonst als perfekt eingespieltes und global verzweigtes System funktioniert, ist derzeit sehr unübersichtlich. Ob, wann und in welcher Menge Distributoren Ware liefern können, wird schwerer absehbar. Lieferketten zwischen Deutschland und Asien sind stark in Mitleidenschaft gezogen.
So gewinnt ein transparenter Blick auf die gesamte Lieferkette an Bedeutung, um potenzielle Risiken frühzeigt zu identifizieren und die operative Lieferfähigkeit sukzessive zu verbessern. Modeunternehmen können dann zeitnah auf verändertes Nachfrageverhalten reagieren, etwa indem sie Bestellungen und Kapazitäten gezielt an die neuen Marktbedingungen anpassen. So müssen Modehändler ihre Aufträge nicht Monate im Voraus stornieren, um die Lagerbestände zu begrenzen.
Der Autor:
Achim Schneider ist Leiter der Retail Industry Business Unit bei SAP. In dieser Rolle leitet er ein globales Team von Einzelhandel- und Technologieexperten und ist verantwortlich für strategische Lösungen, Partnerbeziehungen und Markteinführungsstrategien.