Event-Veranstalter und die Krise: Das Jahr der Weichenstellung

Kaum eine Branche wurde von der Corona-Krise härter getroffen als die Veranstaltungslandschaft. Viele Veranstalter blieben sogar auf ihren Kosten für Hallen und Hotelzimmer sitzen. Wie geht es weiter, und was denken sich die, deren Veranstaltung kurz bevorsteht?
Wohl dem, der ein etabliertes digitales Format hat: OMR-Gründer Philipp Westermeyer verschiebt die Keynotes und Talks in den längst erfolgreichen Podcast. (© OMR)

„Wir fahren auf Sicht.“ Peter Altmaier wird nicht müde zu betonen, dass es für die Bundesregierung keine Alternative gibt, als im Zweiwochenrhythmus zu prüfen, welche Lockerungen man zulassen kann und welcher Branche man wieder reguläres Arbeiten genehmigt. „Wir stehen in engem Austausch mit dem Event-Hotel, aber auch die wissen nicht, was im November erlaubt sein wird und was nicht“, sagt Nesrin Tawfik, die in diesen Tagen versucht, den Deutschen Handelskongress zu planen. Einen Kongress mit 1500 Besuchern, viel Prominenz aus Politik und Wirtschaft, einer gut besuchten Ausstellung im Foyer des Berliner Maritim Hotels und einer rauschenden Party am ersten Abend.

Was für die Politik eine Fahrt auf Sicht, ist für die Veranstaltungsbranche ein Blindflug. „Ich drücke den Machern der Dmexco alle Daumen. Die müssen ja jetzt Speaker anwerben, Sponsoren akquirieren und Tickets verkaufen“, sagt Philipp Westermeyer, der mit seinem größten Wettbewerber mitfühlt. Der Gründer und Macher der Online Marketing Rockstars hat es gerade hinter sich. Sein Event hätte Anfang Mai stattfinden sollen, da war eine Absage alternativlos. Sichtlich berührt schildert der Hamburger in seinem Tagebuch, wie es sich angefühlt hat, sein Baby für 2020 zu beerdigen: „Selbst wenn ich es schaffe, meine Firma zu retten. Es fühlt sich nicht gut an, dass es den vielen kleinen Unternehmen, den Restaurants, Händlern in der Umgebung und vor allem auch vielen Freunden schlecht geht.“


Umgeplante Branchen-Events für 2020

  • Jax Online – 25. – 27. Mai – online
  • Digital Bash – Marketing Tools – 28. Mai – online
  • Webinale – 17. Juni – online
  • OMR Masterclasses – 17. – 18. Juni – online
  • Growth Marketing Summit – 1. September – real geplant in Frankfurt
  • Dmexco – 23. – 24. September – real geplant in Köln
  • Contra – 4. – 5. Juni – online

Aber Westermeyer kann jetzt, da der offizielle Termin vorbei ist, wenigstens nach vorne schauen und weitermachen. Nesrin Tawfik und Dominik Matyka, der Chefberater der Dmexco, hängen in der Luft. Sebastian Meyen hat sein Event, die Webinale /IPC Konferenz, vom Juni auf den Dezember verlegt und hat keine Ahnung, was dann passieren wird. Was er allerdings weiß, ist, dass es keinen Weg zurück gibt. „Die Konferenz wird definitiv hybrid stattfinden, wir streamen alles“, so der Frankfurter.  Auch Nesrin Tawfik will vom Handelskongress streamen und überlegt sogar, ob es Sinn macht, im Foyer des Hotels statt Messeständen weitere Sitzplätze – auf Abstand – zu arrangieren, von denen aus das Publikum dem Geschehen auf den Leinwänden folgen kann.

Die ersten Learnings aus der Krise

Kann der Stream den Besucherausfall kompensieren? Niemals. Zumindest nicht, wenn die Veranstaltung ursprünglich anders angesetzt war. Der Berliner Seminar-Veranstalter Quadriga erreichte mit dem Webinar-Format zu einer Social-Media-Konferenz kaum ein Drittel der normalen Teilnehmerzahl, obwohl die Inhalte fast identisch zur Präsenzveranstaltung waren. Die Teilnehmer, die tatsächlich dabei waren, zeigten sich sehr zufrieden.

Auch René Kühn von Contilla hat seinen schweren Schock vom Februar inzwischen verdaut. Seine Content Marketing Konferenz CMCX ist Teil der InternetWorld und wurde nur drei Tage vor der Eröffnung abgesagt. Wobei abgesagt gar nicht der richtige Begriff ist. Die Behörden erteilten sogar die Erlaubnis, aber die Auflagen waren so scharf, dass sie an einem Arbeitstag (dem Montag) nicht zu bewältigen waren. Inzwischen hat Kühn seine CMCX durchgezogen – und zwar online. An sieben Veranstaltungstagen präsentierte man insgesamt mehr Inhaltsminuten, als real in München stattgefunden hätten. Der Content harrt in der Mediathek einer Weiterverwertung. Und ein kleiner, aber enorm wertvoller Teil der Besucher tauschte tatsächlich das reale in das digitale Ticket um. Bei gleichem Preis. „Wir machen auf jeden Fall weiter mit digitalen Formaten“, so der Kölner.

