Von Gastautor Thomas Koch
Unvergessen bleiben mir die Jahre 2014 und 2015, in denen ich vor über 1.000 Menschen die Ehre und das große Vergnügen hatte, „The National Summit“ zu moderieren. Das Vergnügen lag ganz besonders bei den Zuhörern, denn ich grillte die prominenten Panelteilnehmer, wie es so meine Art ist: kritisch, frech, provozierend, ironisch, bisweilen zynisch. Es gab durchaus profunde Aussagen und Erkenntnisse – und alle hatten ihre Freude daran.
Alle, außer offenbar einigen Dmexco-Verantwortlichen. Wie ich aus „gut unterrichteten Kreisen“ weiß, waren meine Auftritte einigen der Dmexco-Träger und Aussteller dann doch etwas zu provokant. Kritische Töne mag man in Internet-Kreisen nicht. Tatsächlich sind die sonst so lockeren Internet-Fuzzis ziemlich spaßbefreit, um nicht zu sagen: Es fehlt ihnen ein wenig der Hang zur Selbstreflexion. Das unterscheidet die Internetbranche sehr deutlich von anderen Mediengattungen. Jeder geübte Keynoter weiß: Das höchste Honorar zahlen Printmedien – wenn man nur verspricht, den Zuhörern ordentlich die Leviten zu lesen. Die Dmexco-Welt ist in dem Punkt eine gänzlich andere. Und ein Honorar gibt’s auch keins. Man tut es für die Ehre, aus Liebe zur Netz-Gemeinde und wegen des Adrenalins.
Für Adrenalinschübe ist die Kölner Dmexco immer gut. Das beginnt, wie angedeutet, bereits bei der Anreise. Da ich grundsätzlich nicht Bahn fahre (aus Gründen), gleite ich von Düsseldorf lieber mit meinem Jeep ins benachbarte Köln. Für die Strecke von 40 Minuten kalkulierte ich seinerzeit gut zwei Stunden. Doch das Kölner Messe-Verkehrschaos befand anders. Ich brauchte mehr als drei Stunden.
Die Dame, die mich pünktlich zu meinem National Summit begleiten sollte, brach derweil in Schweiß aus. Ich war inzwischen so spät, dass mir keine Wahl blieb, als meinen Wagen direkt vor dem Eingang abzustellen, einer einigermaßen verwirrten, jungen Frau meinen Autoschlüssel in die Hand zu drücken und Richtung Congress Hall zu eilen. Ich traf in allerletzter Minute vor meiner Moderation ein. Mein Wagen stand abends immer noch auf dem wohl begehrtesten Parkplatz der gesamten Köln Messe – unmittelbar vor dem VIP-Eingang. Respekt dafür, Dmexco. „Et hätt noch immer jot jejange“, sagt dazu der Kölner.
Respekt gebührt den Machern der Dmexco allemal. Die von mir sehr geschätzten Gründer Christian Muche und Frank Schneider werden wir vermissen. Sie haben aus der Dmexco ein international beachtetes Event der digitalen Superlative gemacht. Nun ruhen alle Augen auf Dominik Matyka, dem neuen Dmexco-Chef. Er hat die einzigartige Chance, der Messe ein neues Gesicht zu geben. Das braucht sie auch, um ihren zahlreichen Kritikern Antworten zu liefern.
Verantwortung und Haltung gefordert
Die erfolgsverwöhnte Branche braucht eine neue Standortbestimmung. Die alleinige „Fixierung auf die technologische Revolution schadet der Branche“, schrieb Horizont-Chefredakteur Volker Schütz den Verantwortlichen hinter die Ohren. Er fordert mehr Diskurs. Die Messe müsse stärker auf Kundenbedürfnisse und noch viel stärker auf die Konsumenten eingehen. Statt Buzzword-Bingo mehr Qualität, mehr Relevanz. Diese Forderung ist wahrer als je zuvor.
Es ist nicht mehr damit getan, die gewaltigen Probleme der Branche einfach mal zwei Tage lang auszublenden: Über 40 Prozent Adblocker, genervte User, Ad Fraud, Targeting-Exzesse und Facebook-Skandale, DSVGO, der Umgang mit E-Privacy und so weiter und so fort. Die Liste ist länger als der Branche lieb sein kann. Es reicht heute nicht mehr aus, den Online-Vermarktern hingebungsvoll zu huldigen. Die Zeiten der Selbstbeweihräucherung sind vorbei. Die im Alter von nunmehr 23 Jahren bisweilen noch pubertierende Branche muss spätestens 2018 erwachsen werden.
Das Motto der Dmexco 2018 verspricht Besserung. „Take C.A.R.E.“ steht für Curiosity, Action, Responsibility und Experience: „Bleibt neugierig, handelt bewusst, übernehmt Verantwortung und schafft besondere Erlebnisse.“ Wenn Aussteller und Besucher beginnen Verantwortung zu zeigen und Lösungen zu bieten, die den Verbrauchern ebenso wie den vielen, kritischen Online-Protagonisten aus den eigenen Reihen die zurecht aufkeimende Angst vor dem Monstrum Internet nehmen, dann bereichert sich die Dmexco erstmals um den Faktor Selbstkritik.
Um aus der hiesigen Digitalwirtschaft endlich etwas Sinnstiftendes zu machen, um unsere (Werbe-) Welt und die gesamte Gesellschaft wirklich zu bereichern, reicht es allerdings nicht aus, aus der Ferne Kritik zu üben. Dazu müssen alle einen konstruktiven Beitrag leisten und Haltung zeigen. Am besten vor Ort. Nutzen wir die einmalige Gelegenheit, wenn sich die gesamte Branche in Köln versammelt. Der Kölner kennt bekanntlich keine Angst vor der Zukunft. Denn: „Et kütt, wie et kütt.“ Wir sehen uns dort. Wenn’s sein muss und in Gottes Namen halt in Köln.
Zum Autor: Thomas Koch hat die Mediaagentur tkm gegründet und ist CEO von TKD Media. Außerdem hat er das Buch „Die Zielgruppe sind auch nur Menschen“ veröffentlicht. Teil I lesen Sie hier.