Mit seiner Kampagne „Mache Facebook zu deinem Facebook“ wirbt der Social-Media-Gigant nun schon seit zwei Jahren für seinen Privatsphäre-Check. Dabei sollen die Werbesprüche die monatlich rund 30 Millionen deutschen Nutzer über ihre Privatsphäre-Einstellungen aufklären und zu mehr Eigeninitiative bei der Kontrolle eigener Inhalte animieren. Jetzt nimmt Facebook die Kampagne in Deutschland wieder auf. Im Oktober und November werden erneut Plakate und Zeitungsanzeigen mit Sprüchen wie „Ich hab mal etwas gepostet, was ich nur, nie, nie hätte teilen sollen“ unsere Wege streifen. Auch im TV stoßen wir in den Werbepausen auf Menschen, die um ihre digitale Privatsphäre im Facebook-Universum besorgt sind. Die Motive liefern laut Facebook zum Teil ausführliche Antworten auf einige der häufigsten Fragen, die Menschen in Deutschland an das Team des sozialen Netzwerks richten. Doch die Antworten finden sich erst im „Kleingedruckten“. Im Vorbeigehen wird jedoch kaum ein Mensch das komplette Anzeigenmotiv lesen, sondern schafft es während einer Busfahrt gerade noch so, den fetten Schriftzug mit den anklagenden „Hilferufen“ der Nutzer zu scannen.
Kampagne verfehlt die echten Probleme
Schadet sich Facebook mit seiner Marketing-Strategie somit nicht mehr, als es sich Gutes tut? Schließlich könnten die zornigen Beschwerden die Menschen, insbesondere im Hinblick auf die vergangenen Datenskandale, verunsichern. Genau das fragt sich auch Julian Mohr, Gründer der Hamburger Agentur Nqyer Media. „Die Sicherheit und Verwendung der Daten sind das eigentliche Problem und nicht die Situationen, die in der Kampagne dargestellt werden. Hier geht es nicht um ‚Ooops ich hab aus versehen ein Bild von meinem Stuhlgang mit meinen falschen Follower Kreis geteilt‘. Die Anzeigen adressieren nicht ansatzweise die Punkte, wegen denen das Unternehmen Druck verspürt.“
Im Grunde mache „Facebook Facebook kaputt“, ist Mohr überzeugt. Denn das wichtigste Gut der Plattform – das Vertrauen der Nutzer und die damit einhergehende Bereitschaft, Dinge von sich zu teilen – habe eine Delle erlitten. Mit dieser Kampagne werde aber weder die Delle ausgebessert und erst recht nicht der Umgang mit sensiblen Daten fundamental neu gedacht. „Die Delle wird lediglich überlackiert und der Wagen als überarbeitet verkauft. Daher wage ich zu bezweifeln, dass diese Kampagne das verloren gegangene Vertrauen zurück bringt. Ich glaube, es werden stattdessen noch mehr Fragen gestellt. Eine davon beantworte ich immerhin gerade. Ich bezweifle allerdings auch, dass Facebook ‚untergeht‘ oder überhaupt noch untergehen kann. Und jedem, der sich über die Datensammelwut des Unternehmens beschwert, kann ich raten, Aktien zu kaufen. Dann findet man das auf einmal ganz gut“, schlägt Mohr vor.
Nur das Meckern bleibt hängen
Auch Markenexperte Karsten Kilian hat seine Zweifel an dem Erfolg der Kampagne. Zwar helfe es der Marke einerseits, potenzielle Probleme anzusprechen und dadurch die Glaubwürdigkeit von Facebook zu verbessern – ganz im Sinne von „Ehrlichkeit zahlt sich aus“. Andererseits befürchtet auch Kilian, dass durch die verkürzte Wahrnehmung der Anzeigen zum Beispiel beim Durchblättern oder Vorbeifahren bisher wenig datenschutzrechtlich sensibilisierte Nutzer stärker als bisher sensibilisiert werden könnten – und sich von Facebook abwenden. „Bei den Werbespots wiederum kann es passieren, das man nur den ersten Teil sieht, in dem Nutzer über Facebook meckern. Drei bis vier Nutzer sagen in selbst gedrehten Clips, was sie an Facebook stört. Wer dann den Spot nicht zu Ende sieht, was insbesondere beim Betrachten online häufig der Fall ist, hat nur das ‚Meckern über Facebook‘ abgespeichert“ , glaubt Kilian, der die textlastige Kampagne insgesamt als relativ nüchtern bewertet.
