Es ist unverbrüchliche Steuerungsglauben von Kohorten, dass Gesamtmarkt und Marktanteile mit sinnlich-geistiger Zuneigung und damit erotisch betrachtet werden: Philip Kotler entwickelte in den 70er-Jahren ein lineares System, das er das „Fundamentale Theorem der Marktanteilsbestimmung“ nannte. Seine Formel: Marktanteil = Höhe der eigenen Marketingaktivitäten ./. Höhe der Markt-Marketingaktivitäten. Qualitative Unterschiede sollten sich im Zeitablauf ausgleichen.
Marktanteile betrachten Oberflächen
Doch so ist die Realität nicht. Haben wir nicht alle Beispiele, dass hohe Aufwendungen den Flop nicht verhinderten, dass niedrige Aufwendungen Marktanteilsgewinne erwirtschaften können? Ich kenne Unternehmen, die objektiv im Segment Marktführer waren und trotzdem tief in einer Vermarktungs- und Kundenkrise steckten. Bei der Betrachtung von Marktanteils-Ziel und Marktinvestition eines (!) Unternehmens finden wir weniger lineare sondern mehr S-förmige Wirkungsverläufe – und doch folgen sie keineswegs einer Gesetzmäßigkeit, die auf die meisten Fälle anzuwenden wäre.
Drei typische Realprobleme: (1) Das Marktsegment ist „willkürlich“ vom Unternehmen gewählt, nicht von den Kunden. Differenziert er zum Beispiel in Rum, Spirituosen, Cocktail-Rum, weiß oder braun, Herkunftsland? Nur der einzelne Kunde bestimmt sein Segment. (2) Ist ein Marktanteil von sechs Prozent in Märkten, in denen alle anderen einen Marktanteil von 5,5 Prozent haben eine Marktführerschaft, die wahrgenommen wird? Marktführerschaft und -dominanz ist kein Zahlen- sondern vornehmlich ein Wahrnehmungsphänomen. (3) Können in B-to-B nicht sechs Großkunden zur formalen Marktführerschaft führen – und trotzdem wird man im Markt bei den anderen potenziellen Kunden nicht wahrgenommen? Marktanteile können einseitig verteilt sein.
Statt Markt- die Einzelkundenführerschaft
Heute kann man den Einzelkunden (Handel, Industrie, Importeur etc.) ansprechen. Und selbst beim Verbraucher sind Einzelkunden durch Kundenkarten, Kundenclubs, Internetsysteme gut anzusteuern. Was beschreibt eigentlich den Bedarf eines Kunden? Tatsächlich ist es doch oft nur das, was das Unternehmen ihm anbieten will. Also die Angebotsklasse. Doch der Kunde denkt anders, nämlich im Sinne seiner Bedürfnisse und Bedarfe. Er formuliert seine individuelle Nachfrageklasse. Jeder anders und jederzeit variierend.
Ein hoher Kundenanteil bei einem einzelnen Kunden führt bei diesem zur Kundenführerschaft, so der Terminus im Customer Centricity. Einzelkunden lassen sich präzise planen. Marktanteile sind dann „nur noch“ die Addition aller Kundenanteile. Eine Bottom-up-Planung mit höchster Präzision, wie sie die Marktanteilsplanung nie erreicht hat. Erotik des Bauchnabels.
Über den Autor: Malte W. Wilkes ist Seniorpartner der Management Consultancy Erfolgsketten Management Wilkes Stange GbR in Hamburg, Redner, Moderator, Diskutant, zigfacher Buchautor, Pionierexperte in Customer Centricity sowie Ehrenpräsident des BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater.