Ein Kommentar
Lieber [Leser dessen Name nicht verwendet werden darf],
wir haben es bald geschafft! Nur noch wenige Tage, dann sind wir sie los, diese endlose Diskussion um die richtige Form der Einwilligungserklärung für die richtigen – uns bis dato NATÜRLICH gänzlich unbekannten – Nutzer, die an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt erhoben wird und uns für immer von der Angst vor der 4-Prozent-Vom-Konzernumsatz-Strafe entlastet. Bald haben wir es geschafft, denn wir hören einfach auf. Digitalisierung bedeutet Agilität und das bedeutet Experimentierkultur. Das haben wir gelernt und so können wir branchenweit gelassen einsehen, dass das Experiment Daten-Marketing gescheitert ist. Das muss man so akzeptieren und wir können daraus wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Allen voran: Augen auf bei der Berufswahl.
Das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat endlich die nötige Klarheit und Transparenz erzeugt, auf die die Digitalbranche so lange gewartet hat: Wer irgendwie mit irgendwem verbunden ist, der in irgendeiner Form Cookies setzt, der macht sich mitschuldig. Und wer es wagt, nachzuschauen, wie viele User die Inhalte, die man unter nicht unerheblichen urheberrechtlichen Geburtsschmerzen veröffentlicht hat, gut finden, liken, weiterleiten oder kommentieren, der steht mit beiden Beinen fest auf der sicheren Seite, nämlich im Knast. Die Autorität räumt hier ein erhebliches Maß an Wahlfreiheit ein: Der Digitalverbrecher kann sich frei entscheiden zwischen Stadelheim, Stammheim und Fuhlsbüttel, es sei denn, er ist bereits einschlägig kriminologisch bekannt. Denn dann wird die Strafverfolgung ausgesetzt, weil sich die Exekutive dafür nicht rechtzeitig eine Einwilligungserklärung besorgt hat.
Gerüchten zufolge arbeitet das EU-Parlament seit Donnerstag an einer Novelle zur Datenschutzgrundverordnung. Darin soll es heißen: Es haftet auch, wer die gleiche Autobahn benutzt, wie ein Raser, und wer – wissentlich oder fahrlässig – in der gleichen Stadt seinen Wohnsitz hat, wie ein datenverarbeitendes Unternehmen. Der Bürgermeister von Flensburg berichtet bereits von einer signifikanten Abwanderungsbewegung in Richtung Klein-Pusemuckel.
Daten-Marketing ist out, es lebe das Umfeld. Hans-Joachim Strauch, der Geschäftsführer des ZDF Werbefernsehens lehnte sich auf dem Podium der Bewegtbild-Konferenz in Düsseldorf genüsslich zurück. Normales (Fachjargon: lineares) Fernsehen wächst, nur dort erzielt man schnell Reichweite und – das sagt Strauch nicht, aber er denkt es vielleicht – Fernsehwerbung ist so schön einfach. Da muss sich der gestresste CMO, der sich sein Digital-KnowHow ja ohnehin nur angelesen hat, nicht mit dem ganzen Datendings rumschlagen. Einfach der Media-Agentur ein Budget nennen, ein Nielsen- oder Sinus-Milieu dazu und schon kann man sich entspannt in den Türkei-Urlaub verabschieden. Das läuft.
Die Umfelder gehen massiv gestärkt aus dem hervor, was der Cyborg Enno Park auf der Webinale als „Karikatur von Datenschutz“ brandmarkte. Und was waren nochmal die wichtigsten Umfelder aus Sicht der User? Nimmt man die mobile Internetnutzung zum Maßstab sind das – oops – Google, Facebook und Amazon. Dazu noch ein klein wenig Sky (zumindest im Videobereich), etwas Springer und United Internet. Ach ja und die lästigen Wetter-Apps, aber die sind ein temporäres Phänomen, denn da kann ja keiner garantieren, dass Apple und Google nicht bei den erhobenen Daten mitlesen. Und wie war das noch mit der Haftung?
Ein großer Markenartikler [dessen Name aus Datenschutzgründen hier nicht genannt werden darf], berichtet von einem Rückgang im Newsletter-Verteiler von 97 Prozent. Nur drei Prozent der angeschriebenen User, die sich dereinst freiwillig und mit sauberem Double-OptIn angemeldet haben, leistete der Aufforderung folge, das erneut zu tun. Ein großer Verband [dessen Name … Sie wissen schon] schaltete am Donnerstag während der Webinale 105 Facebook-Fanpages für seine Mitglieder ab. Ein großer Konzern [..], der auf Facebook massiv Werbung schalten wollte, um den Nutzern die neue Herbstkollektion zu zeigen, wurde von nämlichem Publisher aufgefordert, die datenschutzrechtliche Haftung zu übernehmen, vor allem für die Mail-Adressen, die man Facebook gibt, damit das Netzwerk nach den statistischen Zwillingen sucht. Facebook muss das tun, der Konzern aber nicht, also gibt’s stattdessen halt einen neuen TV-Spot.
Entspannt euch, liebe Digitalen, das Leben wird so viel schöner ohne Daten. Wir brauchen nicht mehr über Walled Gardens zu diskutieren. Tatsächlich sind das ja ab heute Oasen der Targeting-Glückseligkeit mitten in einem lebensfeindlichen, datenlosen Umfeld. Wir brauchen uns nicht mehr mit IT und Legal die Köpfe einschlagen darum, wer die Projektverantwortung trägt und wie dringend welches Ticket ist. Wir müssen nicht mehr in teure Daten Management Plattformen investieren. Die Serverschränke, die wir dafür gekauft haben, eignen sich auch trefflich zur gekühlten Aufbewahrung von Grillgut.
Und wir können uns auf das konzentrieren, was wir am liebsten tun: Aufmerksamkeitsstarke neue Werbeformen für tolle Zielgruppenumfelder entwickeln, also PopUps, Redirects, PopUnders, Interstitials und SPAM-Mails. Dazu noch generische Radiospots (die laufen auch auf Alexa) und Aussage-schwangere TV-Spots. Hat noch jemand eine Lizenz für Adobe Flash?
Endlich müssen wir dem analogen Echtmenschen nicht mehr vorschwindeln, dass relevante Werbung besser ist. Das versteht der eh nicht. Der hofft ja – und mit ihm seine politischen Vertreter in Brüssel – dass DSGVO und ePrivacy dazu führen, dass weniger nervige Werbung aufpoppt.
Hach, haben wir gelacht.
Targeting ist tot, es lebe geile Werbung. Oder Content-Marketing. Oder wie das halt heute heißt. Und das finden die Leute schon von alleine. Inbound heißt die Kunst der Stunde, der SEO ist sein Kunsthandwerker und Google sein Werkzeugkasten. Ooops.