Ein weiterer Faktor sei das bekannte Facebook-Blau, dem jedwede Wärme fehle. „Zudem wird fast immer nur eine Person gezeigt, wenn überhaupt. Der Community-Gedanke, für den Facebook eigentlich steht, wird dadurch nicht vermittelt. Es wirkt alles sehr technisch. Ein Klick hier, ein Haken dort. Was fehlt ist das, was eine Community wie Facebook eigentlich ausmachen sollte: Nähe und Wärme. Einstellungen zu kennen ist hilfreich, aber nicht herzerwärmend. Aber genau das sollte Facebook eigentlich sein.“ Mit dieser Kampagne werde Facebook nicht zu „Kilians Facebook“, sondern zu einem Portal, in dem man viele Einstellungen vornehmen kann und wohl auch muss – und viele nervige Posts sieht. „Die zentrale Aussage, die hängen bleibt ist „was mich stört“ und noch weiter verkürzt „stört“ – Facebook. Ob man das vermitteln wollte?“
Facebook sucht den Dialog
Facebook selbst betont gegenüber absatzwirtschaft durchweg die positiven Aspekte seiner Kampagne. Hauptziel sei es, einen Dialog mit den Nutzern zu eröffnen und zu zeigen, dass Facebook auf die Anliegen hört und Vorschläge macht, wie Menschen ihre Zeit auf Facebook noch besser gestalten können. „Die Ereignisse der letzten Monate haben uns gezeigt, dass wir unserer Verantwortung nicht immer gerecht geworden sind. Aber gerade weil wir das Feedback der Menschen auf Facebook gehört haben und uns Transparenz sehr wichtig ist, haben wir uns dazu entschieden, die Fragen der Menschen in dieser Form zu adressieren und die vielen Missverständnisse in Bezug auf Facebook zu beseitigen und aufzuklären“, heißt es vom Unternehmen.
Die Kampagne sei zudem nur ein Schritt der kontinuierlichen Bemühungen, im Austausch mit den Facebook-Nutzern zu bleiben. So gibt es anknüpfend daran die Videokampagne „Meet Facebook. Ihr fragt, wir antworten.“ Einmal pro Woche beantworten Facebook-Mitarbeiter hier die gesammelten Fragen von Facebook Nutzern, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Unternehmen besser kennenzulernen.
Direktheit ist der richtige Weg
Dass Facebook mit seiner Kampagne den richtigen Weg eingeschlagen hat, findet auch Jakob Hager, Gründer der internationalen Performance Marketing Agentur On2performance.com sowie Buchautor. So löse bei Facebook seit Monaten ein Skandal den nächsten ab und die größte Gefahr seien einschneidende Datenschutzgesetze und andere staatliche Eingriffe. Damit habe Facebook nach Ansicht von Hager exakt drei Möglichkeiten, auf dieses Szenario zu reagieren:
- Facebook kann versuchen, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen und über die Skandale Gras wachsen zu lassen. Die Gefahr ist, dass sich der Konzern dadurch Untätigkeit und Ignoranz vorwerfen lassen muss.
- Die zweite Möglichkeit wäre eine Positivkampagne zu starten, um ein wohlwollendes Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Eine heile Welt vorzuspielen wäre laut Hager jedoch ein zu großes Risiko, wenn es de facto viele Probleme zu bewältigen gilt. Headlines wie „Facebook hat nichts gelernt” könnten die Folge sein. Außerdem habe die Plattform mit aktuell etwa 40 Millionen aktiven Nutzern im deutschsprachigen Raum kaum die Möglichkeit, viele neue Nutzer zu akquirieren.
- Letztlich habe sich Facebook für die dritte Möglichkeit entschieden und spreche in seiner Kampagne die Bedenken vieler Nutzer direkt an. Das Unternehmen hat aufgrund der DSGVO in ganz Europa Nutzer verloren, was laut Hager zeigt, dass die Menschen sich für dieses Thema interessieren.
„Facebook hat mit dieser Strategie die Flucht nach vorne angetreten und damit meiner Meinung nach die richtige Entscheidung getroffen. Facebook-Nutzer, die bisher kein Interesse am Schutz ihrer Daten gezeigt haben, werden das auch jetzt nicht tun. Alle anderen waren schon sensibilisiert für das Thema und sahen Facebook als ‚bösartige Datenkrake‘. Facebook zeigt mit der Kampagne, dass es schon seit langem Möglichkeiten gibt, die eigenen Daten auf der Plattform zu schützen“, sagt Hager und findet, dass die Kampagne auch als Zeichen an den Gesetzgeber gesehen werden kann, dass Facebook sich selbst um seine Probleme kümmert und den Datenschutz ernst nimmt.