Von Dr. Ralph Oliver Graef
In der analogen Welt scheinen urheberrechtliche Entscheidungen in Bezug auf Filme, Lieder und Texte zunächst eindeutiger zu sein. Beim Lesen eines Buches in der Buchhandlung sowie beim Anschauen eines Films ohne Bezahlung ist in urheberrechtlicher Hinsicht nicht mit Konsequenzen zu rechnen. In allen Fällen kann zwar Hausverbot erteilt werden, urheberrechtliche Ansprüche hingegen können nicht geltend gemacht werden. Aber lassen sich diese Konstellationen auch auf das Internet übertragen?
Der Ausgangsfall
Im vorliegenden Fall klagte die englische Newspaper Licensing Agency (NLA) gegen die Public Relations Consultants Association (PRCA). Die NLA ist eine Verwertungsgesellschaft der englischen Zeitungsverleger, die kollektive Lizenzen an Zeitungsinhalten erteilt. Mitglieder der PRCA wiederum nehmen Medienschnittdienste in Anspruch, die online ihre Beobachtung von Presseartikeln zur Verfügung stellen, die zuvor im Internet veröffentlicht wurden.
Zur Vorabentscheidung legte das oberste Gericht des Vereinigten Königreichs dem EuGH die Frage vor, ob die Zustimmung der Urheber für die Betrachtung von Internetseiten einzuholen sei. Würde dies bejaht, müssten Zeitungsverleger fortan Lizenzen für das Streaming dieses Onlineservices erwerben. Die englischen Gerichte hatten entschieden, dass Internetnutzer wie die Mitglieder der PRCA bereits dann eine Urheberrechtsverletzung begingen, wenn diese sich Zeitungsartikel auf Webseiten nur ansehen, ohne diese herunterzuladen oder auszudrucken.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH verneinte eine Urheberrechtsverletzung für das bloße Ansehen von Internetseiten. Gemäß Artikel 2 lit. a) der Informations-Richtlinie (2001/29/EG), die alle Gerichte der Mitgliedstaaten bindet, hat der Urheber eines Werkes das ausschließliche Recht über die Vervielfältigung zu entscheiden. Ist die Nutzung oder Vervielfältigungshandlung jedoch nur flüchtig oder vorläufig und hat keine eigene wirtschaftliche Bedeutung, findet keine Urheberrechtsverletzung statt.
Das automatische Erstellen einer Bildschirm- und Cachekopie beim Betrachten einer Website sei urheberrechtlich zu vernachlässigen, da dies lediglich einen integralen Bestandteil eines technischen Verfahrens darstelle und nur indirekt durch den Menschen in Gang gesetzt werde. Die eigentliche Cachekopie diene keinem eigenständigen Zweck.
Des Weiteren befand der EuGH, dass die Interessen der Urheberrechtsinhaber nicht ungebührlich verletzt würden, da die Zugänglichmachung auf der Webseite durch die Betreiber regelmäßig mit Einwilligung der Rechtsinhaber erfolge. Im Ergebnis sah der EuGH alle genannten Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 5 der Informations-Richtlinie als erfüllt an. Wenn auch gewagt, die Entscheidung des EuGH ist nachvollziehbar.
Konsequenzen der Entscheidung
Die Informations-Richtlinie wurde auch in Deutschland in nationales Recht umgesetzt, wobei Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie dem § 44 a des deutschen Urheberrechtsgesetzes entspricht. Mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Streaming haben sich auch bereits deutsche Gerichte und das Bundesjustizministerium beschäftigt. Das Landgericht Köln und das Bundesjustizministerium sind sich einig, dass das bloße „Streaming“ von Videofilmen keinen rechtswidrigen Verstoß im Sinne des deutschen Urheberrechts darstellt. Der EuGH bestätigt somit die Rechtsauffassung vieler deutscher Juristen, wonach es sich beim Streaming um eine lediglich vorübergehende Vervielfältigungshandlung handelt. Diese Entscheidung unterstreicht, dass das Urheberrecht den technischen Neuerungen des Internets nicht im Weg stehen darf.
Urteil ist auf Videos und Musikdateien übertragbar
Insgesamt lässt sich die Rechtsprechung auf alle Webseiten übertragen, bei denen der Inhalt nicht heruntergeladen oder ausgedruckt wird – somit auch auf Videostreams oder Soundfiles.
Im EuGH-Urteil gehen jedoch zwei Aspekte etwas unter: Es bleibt fraglich, ob die Bildschirm- und Cachekopien keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben. Im konkreten Fall bedeutet dies für die NLA einen erheblichen Verlust an Lizenzeinnahmen. Des Weiteren ist die Frage der „rechtmäßigen Nutzung“ zu klären. Trifft die Privilegierung des § 44 a UrhG auch dann zu, wenn es für den Internetnutzer nicht erkennbar ist, dass Inhalte rechtswidrig verbreitet werden? In jedem Fall verlangen die Informations-Richtlinie und der darauf basierende § 44 a Nr. 2 UrhG eine rechtmäßige Nutzung, um das „Streaming“ zu privilegieren.
Es bleibt also dabei: Wer privat oder geschäftlich offensichtlich rechtswidrige Inhalte konsumiert oder sie rechtswidrig beschafft, kann sich nicht auf § 44 a Nr. 2 UrhG berufen. Das Streaming dieser illegalen oder illegal erlangten Quellen – seien es Filme oder Serien im Internet – verstößt gegen das Urheberrecht.
Urteil des EuGH vom 5. Juni 2014; Az. C-360/13
Über den Autor:
Medienanwalt Dr. Ralph Oliver Graef ist Managing Partner der Medienrechtskanzlei Graef Rechtsanwälte, Hamburg, und zudem als Attorney-at-Law in New York, USA, zugelassen. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind Medienrecht und geistiges Eigentum. Graef ist zudem Schiedsrichter der Independent Film & Television Alliance (IFTA), der in Los Angeles ansässigen weltweiten Vereinigung unabhängiger Filmproduzenten.