Spätestens als der weiß lackierte Tesla an Seilen auf die Bühne herabgelassen wird, ist klar: Show kann Adobe – und muss es auch. Denn das Unternehmen hat eine Vision und die besteht unter anderem darin, sich von seinem bisher noch vorherrschenden Image als Software-Anbieter für Kreativschaffende zu lösen. Die Amerikaner wollen zu einer Plattform werden, einem Rundum-Partner für Marketingabteilungen kleiner und großer Unternehmen.
Und was könnte diesen Imagewandel besser einläuten, als eine große Show? Adobe würde wohl den Begriff „Erlebnis“ nutzen, denn das ist, was das Unternehmen verkaufen will. „Aufbruch ins Experience Business“ lautet daher der neue Claim, unter dem auch der diesjährige Adobe-Summit in London stand. Zwei Tage drehte sich alles um konsistente Kundenerlebnisse und wie man diese in Zeiten multipler Gerätenutzung und Kanalfragmentierung bereitstellt.
„Best of the Best Report“: Geräteübergreifende Markenerlebnisse lassen zu wünschen übrig
„Wir befinden uns in der dritten Phase unternehmerischer Disruption“, sagte dazu Brad Rancher, Senior Vice President der Digital Marketing Business Unit. Nach der Transformation der internen Infrastrukturen in Backoffice und Frontoffice ginge es nun nicht länger nur um die Vereinfachung der Arbeit. „Jetzt geht es um die Konsumenten. Wir müssen unsere Jobs so gut machen, dass sie gar nicht wissen, dass wir existieren.“ Die große Herausforderung dabei liegt in einem konsistenten Markenerlebnis, das zugleich individuell auf den Kunden zugeschnitten ist.
Dass viele Unternehmen noch ein Stück Weg bis dahin vor sich haben, zeigt Adobe dem „Europe Best of the Best Report 2015“ auf. Nur 41 Prozent der deutschen Mobile Nutzer, heißt es darin, seien aktuell der Meinung, dass Marken konsistente und personalisierte Kundenerlebnisse bieten. Vor allem die Notwendigkeit, sich auf verschiedenen Geräten ständig neu einloggen zu müssen, die Schwierigkeiten bei der Eingabe von Daten und die mangelnde Anpassung auf die jeweilige Screen-Größe wirken sich laut Report negativ auf das mobile Markenerlebnis aus.
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Es gilt also geräteübergreifende Einheit zu schaffen, mit all ihrer technischen Raffinesse. Denn der Kunde, so die einleuchtende (wenn auch nicht neue) Einsicht, muss im Zentrum aller Aktivitäten liegen.
Adobe selbst will zum Erlebnis werden
Wie die geräteübergreifende Distribution von Markenerlebnissen stattfinden kann, veranschaulichte das Unternehmen etwa über das Beispiel mit Dunkin‘ Donuts: Statt in der Warteschlange zu stehen, könnte ein Kunde seine Bestellung digital aufgeben, über das Smartphone im Auto oder eine digitale Schaltfläche vor dem Eingang. Über iBeacons lässt sich das Angebot personalisieren, das Unternehmen weiß so bereits im Voraus, was der Kunde kaufen will. Das gleiche gilt beim Shoppen. Adobe will die Customer Journey ganzheitlich abbilden können: Vom ersten Google-Search bis hin zur In-App-Aktivität. Für die Verbindung zwischen Offline- und Online-Welt hat das Unternehmen eine Smart-Bag entworfen, eine reale Replik des virtuellen Warenkorbs, die erkennt, welches Produkt hineingelegt wurde und die Aktivität auf die zugehörigen App überträgt. Weitere Sneaks versprechen außerdem eine Body-Scan-Lösung für Online-Shopping und präzisere Möglichkeiten zur Werbedruckanpassung.
