„Marketing funktioniert heute nicht mehr.“ Zu diesem Schluss kam kürzlich Philip Kotler. Der international bekannte Marketing-Guru und Autor zahlreicher Standardwerke beobachtet Produkteinführungen mit katastrophaler Erfolgsquote, und Konsumenten, die die meisten Werbekampagnen kaum noch wahrnehmen. Wenn die alten Rezepte versagen, wird es Zeit, nach neuen Strategien zu suchen, findet Roger Rankel. Wenn er das Stichwort Empfehlungsmarketing bei Google eingibt, erhält er stattliche 164 000 Treffer. „Das ist beachtlich, könnte aber auch mehr sein“, resümiert der Trainer angesichts der Tag für Tag zu hörenden Sätze: „Und danke für die Unterlagen!“ – „Aber gerne – ich freue mich, wenn Sie mich weiterempfehlen.“
Dass sie eine Lawine von Empfehlungen auslösen – Fehlanzeige. Rankel weiss den Grund: Unverbindliche Bitten führen in der Regel zu unverbindlichen Reaktionen. „Die persönliche Empfehlung als effektivste und zeit- wie kostensparendste Methode der Neukundenakquise führt nach wie vor ein Schattendasein“, bedauert der Vertriebsexperte. Natürlich kennt er Berater, die den Schritt weitergehen und dem Kunden Adressen und Telefonnummern potenzieller Interessenten entlocken. „Das ist nicht nur rechtlich heikel, es zwingt überdies, sich in die Gesellschaft der ungeliebten Marketinganrufer zu begeben, die die meisten Konsumenten inzwischen routiniert abwimmeln“, weiss der Profi.
Warum er dennoch für sich in Anspruch nimmt, ausschließlich auf Empfehlungsbasis zu arbeiten? „Qualifizierte Empfehlungen statt wertlose Adressen“ nennt Rankel sein Credo. Als Finanzdienstleister und Vertriebstrainer – für sein Unternehmen erhielt er den „OSKAR für den Mittelstand“ – setzt er bei der Neukundenakquise sogar ausschließlich auf diese Strategie. Statt Empfehlungen ad hoc und spontan anzusprechen, reserviert er dem Thema einen festen Platz. Mit einem festen, dem jeweiligen Kundentyp angepassten Gesprächsleitfaden und einer „Empfehlungslogik“ arbeitet er sich von Kunde zu Kunde.
Ein Beispiel aus der Praxis: Der Berater trifft in einem frühen Gesprächsstadium eine Empfehlungsvereinbarung mit seinem Kunden. Noch bevor er beginnt, einzelne Produkte vorzustellen, vereinbart er mit seinem Gegenüber, ihn bei zufriedenstellenden Ergebnissen weiterzuempfehlen. Ein Gesprächsbeispiel zeigt, wie sich der Kunde verpflichtet, diese Vereinbarung einzugehen:
Berater: „Herr Wagner, wir sind heute auf Empfehlung von Herrn Schmidt zusammengekommen. Was denken Sie, warum Sie Herr Schmidt an mich weiterempfohlen hat?“ |
Schließen Sie einen mündlichen Vertrag
(Nur) Zufriedene Kunden empfehlen weiter. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sagt Rankel. Neu allerdings sei die Idee, auf dieser Basis einen mündlichen Vertrag mit dem Kunden zu schließen: Ist der Kunde zufrieden, verpflichtet er sich, Empfehlungen auszusprechen. Das Prinzip: Der Berater verbindet die Frage der Empfehlungen mit einem Serviceversprechen. Ich möchte Sie, meinen Kunden, zufrieden stellen.
Gleich im Anschluss sollte er die konkrete Empfehlung vorbereiten:
Berater: Dann würde ich Folgendes vorschlagen: Wir starten jetzt mit der eigentlichen Beratung, und dann, wenn Sie sagen, ja, das ist gut, Sie sind zufrieden, das ist empfehlenswert, kommen wir noch mal auf diesen Punkt zu sprechen. Ich werde Sie dann fragen, an wen Sie mich empfehlen möchten.“ |
Das Empfehlen als gemeinsames Projekt von Kunde und Berater
Gewinnt der Berater den Eindruck, sein Kunde ist zufrieden, ruft er die Empfehlungsvereinbarung in Erinnerung. Rankels Tipp: „Versuchen Sie erst gar nicht, Ihrem Kunden Adressen oder Telefonnummern aus dem Kreuz zu leiern. Erstens baut das nur Widerstände auf, und zweitens nützen Ihnen solche Daten ohnehin wenig. Echte – qualifizierte – Empfehlungen haben Sie nur, wenn der Kunde Sie tatsächlich weiterempfiehlt und die potenziellen Interessenten selbst anspricht.“
Ein schöner, aber praxisferner Gedanke? Denen, die immer noch zögern, empfiehlt Rankel: „Steigen Sie mit einem Brainstorming ein und überlegen Sie mit dem Kunden gemeinsam: Wer könnte sich für das Angebot interessieren?“ Der Berater weiss: „Eine solche unverbindliche Stoffsammlung fällt den meisten Kunden leicht, weil sie nicht in die Verlegenheit geraten, Adressen oder Telefonnummern preiszugeben, und weil die Gesprächspartner zu Beginn deutlich signalisieren: ‚Wir sammeln erst einmal, und schauen hinterher gemeinsam, welche zwei, drei Ansprechpartner tatsächlich in Frage kommen.’ In wenigen Minuten komme so eine Liste potenzieller Kunden zustande, auf der beispielsweise „Kollege, Studienfreund, Nachbar, Schwägerin, Herr Müller“ stehe. Anschließend entscheide der Kunde mit, wer bei näherer Betrachtung tatsächlich Interesse haben könnte. Rankel ist optimistisch: „Der Verkaufsberater vereinbart einen Termin, bis zu dem der Kunde – nicht der Berater – potenziellen Neukunden ein kurzes Zeichen gibt. Auch wenn der eine oder andere Kandidat abwinken, bei den übrigen trifft der Berater auf echtes Interesse“.
Geht gar nichts, bleibt die Flucht nach vorn
Der Schlüssel zum Empfehlungserfolg liegt im offenen und fairen Umgang mit den Kunden. Auch bei dem Einwand, dass doch jedes Kundengespräch anders verlaufe, lässt Rankel keine Zweifel aufkommen. „Nur auf den ersten Blick“, korrigiert er. Nüchtern betrachtet ließen sich alle Gespräche unter Empfehlungs-Gesichtspunkten exakt sechs Gesprächstypen zuordnen. In Erstgespräche und Bestandskunden, wurde der Kunde schon einmal auf Empfehlungen angesprochen? Ja oder nein, und wie hat er reagiert, ablehnend oder zustimmend? Auch echte Empfehlungsmuffel seien mit der richtigen Gesprächsstrategie für das Thema zu gewinnen. „Ich rate zur Flucht nach vorn“, rät Rankel, „etwa ‚Ich weiß, wir haben schon mal über Empfehlungen gesprochen. Geben Sie dem Thema noch eine letzte Chance?’“ Und der Trainer weiß: Eine solche letzte Chance will kaum einer verpassen.
Autor:
Siegfried Haider ist freier Journalist mit Schwerpunkt Training und Weiterbildung.
eingestellt am 22. September 2006