Von Gastautor Jens Rode, Marketing-Experte und CEO Tellja
Ob Finanzdienstleister, Versicherer oder Telekommunikation: Alle sitzen im gleichen Boot, wenn es darum geht, potentielle neue Kunden auf die eigenen Angebote aufmerksam zu machen und zum Kauf zu motivieren – und das möglichst zeit- und kosteneffizient. Gerade im direkten Kontakt punktet der Vertrieb durch individuelle Beratungen und eine enge Bindung zum Kunden. Doch für jeden neuen Kunden müssen Unternehmen im direkten Vertrieb einen wesentlich höheren Aufwand betreiben, als zum Beispiel über automatisierte beziehungsweise alternative Vertriebskanäle. Der Vorteil von Automatismen und Algorithmen à la E-Mailing oder personalisierte Anzeigen liegt klar auf der Hand: Individuell angepasste Sales-Tools, die den Verkaufsprozess vereinfachen beziehungsweise an den richtigen Schnittstellen sinnvoll automatisieren. Wie lassen sich also beide Welten effizient und intelligent miteinander verbinden, um mit den Kunden per Du zu bleiben, aber trotzdem ressourcenschonend und erfolgsorientiert zu agieren?
Die richtigen Vertriebskanäle finden
Brachten vor dem großen Boom des Internets eher große Salesteams, unterstützt von Werbung über Radio und TV, die Durchdringung des Marktes voran, hat sich das Konzept in Zeiten von Onlinehandel, Digitalisierung und internationalem Kostendruck weitgehend selbst abgeschafft. Welcher Kanal heute und in Zukunft der bessere Weg zum Kunden ist, hängt vor allem von der Branche und unterschiedlichen Parametern, wie dem Produkt selbst, der Zielgruppe und den allgemeinen Marktentwicklungen, ab. Um herauszufinden, wo Kunden und potentielle Neukunden effektiv und auch effizient erreicht werden können, zeigt sich an den Touchpoints entlang der Customer Journey. Angebote wie komplexe Versicherungen sind zum Beispiel stärker erklärungswürdig als Basis-Stromanschlüsse für einen Haushalt und bedürfen meist einer persönlichen Beratung. Interessieren sich Verbraucher für einen neuen Internetanschluss oder Handytarif suchen sie in der Regel überwiegend online nach guten Preis-Leistungs-Angeboten. Besonders jüngere Kunden vergleichen bis zu 21 Onlineinhalte, bevor sie sich final entscheiden. Doch Vorsicht: Die Vertriebskanäle sollten nie zu einseitig gewählt werden. Ein optimaler Mix generiert sich aus online und offline Touchpoints – von persönlichen Kundenbetreuern, über Newsletter und personalisierten Anzeigen bis zu Rabatt- und Sonderaktionen über Empfehlungen.
Klassische Strukturen aufbrechen
Rasante Marktentwicklungen und neue Kommunikationstechnologien verlangen den Vertriebsstrategien höchste Agilität ab: Zum einen bieten spezielle Tools wie CRM oder zur automatisierten Leadgenerierung, die auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten sind, eine erhebliche Entlastung für die physischen Sales-Ressourcen. Automatisierte Kundenansprachen über zum Beispiel Newsletter oder Kooperationen im Onlineshop machen den Vertrieb an den richtigen Stellen automatisch effizienter und wesentlich flexibler. Über 91 Prozent der Konsumenten schauen täglich nach neuen Nachrichten in ihrem E-Mail-Account und sogar 80 Prozent bevorzugen E-Mails als primäres Kommunikationsmittel. Die Datenbanken von Marketing und E-Commerce erweisen sich hier als wahre Goldgrube: Denn wer seine Kontaktdaten freiwillig hinterlässt und sich registriert, ist definitiv am Produkt und Service interessiert und kaufbereit.
Um sich in den lukrativsten Vertriebskanälen gut aufzustellen, muss ein treffsicheres Monitoring aufgesetzt werden. Mit A/B-Testing lässt sich dann zum Beispiel herausfinden, welche Produktkategorien einfacher über das E-Commerce laufen und ab welcher Komplexität Verbraucher eher auf eine persönliche, beziehungsweise auch ausführlichere, Beratung zurückgreifen. Vereinfachte Produkte ebnen den Weg in den automatisierten Vertrieb: Anhand der gesammelten Daten und Customer Experiences lassen sich die bestehenden Produkte dahingehend weiterentwickeln, dass auch komplexere Angebote stark vereinfacht über Onlineshop-Systeme angeboten werden können, ein Potential, das nicht FinTechs wie Klarna oder N26 bereits im Frühstadium für sich genutzt haben und damit zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für etablierte Kredit- und Giroanbieter geworden sind.
Kundendatei als wichtigste Salesforce
Im Schnitt kaufen zufriedene Kunden nicht nur häufiger beim gleichen Anbieter, sondern äußern sich dreimal häufiger positiv über ihre Erfahrungen als durchschnittliche Kunden. Denn im Schnitt müssen Unternehmen bis zu zehn Mal mehr für das Werben eines neuen Kunden aufwenden, als dafür einen Bestandskunden zu weiteren Käufen zu motivieren. Dabei geben rund 80 Prozent der Verbraucher gerne ihre Erfahrungen mit den Produkten und Services weiter und leisten damit nicht nur eine wertvolle, sondern vor allem auch eine effiziente Markenkommunikation. Denn allein über Empfehlungen werden pro Jahr Millionen umgesetzt. Unternehmen, die das bereits umsetzen, können allein im Online Channel bis zu 20 Prozent der Neukunden gewinnen.
Mit Kunden-werben-Kunden Programmen lässt sich der Vertrieb sehr einfach automatisieren. Denn Empfehlungen und Meinungen anderer Konsumenten wird mehr vertraut als redaktionellen Inhalten oder Werbung. Laut einer Studie von McKinsey gelten besonders Touchpoints entlang der Customer Journey, die gesellschaftlich angetrieben sind, am vertrauenswürdigsten. So geben 92 Prozent der Käufer an, dass sie Empfehlungen von Freunden und Bekannten vertrauen. 70 Prozent lassen sich sogar von Meinungen und Kritiken leiten, die teils anonyme User online posten. Dieser positive Einfluss durch Empfehlungen kurbelt die Conversion Rate auf bis zu 50 Prozent mehr an.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten:
- Sales Automation hat durchaus seine Grenzen: Nicht in allen Bereichen ist die Digitalisierung beziehungsweise die Automatisierung des Vertriebs geeignet. Komplexe Produkte mit tieferem Beratungsanspruch sollten weiterhin in direktem Kontakt angeboten werden.
- Welcher Mix der Vertriebskanäle für das jeweilige Produkt oder die Branche am geeignetsten ist, zeigt ein regelmäßiges Monitoring aller relevanten Touchpoints entlang der Customer Journey.
- Digitale Freundschaftswerbung bringt physische Sales und die Vorteile der Sales Automation zusammen, denn 74 Prozent der Verbraucher vertrauen den Empfehlungen durch Freunde, Familie und Influencer. Bei Empfehlungen gilt klar: Vertrautheit, Emotionalität, beziehungsweise Glaubwürdigkeit sind wichtiger als Schnelligkeit und ständige Verfügbarkeit. Insbesondere Produktempfehlungen leben von Emotionen, Geschichten und ganz persönlichen Erfahrungen.