Wie Elektromobilität markenspezifisch gestaltet werden kann, ist tatsächlich eine der strategisch bedeutendsten Fragen für die gesamte Branche. In dem Entscheidungsprozess, der jetzt beginnt, wird es für die Brandmanager darauf ankommen, sich nicht allein von technischen Argumenten die Richtung diktieren zu lassen. Es müssen markenspezifische Antworten gefunden werden. Sie werden darüber mitentscheiden, wie die Hersteller die Zukunft meistern. Einige Stichworte verdeutlichen, wie tiefgreifend die Fragen sind, die sich aus Markensicht auftun:
Antrieb: Anders als etwa die Dichtungssysteme und Zündkerzen ist der Autoantrieb aus Kundensicht emotional stark besetzt. Der Verbrennungsmotor ist für manche Automarke ein wichtiger Markentreiber. Entsprechend setzt sich bei vielen Herstellern das Markenerlebnis unter der Kühlerhaube fort. Das kann positive Gefühle erwecken, oder auch das Gegenteil: Wer einen Saab wollte, mochte sich zuletzt nicht am Opelmotor darin erfreuen. Und was bedeutet es für die Markenidentitäten, wenn plötzlich alle Hersteller denselben Elektroantrieb nutzen? Was ist noch Zuliefererkomponente, was schon entscheidend für die Marke? Dies muss präzise definiert und für jede Automarke gesondert bewertet werden.
Design: Aus technischen Gründen müssen Elektromobile nicht mehr so aussehen wie Autos mit Verbrennungsmotor. Neue Formen sind denkbar, doch beliebig dürfen sie nicht werden. Vieles spricht aus Markensicht dafür, charakteristische Elemente wie die BMW-Niere beizubehalten oder eine spezifische Formensprache, wie sie beim Golf von Volkswagen seit 1974 gepflegt wird. Gerade in Zeiten des technischen und funktionalen Wandels ist Vertrautheit für die Kunden ein wichtiger Anker. Nur neue Anbieter wie der kalifornische Elektroautohersteller Tesla können es sich erlauben, frei zu experimentieren – hier gibt es keine Markenerwartungen im Publikum, die enttäuscht werden könnten.
Sound: „Emissionsfreiheit“ gilt als das Argument schlechthin für den Elektroantrieb und auch bei der Lärm-Emission gewinnt Elektro. Was aber bedeutet das für die Marken? Ein stummer Ford mag ja noch angehen. Ein lautloser Porsche aber erscheint so attraktiv wie ein Kartoffelchip ohne Crunch-Effekt. Nicht zufällig arbeiten auch Sounddesigner an beiden Produkten, dem Chip wie dem Auto, denn der Klang ist für diese Marken ein bedeutsamer Markenbaustein. Der Porsche-Klang wird bewusst gestaltet und gilt als probates Mittel, Motorkraft und Wertklasse markenspezifisch zu verdeutlichen.
Tanken: Völlig offen ist die Frage, wie die Energie ins Fahrzeug kommt. Hier träumen manche Hersteller von markenspezifischen Lösungen. Der vermeintliche Vorteil liegt darin, dass ein Markenwechsel schwieriger wird, wenn der Kunde auf ein Steckersystem verpflichtet ist. Renault geht hier offensiv einen anderen Weg und kooperiert mit Better Place und dessen herstellerneutralem Wechsel-Akku-System. Das Vorbild hier ist die klassische und Automarken-neutrale Tankstelle: Einfach nach 160 Kilometern alte Batterien raus, neue rein, und weiter geht’s. Doch die Claims gerade in dem Gebiet der Energiezufuhr sind noch lange nicht abgesteckt. Es entstehen neue, interessante Allianzen. Und vielleicht auch neue Mobilitätsmarken.
Klar scheinen in Sachen Elektromobilität derzeit nur wenige Dinge zu sein: Zum Beispiel, dass geringe Reichweite für Autofahrer ein unkomfortabler Gedanke ist. Und: Wer den leistungsfähigsten Elektromotor und die stärkste Batterie auffährt, hat gewonnen. Ob das ein etablierter Autohersteller sein wird, ist offen. Denn Dinge in markenspezifischen Bahnen zu halten, ist die eine Sache. Genügend Innovationen zu entwickeln, zuzulassen und markenspezifisch einzupassen, eine andere. Es sind schon Manager an kleineren Aufgaben gescheitert.
Über den Autor: Christian Prill ist Geschäftsführer des Markenbüro Hamburg.