Von Dirk Ziems, Managing Partner, Concept m
Der Black Friday Ende November 2019 markierte in gewisser Weise eine Zäsur. Es war das Hochfest des Konsums mit schwindelerregenden Umsatzzahlen. Dann kam Corona. Und der Black Friday 2021, so viel ist gewiss, wird nicht in eine hedonistische Zelebration hemmungsloser Konsumorgien ausarten. Die Grundstimmung zum Ende des zweiten Corona-Jahres ist vorsichtiger, ausgewogener, kritischer.
In dieser Gemengelage erwarten Verbraucher*innen von Marken eine Anpassung der Ansprache – einen Übergang vom Krisenmodus in einen Gestaltungsmodus, der Konsument*innen neue Orientierungen ermöglicht.
Wertekommunikation statt Eigeninteresse
Blicken wir noch einmal auf die Anfänge der Pandemie: Als Corona auch die Welt des Konsums in deren Grundfesten erschütterte, reagierten die meisten Marken schnell und richtig. Sie präsentierten sich als Schutzschirm, der in einem hochvolatilen Umfeld ein Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Marken zeigten Verständnis, gaben Halt und Hilfestellung. Damit demonstrierten sie – richtigerweise – ihr gesellschaftliches Engagement.
In der akuten Krise konnte es nicht weiter nur um das Eigeninteresse gehen. Es galt, als Marke Haltung zu zeigen und sich mit gesellschaftlichen Anliegen zu solidarisieren. Insbesondere Botschaften zum Abstandsgebot und zur verantwortlichen Selbstisolation tauchten in vielerlei Variationen auf. Ob Coca-Cola in den USA, Ikea in Italien oder Mercedes‘ #stayhome – überall auf dem Globus solidarisierten sich große Marken mit der leidgeprüften Bevölkerung.
Marken in der Erneuerungsphase
Doch diese Erfahrungen liegen weit zurück. Und die Erwartungshaltung ist inzwischen, dass sich infolge der Impfungsmöglichkeit der Bevölkerung das Pandemiegeschehen trotz aktueller Krise mit der vierten Welle auf Dauer in Schach halten lässt. Vor diesem Hintergrund treten die Marken nun schon seit etwa Mitte des Jahres in eine Erneuerungsphase, in der die Konsument*innen darauf eingestimmt werden, den Konsum wiederzuentdecken. Sie sollen Vertrauen in die neue Entwicklung fassen und die Lust entdecken, sich in den Anpassungen auszuprobieren, die Corona erforderlich macht.
Beispielhaft dafür ist eine im Sommer gestartete Serie von Spots der Baumarktkette Hornbach, bei der die Besucher wie einer Freizeitpark-Bimmelbahn auf Erkundungstour durch den Regalreihen fahren, während ein Reiseführer die Vorzüge des Unternehmens anpreist.
Was Marken in der VUCA-Welt leisten können
Es handelt sich dabei allerdings nur um eine psychologische Phase des Übergangs. Für eine nachhaltige Aufstellung in der Nach-Corona-Welt müssen sich Marken-Macher sehr gezielt mit den damit einhergehenden Verhältnissen auseinandersetzen. Wir beschreiben das New Normal in unseren Studien als VUCA-Welt – eine Welt, die dominiert wird von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity). Was aber können Marken in diesem Umfeld leisten?
Am wichtigsten erscheint es zweifellos, die Zusicherung von Kontinuität und Stabilität zu erneuern. Marken transportieren an sich schon gewachsene Bindung. Loyale Markenverwender*innen sind mit ihren Marken groß geworden und ein Stück weit zusammengewachsen. Entsprechend sind Signale produktiv, die auf die Kontinuität zwischen Marke und Konsumenten abzielen. In der (Post-)Corona-Zeit werden besondere Verbindlichkeit, Kundenbindung (Community), Zuverlässigkeit und Beständigkeit (zum Beispiel auch im Sortiment) verlangt.
Ein Beispiel: In einer aktuellen italienischen Nutella-Kampagne wird eine harmonische Familien-Welt inszeniert. Kinder bereiten den Eltern das Frühstück mit Nutella vor, alle Generationen lieben das Nutella-Frühstücks-Ritual. Der Claim „vita é bella“ fasst zusammen, dass die Marke inmitten aller möglichen Irritationen die schöne Seite des Lebens präsent hält – so schön, wie das intakte Vorstadt-Familienleben eigentlich immer war.
Dick aufgetragene Botschaften kontraproduktiv
Wie andere Kampagnen zeigen die Nutella-Spots, dass schon allein die Verknüpfung der Marke mit intakter Normalität eine wohltuende Markenbotschaft ist. Ähnlich wie sich Kinder zum Schutz auf der Reise ihren Lieblingsteddy mitnehmen, rüsten sich Konsument*innen für die VUCA-Zeit mit ihren Lieblingsmarken aus.
