Beginnen wir grundsätzlich: Nachhaltig leben, das will fast jede*r − aber was genau bedeutet das eigentlich? Nachhaltig zu handeln meint, durch den eigenen Verbrauch das Ökosystem nicht dauerhaft zu schädigen, also beispielsweise nicht mehr Holz zu verbrauchen, als nachwächst, oder nicht mehr Meerestiere zu fischen, als sich vermehren können. Es bedeutet aber auch, die Regenerationsfähigkeit des Menschen zu erhalten. Diese Dimension – die soziale Nachhaltigkeit – wird häufig nicht berücksichtigt, und das obwohl sie genauso wesentlich ist wie die ökonomische und die ökologische Nachhaltigkeit.
Bei der sozialen Nachhaltigkeit geht es um gute Beziehungen: zu sich selbst, zu anderen und zur eigenen Tätigkeit. Letztere besteht darin, seine Arbeit beziehungsweise seine Handlungen als sinnhaft zu erleben. Mit der guten Beziehung zu anderen sind im beruflichen Kontext alle Geschäftspartner*innen gemeint. „Das umfasst also auch Zuliefer*innen und Mitarbeiter*innen, nicht etwa nur Kund*innen“, betont Esin Bozyazi, Professorin für Sustainable Entrepreneurship an der IU und Mitgründerin des Instituts für soziale Nachhaltigkeit (ifsn.eu). In so einer guten Beziehung werde auf Augenhöhe kommuniziert, Diversity und Geschlechtergerechtigkeit seien also selbstverständlich Teil davon. „Insgesamt geht es um Kollaboration“, erklärt Bozyazi, „also darum, gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Transparenz, zum Beispiel auch beim Gehalt, denn das vermeidet Neid.“
Die drei Säulen der sozialen Nachhaltigkeit (Mensch − die gute Beziehung zu sich, Kollaboration − die gute Beziehung zu anderen, auch zur Natur, und Sinn − die gute Beziehung zur eigenen Tätigkeit) wirken stets aufeinander ein, sie beeinflussen sich gegenseitig. „Wichtig ist es also, ein Gleichgewicht in dieses Dreieck zu bringen“, sagt Bozyazi.
Warum sozial nachhaltiges Handeln wirtschaftlich ist
In Zeiten von Fachkräftemangel und einer sich rasant verändernden Arbeitswelt samt Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten hat soziale Nachhaltigkeit für Unternehmen eine besonders hohe Relevanz. Schließlich arbeiten zufriedene Mitarbeiter*innen effektiver und sie sind seltener krank. „Wenn es sich für sie sogar anfühlt, als wäre es ihr eigenes Unternehmen, ist das der Optimalfall“, sagt Bozyazi. Diese Mitarbeiter*innen würden auch höchst selten den Job wechseln. Sprich: Durch soziale Nachhaltigkeit werden gute Leute gebunden. Außerdem hat das Unternehmen Vorteile bei der Suche nach Talenten. „Um diese Vorteile möglichst effektiv auszuspielen, wird die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ja auch immer gemessen“, so Bozyazi.
Soziale Nachhaltigkeit zahlt also auf Employer Branding ein, aber nicht nur: Auch Marken können von ihr profitieren. Immerhin wollen zunehmend mehr Menschen durch ihren Konsum einen Beitrag zu einer besseren Welt leisten. Besonders wichtig ist das der jüngeren Generation. Entsprechend erfolgreich sind Marken, die durch ihr Produkt einen Missstand beseitigen wollen, zumindest solange der Kauf keinen Verzicht bedeutet oder sich anfühlt wie die schlechtere Alternative.
Zu diesen Marken zählt Share. Für jedes verkaufte Produkt wird eine ähnliche Leistung oder ein ähnliches Produkt an einen Menschen in Not gespendet. Wer einen Schal kauft, spendet einen weiteren Schal an ein von Armut bedrohtes Kind in Deutschland, wer eine Flasche Wasser kauft, spendet einem Menschen einen Tag lang sauberes Trinkwasser, für ein Schreibheft wird eine Schulstunde gespendet. Das Unternehmen ist in den Jahren seit der Gründung rasant gewachsen. Die vier Gründer*innen brachten 2018 drei Produkte – Wasser, Müsliriegel und Seife – auf den Markt, heute, keine vier Jahre später, arbeiten bei Share mehr als 100 Beschäftigte, es gibt mehr als 100 Produkte. Mit einem ähnlichen Konzept ist Toms erfolgreich: Für jedes Paar verkaufte Schuhe geht ein weiteres an ein Kind in Not. Das 2006 gegründete Unternehmen verkaufte bereits im ersten Jahr 10.000 Paar Schuhe, inzwischen sind es viele Millionen, und Toms Schuhe gibt es in Geschäften weltweit. Tony’s Chocolonely, ein niederländisches Unternehmen, hat sich auf die Fahne geschrieben, moderne Sklaverei und illegale Kinderarbeit bei der Produktion von Schokolade – auf Plantagen in Westafrika nach wie vor weit verbreitet – aus der Welt zu schaffen. 2005 von drei Journalisten gegründet, ist das Unternehmen in den Niederlanden mittlerweile Marktführer. Darüber hinaus ist es mit seiner Schokolade in 22 Ländern vertreten, darunter auch Deutschland.
