Dieser Tage hat nun auch Mercedes anlässlich eines Kapitalmarkt-Tages den anwesenden Journalisten seine neue Luxusstrategie vorgestellt: Der Autobauer will künftig etwa drei Viertel seiner geplanten Investitionen in die teuersten Fahrzeuge fließen lassen. Manifestiert wird dieser Plan durch eine Produktoffensive bei den elektrischen Luxuslimousinen von Maybach, bei den Fahrzeugen von AMG und der G-Klasse. Zusammen mit der S-Klasse sollen sie einen immer größeren Anteil an den verkauften Fahrzeugen von Mercedes haben.
Auf die gleiche Karte setzen BMW und Audi. Auch sie ändern ihre Modellpolitik und wollen in Zukunft vor allem größere und teurere Fahrzeuge anbieten. Kleinere Fahrzeuge werden nach und nach aus dem Produktportfolio genommen. BMW verzichtet beispielsweise auf den i3, bei Audi stehen der A1 und der kleine SUV Q2 vor dem Aus.
Luxusstrategie sorgt nicht automatisch für mehr Begehrlichkeit
Die Kernfrage ist, was diese Strategie der drei Hersteller für die Begehrlichkeit der Marken bedeutet. Werden sie tatsächlich attraktiver, nur weil sie teurer werden und sich dann weniger Menschen die Fahrzeuge leisten können?
Verknappung ist ein Urprinzip der Markenführung. Aber Verknappung wird als Markenstrategie nicht reichen. Luxus ist längst nicht mehr nur eine Frage des Preises. Wie die BrandTrust Studie zur Begehrlichkeit von Luxusmarken offenlegt, genügt es eben schon lange nicht mehr, „ikonenhafte Produkte in ehrfurchterzeugenden Verkaufs-Kathedralen zu präsentieren“, so die Studienautorin Judith Meyer. Je nachdem zu welcher Generation oder aus welchem Wertesystem die zukünftigen Luxuskunden kommen, suchen sie bei Luxusmarken nicht nur nach teuren Produkten mit erstklassiger Verarbeitung. Im Bereich der Luxusmarken wird die Frage nach dem „Warum“, dem Sinn und Zweck hinter dem Luxusprodukt und nach einem Marken-Gesamterlebnis um das Produkt herum immer entscheidender.
Auch der Kundenkontakt muss auf Luxus getrimmt werden
Ob die von Mercedes angekündigte Luxusmarkenstrategie erfolgreich sein wird, hängt also nicht nur von überlegenen Produkten, sondern vom luxuriösen Gesamterlebnis der Marke ab. Es wird eine entscheidende Rolle spielen, wieviel beziehungsweise welcher Luxus an allen zukünftigen Verkaufs- und Kommunikationskanälen dieser Automobilmarken relevant und spürbar wird. Ob es gelingen wird, die heute prozessoptimierten Verkaufspunkte in kundenzentrierte Markenerlebnisplattformen zu transformieren?
Das Marketing dieser Unternehmen steht also vor einer Mammutaufgabe. Es muss die gesamte Kundenreise im Schulterschluss mit dem Vertrieb über alle realen und digitalen Kontaktpunkte steuern. Das Prinzip „Wert vor Menge“ spielt dabei eine wichtige Rolle. Es drückt eine Haltung aus, die vermutlich erst zur Gewohnheit dieser Unternehmen werden muss, bevor die zukünftigen Kunden mit allen Mitteln der (Luxus-)Markenbegehrlichkeit angezogen werden.
Vergleich zu Porsche wäre nicht statthaft
Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Luxusstrategie von Mercedes war in den Wirtschaftsmedien vom Vergleich der Marke Mercedes mit Porsche zu lesen. Diesem Vergleich werden alle drei genannten Massen-Premium-Marken wohl nie Stand halten können. Denn weder die Menge der verkauften Fahrzeuge noch die klare Haltung des Sportwagenbauers und schon gar nicht der Gewinn pro Fahrzeug sind vergleichbar. Kein anderer Automobilhersteller verdient so viele Euros pro verkauftem Fahrzeug wie Porsche.
Die Stuttgarter nutzen ihre Stellung als eine der begehrtesten Automobilmarken der Welt: sowohl vor, während als auch nach der Corona-Pandemie. Kein anderer deutscher Hersteller hat derart diszipliniert den Wert der Marke über die verkaufbare Menge gestellt. Aller Sortimentsausweitungen und Wachstumsraten zum Trotz ist und bleibt Porsche eine echte Premiummarke, in einigen Segmenten auch eine hervorragend geführte Luxusmarke. Starke Marken kopieren eben nicht, sie kapieren. Das gilt nicht nur für die Kommunikation, sondern eben gerade auch für ihre Produkte und Services – und ganz besonders für ihre Grundstrategie.
Interessant ist auch das neue Preismanagement von Audi, BMW und Mercedes. Bisher war es aus markentechnischer Sicht ein Grauen zu beobachten, wie mit Hilfe von Rabattschlachten Mengenziele verfolgt wurden. Doch starke Marken haben keine Rabatte nötig. Im Gegenteil, das zu erzielende Preispremium einer Marke gilt in der Markentechnik als ein wichtiger Indikator für die Markenattraktivität. Die Pandemie und damit verbundenen Produktionsengpässe zwingen die Autobauer nun auch in diesem Marketing-Instrumentarium zum Umdenken.
Auslöser war die schwierige Gewinnsituation zu Beginn der Pandemie gepaart mit hoher Nachfrage und den nun gleichzeitig langen Lieferzeiten. All das führt zu einer Knappheit, die durch äußere Einflüsse provoziert wurde. Das mündet fast zwangsläufig in einer steigenden Begehrlichkeit. Plötzlich ist es möglich, jedes verkaufte Fahrzeug als einen Wertschöpfungstreiber zu nutzen und drohende Verluste aufgrund sinkender Mengen in Gewinne pro Fahrzeug umzudrehen.
Das Grundprinzip starker Marken wird nun ausgerechnet von den Marken wiederentdeckt, die in ihrem Kerngeschäft über Jahrzehnte ihre Markenstärke nicht optimal in Renditestärke umgemünzt haben. Vieles von dem, was Produktentwickler und Marketing an Begehrlichkeit produziert haben, wurde vom Vertrieb nicht in Wertschöpfung umgesetzt, das ändert sich gerade. Für Kunden wirkt das erst einmal ungewohnt, für Luxusmarken ist das aber eine Verpflichtung. Darauf werden sich Mercedes, Audi und BMW einstellen müssen, auch wenn es dauert, bis diese Botschaft überall im Unternehmen angekommen ist.
Jürgen Gietl ist Managing Partner bei Brand Trust und Technologiemarken-Experte.