„Ich bekam drei Jahre lang gepflegt in die Fresse“, sagt Marketingmann Godo Röben im Büchlein „Vergesst Fleisch! Wie wir klug die Welt ernähren“ aus der neuen Reihe brand eins books. Auf rund 130 Seiten erzählt der Wissenschafts- und Medizinjournalist Christian Weymayr am Beispiel des Veggie-Pioniers Röben die Erfolgsgeschichte der Fleischersatzprodukte in Deutschland. Und vom Gegenwind, der ihm bei seiner Mission entgegenblies. Röben hat bekanntlich den ruhmreichen Change der Rügenwalder Mühle vom Wurst- zum Veggie-Verkäufer hinbekommen; heute ist er als Berater in der Fleischersatz-Branche unterwegs.
Weymayr liefert – neben einer unverkennbaren und irgendwie ja auch nachvollziehbaren Röben-Verehrung – interessante Markt- und Marketinginformationen. Zum Beispiel, dass vegane Mortadella im Regal am allerbesten neben der fleischhaltigen Mortadella liegen sollte, denn Fleisch-Fans laufen ja nicht zum Veggie-Regal. Die sogenannte integrierte Platzierung sorgt dafür, dass die Fleisch-Kundschaft das Ersatzprodukt erstens überhaupt zu Gesicht bekommt und zweitens vielleicht auch mal ausprobiert.
Auch über Start-ups, Konsumentenverhalten und Produktinnovationen liefert das Buch einen guten Ein- und Überblick. Am Ende der Lektüre ist klar: Der Markt der Fleischersatzprodukte hat ein Riesenpotenzial. Und sein Wachstum ist aus vielerlei Gründen unbedingt wünschenswert.
Passend zum Thema meldete die Rügenwalder Mühle am 17. Januar, dass das Produkt „Schinken Spicker“ Ende 2023 eingestellt wurde, um Produktionskapazitäten für den „Veganen Hauchschnitt“ freizumachen. Und beim diesjährigen Veganuary zeichnet sich schon jetzt eine Rekordbeteiligung ab.
FDP macht Rückzieher, Antje von Dewitz ist entsetzt
Und sonst? Sollten Sie unbedingt den Offenen Brief von Vaude-Chefin Antje von Dewitz an die Bundesregierung lesen! Zum Hintergrund: EU-Parlament und Europäischer Rat einigten sich am 14. Dezember unter laut Handelsblatt „maßgeblicher“ Beteiligung deutscher Unterhändler auf einen Kompromiss zur CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive), dem EU-Pendant zum deutschen Lieferkettengesetz. Das Ding war also nach einigem Hin und Her in trockenen Tüchern, die anstehende Abstimmung galt als Formsache.
Bis in der vergangenen Woche die FDP mit dem Ansinnen um die Ecke kam, dass sich Deutschland doch besser enthalten solle. Das ist ein – nun, wie soll man es sagen? – Sinneswandel? Ein Affront gegen die Verhandlungspartner? Ein Zeichen von Unzuverlässigkeit? Wie auch immer. Prompt sind mehrere Wirtschaftsverbände auf den anfahrenden Zug aufgesprungen und fordern die Bundesregierung ebenfalls auf, dem EU-Pendant zum deutschen Lieferkettengesetz nicht zuzustimmen. Insbesondere Mittelständlern würde die CSDDD „teils Unmögliches abverlangen“.
Laut Table Media hat sich die Bundesregierung noch nicht positioniert. Wohl aber Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des aber sowas von mittelständischen Outdoor- Unternehmens Vaude. Sie ist entsetzt und schreibt in ihrem Offenen Brief unter anderem:
„Verantwortung für die gesamte Lieferkette muss verbindlich werden, um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und unternehmerische Verantwortung als Standard zu etablieren. Verantwortungsvolles Wirtschaften bedeutet, Menschenrechte zu wahren und die Umwelt und das Klima zu schützen. Es ist eine Investition in ein zukunftsorientiertes, modernes Wirtschaften, das den Erfordernissen unserer Zeit und den Erwartungen der Konsument*innen entspricht.“
Eine Ablehnung des ausgehandelten Entwurfs sei kein Schutz der Wirtschaft, sondern ein aktives Verhindern des Aufbaus von Zukunftsfähigkeit.
Am Ende winkt der Wettbewerbsvorteil
Auch das viel gescholtene deutsche Lieferkettengesetz ist offenbar nicht so furchtbar für die Unternehmen, wie gern von mächtigen Verbänden kolportiert. Frosta-Chef Felix Ahlers jedenfalls sagt im Handelsblatt-Interview, das deutsche Lieferkettengesetz sei zwar aufwendig, „aber einige Unternehmen übertreiben es. Viele Prozesse lassen sich automatisieren. Wir kennen die meisten Lieferanten seit Langem, hatten immer schon hohe Ansprüche und finden es gut, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in oft armen Lieferländern verantwortlich zu sein.“ Anders sehe es bei Herstellern aus, die Rohwaren günstig, aber von wechselnden Lieferanten vom Spotmarkt kaufen.
Es wäre wünschenswert, wenn Fairness und Verantwortung in den Lieferketten auch auf EU-Ebene Einzug hielten. Für die deutschen Unternehmen, die sich bereits in ihren Lieferketten fit gemacht haben, wäre das nicht nur ein moralischer, sondern auch ein Wettbewerbsvorteil … das ist quasi wie beim frühen Einstieg in die Herstellung von Fleischersatzprodukten: Erst „gibt’s in die Fresse“, dann winkt der Gewinn.