Lässt sich mit Online-Events Geld verdienen?

Bei denen, die „es hinter sich“ haben, macht sich so etwas wie vorsichtiger Optimismus breit. Marlene Lohmann vom EHI in Köln ist froh darüber, dass ihr Marketingforum dieses Jahr gar nicht geplant war: „Wir sind mitten im Prozess einer Neuausrichtung.“ Gespannt verfolgt sie, wie ihre Kollegen die Großveranstaltungen LOG (August) und Connect (November) über die Bühne bringen. Hybrid werden die Veranstaltungen alle, aber es stellt sich die Frage: Kann man mit online Geld verdienen?

Man kann. Marc Stahlmann hat mit Onlinemarketing.de und dem Format Digital Bash eine spannende Lösung gefunden. Der Großteil der Inhalte ist für die Teilnehmer kostenlos, manche Unternehmen bezahlen für den Kontakt zu den Nutzern. Das Team von Onlinemarketing.de gibt sich besondere Mühe damit, die Formate nicht zu werblich werden zu lassen. Die Speaker – auch in den verkauften Slots – werden genau gebrieft, was das Publikum erwartet.

Die Erwartungen sind inzwischen sehr hoch, denn Stahlmann und sein Team haben in hoher Frequenz mit zwei Events pro Woche Kundenbindung betrieben und ihre Marke geschärft. „Und vor allem haben wir das Team trainiert“, so der Hamburger. „Webinar-Formate haben wir jetzt ganz gut im Griff.“ So gut, dass inzwischen damit Geld verdient wird. Unter dem Titel Digital Bash Extreme gibt es kondensierte, kostenpflichtige Themenspecials mit Experten und ohne Sponsoren. Die ersten Versuche stimmen Stahlmann so hoffnungsfroh, dass er gerade die ganze Serie bis zum Ende des Jahres plant. „Wir wollen richtig gute Speaker und bezahlen die auch, damit einzigartige Inhalte entstehen.“ Denn nur so würde eine Digitalveranstaltung in dem enormen Grundrauschen, das gerade anbrandet, überhaupt hör- beziehungsweise sichtbar.

Podcast-Formate mit Jan Delay und Günther Jauch

Auch Philipp Westermeyer richtet den Blick nach vorn. Webinare vermarktet er als organische Alternative zu den geplanten Masterclasses. „Das ist einfach zu digitalisieren“, sagt er. Die Keynotes und Highlightformate aber kommen in den Podcast. „Da haben wir in den letzten beiden Jahren schon enorm viel Qualität aufgebaut.“ Gäste wie Jan Delay, Günther Jauch oder jüngst Stefanie Giesinger erreichen ein weit größeres Publikum als die reine Technik- und Marketing-Szene.

Westermeyers Sorgenkind ist die Messe. Mit der verdient er im „realen Leben“ am meisten Geld und die ist am schwersten zu digitalisieren. „Ich glaube nicht an eine virtuelle Messe, durch die dann 3D-Avatare schlendern. Das muss anders gehen“, sagt der Hamburger. Und wie? Ab August wird es OMR Reviews geben, eine Bewertungsplattform für Software, auf der man sich eben genauso über Software informieren kann, wie auf einer Messe. Genauso? „Ich wünsche ihm viel Erfolg, aber das ist ein unglaublich schwieriges Business“, sagt Marc Stahlmann, der Ähnliches selbst schon probiert hat.

Virtuelle Pausenräume mit virtuellen Ausstellern

Der Frankfurter Sebastian Meyen sieht Chancen für so etwas wie eine Messe im Netz. In fünf parallelen Strängen flimmert ein Ableger seiner wichtigsten Konferenz, der JAX, im Mai über die Bildschirme. Dabei wird es Pausen geben und in den Pausen werden die Teilnehmer in die Pausenräume geschickt und da warten schon die virtuellen Aussteller. „Natürlich ist das ein Test, aber es erscheint uns sinnvoll. Wir haben uns einiges überlegt, um es den Besuchern schmackhaft zu machen, sich auch mit den Ausstellern zu unterhalten.“

Was genau, möchte Sebastian Meyen nicht verraten. Es gilt, Pfründe zu verteilen, es gibt wieder Innovationsvorsprünge. „Vielleicht blicken wir in drei Jahren zurück und sehen 2020 als einen sehr spannenden Wendepunkt in der Veranstaltungsgeschichte“, sagen Sebastian Meyen und Philipp Westermeyer fast unisono.