Durch Marktsegmentierungen wird Kapital vernichtet. Eine provokante These, die Sie da aufstellen. Was treibt Sie dazu?
OHNEMUS: Die heutigen Flopraten, zu denen es trotz großer Ausgaben für Marktforschung kommt, empfinden wir als unerträglich. Speziell die konventionelle Marktsegmentation hat sich als risikoreich herausgestellt. Umfangreiche Studien von Professor Ehrenberg auf Basis von Nielsen-Daten zeigen, dass die Unterschiede zwischen Marken äußerst gering sind, was Einstellungen, soziodemografische Merkmale und andere Bestimmungsfaktoren von Konsumenten angeht. Das gilt auch in Deutschland. Nehmen Sie die Fixprodukte-Marken Maggi und Knorr. Beide bieten mit „Gelingsicherheit“ und „Convenience“ identische Benefits, und auch die Verwender sind fast Zwillinge. Wenn Sie jemanden an der Kasse fragen, welche Tütensuppe gekauft wurde, werden Sie signifikante Fehlzuordnungen erleben.
Wie muss die Marktforschung reagieren?
OHNEMUS: Wir wissen heute mehr als vorgestern. Deshalb muss Marktforschung verfrühte Standardisierung aufgeben und aktuelles Marketing-Wissen nachlernen. Neue Erkenntnisse für die Marktsegmentierung zeigen Auswege aus der Misere. Sich auf veraltete Annahmen zu verlassen kann für den Markenerfolg tödlich sein.
Stellen Sie den Sinn von Segmentationen generell in Frage?
OHNEMUS: Nein, Marktsegmentationen sind ein starkes Instrument, aber eben nur, wenn man sie richtig anwendet. Brauchbare Ergebnisse liefern nur multikausale Forschungsansätze. Dafür sind mehr Informationen zu erheben und zu analysieren, als dies Standardsegmentationen leisten, denn wo die interessanteste strategische Option für die jeweilige Marke in ihrer konkreten Marktsituation liegt, kann man vorher nicht wissen.
Sie sagen, konventionelle Marktsegmentationen seien besonders risikoreich. Welche Belege haben Sie dafür?
OHNEMUS: Viel zu viele Aktivitäten am Markt sind Flops – nicht zuletzt hervorgerufen durch falsche Segmentationsansätze, die von fein segmentierten Bedürfnissen ausgehen oder aber Milieu-Ansätze über alle Fragestellungen stülpen. Statt den Markt und die Verbraucher wirklich zu verstehen, werden hier durch irreführende Annahmen und problematische Rechenoperationen mutmaßliche Konsumenten-Zielgruppen definiert, die tatsächlich gar keine echten Zielgruppen sind, weil sie sich für die Marktbearbeitung als ungeeignet oder irrelevant herausstellen.
Wie kommen Sie darauf, dass Marktsegmentation kontraproduktiv sei?
OHNEMUS: Wenn Sie sich auf ein eindimensionales Segmentationsverfahren beschränken, versperren Sie sich die eigene Sicht. Nehmen wir als Beispiel ein Verfahren, das auf soziodemografischen Merkmalen beruht. Unser Kunde ist demnach 1948 geboren, aufgewachsen in Großbritannien, verheiratet, hat zwei Kinder, ist beruflich erfolgreich, vermögend und berühmt, er mag Hunde und liebt die Alpen. Diese Beschreibung trifft auf Prinz Charles zu. Aber wissen Sie, auf wen noch? Zum Beispiel auf Ozzi Osbourne. Wir müssen nicht lange darüber nachdenken, dass diese beiden außer ihren soziodemografischen Merkmalen nur wenige Gemeinsamkeiten haben und vor allem kaum ein ähnliches Konsumverhalten aufweisen. Das verstehen wir unter kontraproduktiv.
Sie kritisieren besonders die Methode der Benefitsegmentation. Warum?
OHNEMUS: Benefitsegmentation ist häufig ein Irrweg, wie sich immer dramatischer zeigt. Dies kann aber bei den üblichen Analysemethoden nicht sichtbar werden. Diese künstlich vergrößerten Unterschiede erweisen sich in der Praxis eben häufig nicht als handlungsrelevant – und andere sehr viel bedeutsamere strategische Optionen werden übersehen. Bei der Benefitsegmentation geht man davon aus, dass unterschiedliche Marken unterschiedliche Benefits besetzen müssen, um unique zu sein.
Das klingt doch schlüssig.
OHNEMUS: Ist aber irreführend, denn Konsumenten wollen nicht nur einen Benefit, sie möchten häufig mehrere gleichzeitig: eine Zahncreme, die vor Karies, Parodontose und vor Zahnstein schützt. Wenn Sie sich auf einzelne Benefits beschränken, zum Beispiel Kariesschutz, segmentieren Sie zu kleinteilig, und der Kunde greift zum nebenstehenden Konkurrenzprodukt. So hat Odol Med3 dem Wettbewerber Blendamed die jahrzehntelange Marktführerschaft entrissen. Oder nehmen Sie das Drama im Mobilfunk und die Versuche, über Benefits zu segmentieren mit „Ein Plus verbindet“. So stürzt E-Plus in die Bedeutungslosigkeit.
Wie müsste E-Plus stattdessen operieren?
OHNEMUS: Vielleicht gar nicht segmentieren, sondern die Verwenderbedürfnisse erstmal ideal erfüllen. Base ist da ein gutes Beispiel: Vereinfachung durch bessere Kostentransparenz undkontrolle. Das könnte man zusätzlich auch als Beweis für eine faire Kundenbeziehung vermarkten. Aber das wird verschenkt, indem man unter einer Nebenmarke antritt – und damit E-Plus zum Funknetz degradiert.
Wie lautet Ihre Alternative zum Benefit-Ansatz?
OHNEMUS: Bei Existenz mehrerer Marken mit ähnlichem Nutzenversprechen ist für das Marketing-Management entscheidend, einen möglichst breiten, mehrere Nutzen belegenden und nicht leicht imitierbaren „Reason why“, also einen überlegenen Leistungsbeweis für den zentralen Kaufgrund, zu finden. Aufgabe der Marktforschung ist somit, diesen „Reason why“ zu finden. Cremissimo ist ein gutes Beispiel, denn dort wurde ein alternativer Mechanismus gefunden, um den versprochenen Genuss zu beweisen: die Cremigkeit. Der Erfolg stellte sich ein, Cremissimo wurde Marktführer, und zwar mit deutlichem Abstand vor Mövenpick. Die zwei wichtigsten Marken im Markt der Hauspackungen von Eiscreme besetzten somit den gleichen Benefit, nämlich Genuss. Mit Benefitsegmentationen wie Superbe, Maxims, Carte D’Or und so weiter kam Langnese nicht voran. Der Erfolg kam erst mit einer neuen Beweisführung, einem relevant differenzierenden „Reason why“.
Marktforscher kritisieren häufig, dass nicht falsche Segmentationsergebnisse die Ursache für Marken-Misserfolg seien, sondern fehlerhafte Markenführung und Umsetzung. Was sagen Sie dazu?
OHNEMUS: Falsche Ansätze in der Marktforschung führen zu wirkungslosen Marketing-Kampagnen. Da sollen sich Marktforscher nicht rausreden. Allerdings wird auch noch von zu vielen Marketing-Verantwortlichen eine Benefitsegmentation ausdrücklich gewünscht – und präjudiziert damit das Ergebnis. Das Interview führte Roland Karle.
Ralph Ohnemus ist CEO des Marktforschungsunternehmens Konzept & Analyse AG.