Gratis wird zum Problem
Dem Internet-Nutzer werden zahllose Produkte im WWW gratis angeboten, und er macht davon regen Gebrauch. Das Spektrum dieser Offerten reicht von Online-Zeitungen über Fotos, Musik und Videos bis hin zu Bildschirmschonern, Anti-Viren-Software und den neuesten Versionen der bekannten Web-Browser.
Die Anbieter dieser Gratisprodukte finanzieren sich vielfach durch Werbeeinnahmen. Dies wird nun aber zunehmend zum Problem, da die Online-Werbung in eine Krise geraten zu sein scheint und als Finanzierungsquelle nicht mehr so stark sprudelt wie bisher. Damit die für den Internet-Nutzer kostenlosen Leistungen ihre Anbieter nicht in den Ruin treiben, wird derzeit krampfhaft nach neuen Erlösmodellen gesucht. Mehr noch: Bislang frei erhältlicher Web-Content soll nun endlich zur Cash Cow werden, vernünftigen Inhalt soll es nur noch gegen Bezahlung geben.
Handys kosten demnächst Geld
Ähnliches haben auch die Mobilfunkunternehmen angekündigt. Die Zeit der kostenlosen Handys wird wohl bald vorüber sein.
Es sieht so aus, als seien die Unternehmen dabei, einen ruinösen Fehler ihres Preismanagements im Electronic Commerce bzw. im Mobilfunkbereich zu korrigieren. Der Verbraucher soll offenbar dazu erzogen werden, endlich Geld für etwas auszugeben, das ihm bisher unentgeltlich zur Verfügung stand. Diese nachträgliche Einführung von monetärem Entgelt könnte sich nun aber ebenfalls als kapitaler Fehler des Preismanagements erweisen, nämlich dann, wenn es gute betriebswirtschaftliche Gründe für Gratisofferten im Internet gibt. Und solche scheinen tatsächlich zu existieren, zumindest in bestimmten Kategorien digitaler Produkte. Solche Gründe sind unter anderen folgende:
- Netzeffekte
In den Märkten der Internet-Ökonomie treten bei der Verbreitung bestimmter Leistungen vielfach Netzeffekte in Gestalt positiver Netzwerk-Externalitäten auf. Solche Netzeffekte beschreiben allgemein jenen Sachverhalt, wonach der Nutzen eines Netzwerks um so größer wird, je stärker das Netzwerk wächst. So steigt beispielsweise der Wert des E-Mail-Diensts für den einzelnen Verwender um so stärker an, je mehr Personen ebenfalls E-Mail nutzen. Ähnliches gilt beispielsweise für Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, elektronische Marktplätze, Auktionen und virtuelle Communities im Internet.
Neben diesen direkten Netzeffekten entstehen in der Internet-Ökonomie auch indirekte Netzeffekte, die von der Verfügbarkeit komplementärer Leistungen abhängen. Dies gilt beispielsweise für Software-Produkte, die im zunehmenden Maße auch über das Internet vertrieben werden. Für Betriebssysteme beispielsweise, die sehr populär sind (zum Beispiel Windows), werden wesentlich mehr Anwendungsprogramme entwickelt als für weniger beliebte Betriebssysteme, wodurch sich die Verbreitung der erstgenannten zu Lasten der letztgenannten beschleunigt. Zugleich wachsen Umsatz und Marktanteil überproportional, und es können „Increasing Returns“ entstehen. - Fixkostendominanz
Steigende Grenzerträge beruhen häufig aber noch auf einem weiteren Aspekt, nämlich der Fixkostendominanz bei der Herstellung und Verbreitung digitaler Produkte sowie den daraus folgenden substantiellen Economies of Scale. Die Herstellungskosten von Software, Spielfilmen, Informationen und dgl. werden wesentlich durch die fixen Erstkopiekosten bestimmt („First-Copy-Costs“). So hat beispielsweise die Erstkopie des Netscape Navigator rund 30 Mio. US-Dollar Entwicklungskosten verursacht, während die Kosten für die zweite und jede weitere Kopie nur rund eine US-Dollar betragen haben. Die variablen bzw. Grenzkosten sind somit nur von untergeordneter Bedeutung. Ähnliche Zusammenhänge gelten auch für die Vertriebskosten im Internet, die in hohem Maße ebenfalls einen fixen Charakter aufweisen.Aus dieser Fixkostendominanz und den erheblichen Anfangsinvestitionen für die Erzeugung der „First Copy“ ergibt sich zunächst eine im Vergleich zu traditionellen Märkten meist längere Zeitspanne bis zum Erreichen der Gewinnschwelle. Aufgrund der ausgeprägten Skaleneffekte steigt der Ertrag danach aber überproportional an, was durch auftretende Netzeffekte noch verstärkt wird.
Für Produkte im Internet, die solchen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, ist es folglich notwendig, die Verbreitung so schnell wie möglich voranzutreiben, was durch eine Strategie des Viral-Marketing erreicht werden kann, die eine Niedrigpreisstrategie oder gar das Verschenken der Produkte umfasst. Dagegen wird die notwendige Größe zur Realisierung substantieller Skaleneffekte durch Hochpreisstrategien nicht erreicht. - „Follow the Free”-Pricing
Die schnellste Verbreitung soll ein Produkt im Internet dadurch erreichen, daß es der Anbieter kostenlos abgibt. Diese Strategie des Verschenkens von Produkten im Internet wird als „Follow the Free“-Pricing bezeichnet und umfasst zwei Schritte (Zerdick et al. 2001): Im ersten Schritt werden durch die kostenlose Abgabe z.B. eines Software-Produkts und dadurch entstehende Netzeffekte rasch eine wachsende Kundenbasis aufgebaut und ein Kundenbindungseffekt (Lock-in-Effekt) erzielt. Im zweiten Schritt sollen dann durch den Verkauf von Komplementärleistungen oder von neueren bzw. leistungsfähigeren Produktversionen („Upgrades“ bzw. „Premiums“) an den Kundenstamm Erlöse entstehen.