In der Außenwahrnehmung tut sich Adobe noch schwer
Doch die Vielzahl der Produkte hat über die Zeit zu einer inneren Fragmentieren geführt. Ein einheitliches Kundenerlebnis kann nur erschaffen, wer das Versprechen selbst umsetzt. Adobe will seinen eigenen Kunden daher nicht nur neue Tools an die Hand geben, um das auch umsetzen zu können. Es geht vor allem um Vereinheitlichung: Adobe hat seine Creative Cloud, Document Cloud und Marketing Cloud in der Oberfläche angepasst und miteinander verbunden. „Die Marke Adobe“, so sagt es etwa Vijayanta Gupta, ebenfalls führender Kopf der Digital Marketing Business Unit, „steht nicht länger für eine lösungsorientiertes Software-Unternehmen. Sie steht für ein Plattform-Unternehmen.“
Man könnte auch sagen: Adobe selbst will zum Erlebnis werden. Und das ist angesichts des neuen Claims keine schlechte Idee. Wer anderen dabei helfen will, Erlebnisse zu kreieren, sollte sich selbst damit auskennen. Doch gerade in der Außenwahrnehmung tut sich das Unternehmen noch schwer. Die meisten Kunden greifen nur auf einzelne Werkzeuge der Marketingcloud zurück und gerade große Konzerne müssen diese an ihre eigene bestehende Infrastruktur anpassen. „Adobe stellt die Integration als so einfach dar. In Wirklichkeit bedeutet das jede Menge Customizing“, sagt etwa Jörg Poggenpohl, Digitalmarketing-Chef bei BMW.
Hinzu kommt ein noch ausbaufähiges Bewusstsein für die Vielfalt von Adobes Angebot. „Es ist eine Herausforderung, das Bewusstsein für die einzelnen Werkzeuge und Erweiterungen zu erzeugen“, sagte Vijayant Gupta. Noch stehe Adobe zudem vor allem als Partner für große Konzerne da, dem Mittelständler gegenüber begegnet das Unternehmen noch zu zaghaft, räumte Brad Rancher ein.
Plattform-Vision versus Kontrolle über eigene Daten
Die Plattform-Vision hakt aber noch an einer anderen Stelle: Unabhängigkeit. Adobe will dem Kunden zwar Kontrolle über seine Daten und sein Marketing-Aktivitäten zurückgeben. „Unternehmen müssen ihre Datenanalyse nicht mehr outsourcen. Wir geben ihnen die Möglichkeit, sie selbst durchzuführen“, sagt Manager Gupta.
Doch in Zeiten der Internet „Big Five“ scheint es gewagt, sein komplettes Marketingsystem über einen Anbieter zu fahren. Für die Datenanalyse etwa setzt BMW-Manager Poggenpohl lieber auf ein eigenes Dashboard aus mehreren Quellen. So mache man sich nicht von einem Algorithmus, einem System abhängig. „Wir wollen den Überblick behalten“, sagt er.
Trotzdem: Die Integration aller Produkte war längst überfällig. Mit Nutzererlebnis kann nur werben, wer selbst eines schafft. Adobe wollte auch auf seinem Summit beweisen, dass es sowohl virtuell als auch real dazu in der Lage ist. Dazu fuhren Autos von der Decke, Kunden wie The Royal Bank of Scotland oder Heathrow Airport berichten von ihren (natürlich hervorragenden) Adobe-Cases, der irische Schauspieler Collin Farrell sprach über Kreativität und ein Drei-Sterne-Starkoch aus England über Innovation. Die Botschaft: Wir können Erlebnis pur. Das wollt ihr auch? Dann kommt zu uns. Das war gut gemeint, doch manch einem mitunter zu dick aufgetragen. „Adobe spricht die ganze Zeit von personalisiertem und konsistentem Kundenerlebnis und dann erschlägt es einen mit drei Stunden langen Keynotes ohne roten Faden“, war nur eines vieler ähnlicher Kommentare im Pausenhof der Veranstaltung. Statt die erhofften Impulse zu sammeln, fühlten sich viele auch in den einzelnen Sessions in einer Verkaufsveranstaltung von Adobe gefangen. In Echtzeit aber kann man reale Veranstaltungen leider nicht anpassen, egal wie klar die Datenlage ist.