Gemeinsam ist all diesen Marken ihre klare Mission. Sie ist der Grund, warum die Käufer*innen diese Produkte anderen vorziehen. Eine hohe Attraktivität attestiert den Impact Brands auch die Studie „Gutes tun ist profitabel“ von BrandTrust, der führenden Managementberatung für wirksame Marken im deutschsprachigen Raum. Ende 2019 wurden im Rahmen der Studie 3176 Personen zwischen 16 und 60 Jahren in den DACH-Staaten befragt. Das Ergebnis: Impact Brands würden weiterempfohlen, die Wiederkaufsrate sei sehr hoch und Konsument*innen kauften auch andere Produkte dieser Marke gern. Zudem sind Käufer*innen durchaus bereit, mehr zu zahlen − laut der Studie bis zu 17 Prozent −, wenn der Kauf des Produkts ihnen das gute Gefühl gibt, Teil der Lösung eines Problems wie Armut zu sein. Wirtschaftlichkeit und soziales Engagement schließen sich also nicht aus, im Gegenteil.
Den Blickwinkel weiten und verschenktes Potenzial nutzen
Marken setzen soziale Nachhaltigkeit also bereits äußerst gewinnbringend ein. Könnte man meinen. Esin Bozyazi sieht das anders. „Der Blickwinkel ist bei diesen Marken häufig sehr begrenzt. Wie in dem jeweiligen Unternehmen beispielsweise mit den Mitarbeiter*innen oder Zuliefer*innen umgegangen wird, weiß niemand, der so ein Produkt kauft.“ Tatsächlich ist beispielsweise bei Toms nicht klar, woher die Baumwolle für die Schuhe stammt, also auch nicht, unter welchen Bedingungen sie geerntet wurde. „Ein Produkt sollte aber stets ganzheitlich sozial nachhaltig sein“, sagt Bozyazi.
Ein Beispiel für ein Unternehmen, das soziale Nachhaltigkeit ausprobiert und über die Gesamtnachhaltigkeit auch wirksam kommuniziert, ist der Taschenhersteller Freitag. Vor knapp 30 Jahren gegründet, sind dessen Taschen aus alten Lkw-Planen mittlerweile nicht nur eine internationale Marke, sondern auch ein Designklassiker, der es bis ins Museum geschafft hat. Für diesen Erfolg macht Gründer Markus Freitag auch das Bemühen um soziale Nachhaltigkeit verantwortlich.
Das Unternehmen versucht nicht nur, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sozial nachhaltig zu agieren, 2016 schaffte es zudem seine Geschäftsführung ab und führte statt der herkömmlichen hierarchischen Organisationsform eine sogenannte Holacracy ein. Alle Mitarbeitenden erhielten Rollen mit entsprechenden Verantwortlichkeiten, die jeweils einen Purpose, also einen Zweck, verfolgen. Dieser Zweck orientiert sich am übergeordneten Purpose des Unternehmens. Autorität leitet sich in dieser Organisationsform stets von der fachlichen Rolle ab, und alle Mitarbeiter*innen haben die Möglichkeit, nach einer genau festgelegten Vorgehensweise Strukturen und Hierarchien zu verändern. Auch viele inhabergeführte mittelständische Unternehmen seien sozial nachhaltig, erklärt Bozyazi. Sie nutzten das aber leider kaum im Marketing. „Vor allem nicht bei ihren Produkten“, bedauert die Professorin: „Das sollten sie definitiv ändern und mehr darüber sprechen – ganz nach dem alten, aber in Zeiten von Impact Brands und Co. überaus aktuellen Motto ‚Tue Gutes und rede darüber‘.“