Spektakuläre Fälle scheinen den Erfolg des „Follow the Free“-Pricing zu bestätigen. So hat z.B. Network Associates (ehemals McAffee) seine Anti-Viren-Software kostenlos im Internet angeboten und nur dann eine Lizenzgebühr verlangt, wenn das Programm von einem gewerblichen Nutzer installiert und im Informationssystem seines Unternehmens erfolgreich eingesetzt worden war. Neue Programmversionen kommen alle sechs bis acht Wochen auf den Markt und sind in der zweijährigen Lizenzgebühr bereits enthalten. Dadurch ist es Network Associates gelungen, Marktführer zu werden. Auch die kostenlose Abgabe des Netscape Navigators hat seine einstmals bedeutende Marktposition mit begründet.
„Follow the Free“ nicht für alle Güter geeignet
Die „Follow the Free“-Strategie erscheint jedoch nicht unproblematisch. Zunächst hängt ihre Anwendbarkeit von der im Internet angebotenen Produktkategorie ab. Sinnvoll dürfte sie bei digitalen Produkten sein, bei denen erhebliche Netz- und Skaleneffekte entstehen können. Weniger sinnvoll ist sie dagegen bei nicht-digitalen Gütern, die zwar ebenfalls über das Internet vertrieben werden, jedoch von vergleichbaren Netz- bzw. Skaleneffekten kaum profitieren (zum Beispiel Lebensmittel, PKWs, Blumen).
Problematisch ist die „Follow the Free“-Strategie auch deshalb, weil sie eine „Free Lunch“- oder „Free Rider“-Mentalität bei den Kunden schafft, die entgeltpflichtige Angebote im Internet dann weitgehend ablehnen. So zeigen denn auch Befragungen deutscher Internet-Nutzer, daß mehr als die Hälfte von ihnen kaum bereit sind, kostenpflichtige Informationsangebote im Internet zu akzeptieren, da ihrer Meinung nach in ausreichendem Maße kostenfreie Alternativen zur Verfügung stehen. Diese Haltung erschwert grundsätzlich auch die Durchsetzung von Preisen für Komplementärleistungen und neue Versionen eines im Internet ursprünglich kostenlos abgegebenen Software-Produkts. Sie steht damit ebenfalls der Realisierbarkeit einer klassischen Niedrigpreis- oder Penetrationspreisstrategie entgegen, die sich als Alternative zum „Follow the Free“-Pricing im Internet grundsätzlich anbietet.
Nur wenige User wollen zahlen
Diese ausgeprägte Abneigung der Verbraucher, Leistungen zu bezahlen, die sie jahrelang unentgeltlich beziehen konnten, dürfte auch die Absicht der Mobilfunkunternehmen und der Content-Anbieter, Preise für Handys beziehungsweise Web-Content zu verlangen, zunichte machen oder aber zumindest ganz erheblich erschweren. So zeigt eine Ende letzten Jahres veröffentlichte Untersuchung von Forrester Research, daß in den USA sogar nur weniger als 10 Prozent der Internet-Nutzer dazu bereit sind, für digitale Inhalte etwas zu bezahlen, wobei nur Preise zwischen 0,48 und 1,38 US$ akzeptiert würden. Eine größere Bereitschaft geben nur jene Internet-Nutzer an, die den Web-Content für hochwertig halten. Doch auch in diesem Kreis weisen nur maximal 31 Prozent der Personen überhaupt eine Zahlungsbereitschaft auf.
Fazit
Immerhin deuten diese Befunde folgendes an: Wenn Preise für Webinhalt durchgesetzt werden sollen, dann müssen die Anbieter ihren Content qualitativ zum Teil erheblich verbessern und dem Kunden einen klaren Nutzen bieten. Aber selbst dann sind rund 70 Prozent der amerikanischen Internet-Nutzer noch immer nicht bereit, Zahlungen zu leisten.
Es gibt aber dennoch Anlaß zur Hoffnung: Ungeachtet der derzeitigen Flaute wird die Online-Werbung auf längere Sicht die bedeutendste Einnahmequelle der amerikanischen Content-Anbieter im Internet bleiben, denn die Einnahmen sollen von derzeit rund sieben auf etwa 27. Millionen US$ im Jahre 2005 steigen, so zumindest die Prognose von Forrester. Wenn dies zutrifft, so wird zumindest der amerikanische Internet-Nutzer sich auch längerfristig auf Gratis-Offerten im Internet freuen dürfen.
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Autor: Prof. Dr. Wolfgang Fritz, TU Braunschweig
eingestellt am 16.05.2001
Literatur:
Fritz, W: Internet-Marketing und Electronic Commerce. Grundlagen, Rahmen-bedingungen, Instrumente, Wiesbaden 2000.
Fritz, W. (Hrsg.): Internet-Marketing. Marktorientiertes E-Business in Deutschland und den USA, 2. Auf., Stuttgart 2001.
Zerdick, A., et al.: Die Internet-Ökonomie. Strategien für die digitale Wirtschaft, 3. Aufl., Berlin u. a. 2001.