Wichtig dabei ist eine gewisse Subtilität: Die Konsument*innen bevorzugen mitschwingende positive Stimmungssignale im Gegensatz zu dick aufgetragenen Botschaften. Die Botschaft einer Versicherungsmarke, die jetzt sagen würde: „Auf uns ist Verlass wie in den letzten 100 Jahren“, würde als oberflächlich wahrgenommen. Es ist wie im Leben allgemein: Vertrauen und Kontinuität werden nicht durch großspurige Erklärungen geschaffen, sondern erweisen sich in den vielen kleinen Situationen des Alltags, die mit positiven Stimmungen verbunden sind.
Intakte Stabilität vs. nachwirkende Traumata
Die Zusicherung von weiterhin intakter Stabilität steht im Spannungsfeld zu der Anforderung, empathisch auf die nachwirkenden Traumata im Post-Corona-Mindset einzugehen.
Für viele Marken stellt sich die Aufgabe, den Konsument*innen das Gefühl zu vermitteln, sie hätten verstanden, dass sie zusammen mit ihnen eine neue Welt betreten haben. Dabei gilt es, in geeigneter Weise zugleich Change zu vermitteln und vor der Überforderung durch Change zu bewahren.
Konsument*innen erwarten Verhältnis auf Augenhöhe
Corona hat aber auch das Verhältnis von Marken und Konsument*innen grundlegend verändert. Marken stehen nicht mehr im Vordergrund, sind nicht mehr Vorbild oder feste Orientierungsgröße, der der Konsument „willig“ folgt. Vielmehr erwarten die Konsument*innen wie selbstverständlich ein Verhältnis auf Augenhöhe. Marken sollen sich zurücknehmen und sich in den Dienst stellen, denn Marken sind für den Konsument*innen in der aktuellen Ära der Konsumkultur immer mehr zum Vehikel für das selbstbestimmte und selbstbewusste psychische Wachstum geworden.
Marken können die Menschen dazu ermutigen, an ihre positiven Potenziale zu glauben. Dabei liegt der Fokus der Ermutigung – dem Wertewandel nach Corona entsprechend – mehr auf dem neu entdeckten „Wir“ und der Macht der Gemeinschaft als auf der früher beschworenen Macht des Ichs und Individualismus.
Ein passendes Beispiel dazu ist der Spot „Morgen kann kommen“ der VR Bank. Dieser beschwört herauf, wie das „Wir“ die Zukunft gestalten kann: „Ihr bringt den Stein ins Rollen, das Kind auf die Welt. Ihr macht aus einer Region eine Heimat, und aus einem Hobby eine Karriere. Ihr sagt nicht: Ich, ich, ich. Ihr sagt: Wir schaffen das zusammen. Morgen kann kommen. Volksbanken. Raiffeisenbanken.“
Das konsumbedingte Sinnvakuum
Mit dem Ende der Ära der gierigen Konsument*innen hat sich auch der Stellenwert des Konsums in fundamentaler Weise verändert. Konsum diente in der vergangenen Dekade der Ausdifferenzierung immer individualistischer Lebensstile in einer Welt sich ständig vervielfältigender Optionen. Diese Orientierung erzeugte ein großes Sinnvakuum (übrigens schon vor Corona):
Wozu ist die ganze Fülle der Konsum- und Markenwelten eigentlich da? Welcher Sinn steckt dahinter?
Marken müssen Substanz liefern
Dementsprechend ist eine Sehnsucht nach einer übergreifenden Sinnaufladung entstanden, einem Purpose. Konsument*innen fordern von Produkten und Marken, dass sie für einen tieferen Sinn-Mehrwert stehen, der über ihren profanen Waren-, Status und Selbstdarstellungswert hinausgeht. Wichtig dabei: Die Konsument*innen trauen einfachen Purpose- und Nachhaltigkeits-Ankündigungen nicht mehr. Die Botschaft „CO2-neutral bis 2045“ törnt sie eher ab. Vielmehr ist Substanz gefragt – Beispiele, was die Marke tatsächlich unternimmt.
Durch Corona ist den Menschen klar geworden: Niemand lebt für sich allein. Eine hyperindividualisierte Konsumfülle ist nicht die Lösung, sondern führt ins Leere. Es geht nun um die Sinnhaftigkeit, Haltung und Ziele. Marken sollen diesen Motivwandel glaubwürdig ansprechen.
Mit einer neuen Haltungs-Ausrichtung („Purpose“) vermitteln die Marken den Konsument*innen Teilhabe an gesellschaftlichen Visionen, die einen positiven Ausblick auf eine bessere Welt ermöglichen. Die Konsument*innen sehen in den Marken Leitbilder und Projektionsflächen, die ihnen zeigen, wie eine authentische Neuausrichtung in Hinblick auf gesellschaftlich wertvolle Ziele gelingen kann.
Dirk Ziems ist Managing Partner des tiefenpsychologischen Forschungs- und Beratungsunternehmens concept m. Er ist Co-Autor des aktuellen Buches „Global Viral Change“, das sich mit den langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Gesellschaften, Konsum und Marketing befasst.