Mit ihren Einzelhändlern Lidl und Kaufland, einer eigenen Produktionsfirma, einem Recycling-Unternehmen sowie einer Reihe ergänzender Dienstleistungen deckt die Schwarz Gruppe komplette Wertschöpfungsketten ab. Wie man hier Marketing-Tech-Projekte umsetzen und dabei auch Mitarbeitende und Organisation einbeziehen kann – das wollten wir von Rolf Schumann wissen, dem Chief Digital Officer der Schwarz Gruppe.
Herr Schumann, wo und unter welchen Voraussetzungen setzen Sie in der Schwarz Gruppe Marketingtechnologien ein?
Wir setzen Marketingtechnologien gezielt an allen Kunden-Schnittstellen ein. Beim Einsatz entsprechender Lösungen sind wir weniger von der Technologie getrieben als vielmehr von der Philosophie, dass wir in geschlossenen Kreisläufen denken. Neben dem Handel decken wir mit unseren Geschäftsfeldern auch die Produktion, das Recycling sowie zahlreiche Dienstleistungen ab. Und überall dort, wo wir auf Angebote aufmerksam machen, Kunden informieren und mit ihnen interagieren, setzen wir mit den richtigen Werkzeugen an.
Worin sehen Sie den größten Nutzen der Marketingtechnologien?
Wir setzen MarTech nicht zum Selbstzweck ein. Unser Ziel ist es, Kunden transparent zu informieren und an unsere Marken zu binden. Wir wollen die Kunden daher so bedienen, wie sie es am liebsten mögen. Und genau dabei helfen uns Marketingtechnologien enorm.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie zum Beispiel unsere Loyalty-Apps für Lidl und Kaufland. Unsere Kunden erlauben uns die Nutzung ihrer Daten und erhalten dafür im Gegenzug zusätzliche Angebote, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Das ist eine Win-win-Situation. Wir können auf Kundenwünsche schnell reagieren und gleichzeitig sicherstellen, dass Kunden bekommen, was sie gern möchten. Auch können wir Kunden dadurch besser bedienen und betreuen.
… Die Umsatzmaximierung spielt keine Rolle?
Selbstverständlich müssen wir wirtschaftlich erfolgreich sein. Aber wir haben für den MarTech-Einsatz eine andere Prämisse. In unseren Filialen und Online-Kanälen kaufen jährlich mehrere Milliarden Kunden ein. Unser vorrangiges Ziel beim Technologieeinsatz ist es, dass diese Kunden zufrieden sind und deshalb gerne wiederkommen. Das sind aus unserer Sicht die besten Voraussetzungen für gute Umsätze.
Wie ist der Marketing-Tech-Stack grundsätzlich aufgebaut?
Zum einen sind Daten und Prozesse bei uns strikt getrennt. Und zum anderen denken wir in Ökosystemen. Die Schwarz Gruppe ist so groß, dass Silos nie die beste Option darstellen. Wir legen daher alle Daten in einer großen Daten-Plattform ab – nicht nur die Kundendaten, sondern auch die Produkt- und Prozessdaten. Die Daten liegen dort in einer weitgehend nicht aggregierten Form vor. Darüber hinaus haben wir diverse Plattformen für bestimmte Anwendungszwecke, die darauf aufsetzen, zum Beispiel Shopping-Plattformen, eine Marktplatz-Plattform oder unsere Loyalty-Plattformen.
Wer Daten aggregiert, verliert Kontext und Wissen.
Was ist der Vorteil nicht aggregierter Daten?
Befinden sich die Daten in einem Purpose-getriebenen System, lassen sich nur jene Fragen damit beantworten, die diesem Purpose dienen. Doch die Fragestellungen ändern sich ständig. Nicht aggregierte Daten bieten uns hingegen eine enorme Flexibilität. Je nach Fragestellung können wir Daten zusammenziehen, entsprechende Erkenntnisse gewinnen und die richtigen Antworten finden. Wer Daten aggregiert, verliert hingegen Kontext und Wissen.
Wie gewährleisten Sie dabei Datensicherheit und Datenschutz?
Wir haben uns in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. Unter anderem nutzen wir unsere eigene Cloud Stackit, die wir selbst entwickelt haben. Die Rechenzentren befinden sich in Deutschland und erfüllen höchste europäische Sicherheitsstandards. Auch das Thema Cybersicherheit ist exorbitant wichtig. Mit dem von uns übernommenen israelischen IT-Security-Unternehmen XM Cyber haben wir die Kompetenzen dafür in unseren eigenen Reihen verstärkt.
Kommen auch klassische Marketing-Clouds zum Einsatz?
In der Regel entwickeln wir MarTech, die uns differenziert, selbst. Dort, wo es sinnvoll ist, bedienen wir uns auch externer Werkzeuge. Dabei bemühen wir uns jedoch, die Daten in unser Datenmodell zu integrieren und Daten nicht in der Cloud der unterschiedlichen Anbieter, sondern in unserer eigenen Lösung abzulegen. Daher können wir unseren Datenschutzvorgaben und Richtlinien gerecht werden.
Wie betreiben und steuern Sie Ihre Marketingtechnologien? Inhouse?
Im Handel ist die Digitalisierung eines der größten Themen. Somit ist sie für uns ein wichtiger Differenzierungsfaktor. Hier wollen wir uns nicht auf andere verlassen, sondern setzen das Thema komplett mit eigenen Kompetenzen und Ressourcen um. Wir haben einen eigenen Digitalisierungsbereich und mit Schwarz IT einen eigenen IT-Dienstleister. Externe Hilfe benötigen wir in diesen Bereichen lediglich in vereinzelten Themenfeldern.
Welche Technologie-Entscheidung hatte im Marketingbereich in jüngster Zeit den größten Effekt?
Jedes unserer Projekte hat für seine jeweilige Dimension eine enorme Wirkung gehabt. Eines der erfolgreichsten und auch in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommenen Projekte war sicherlich die Eigenentwicklung unserer Loyalty-Programme. Die Lidl Plus App und die Kaufland Card haben aus Sicht der Kunden viel bewirkt. Konsumenten kommen wegen der besonderen Angebote zu uns. Diese erhalten sie nun digital und sogar persönlich zugeschnitten. Das Erlebnis aus der Filiale wird damit digital erweitert. Beide Programme werden sehr gut angenommen und rege genutzt.
Lidl präsentiert sich im Internet als klassischer Onlineshop, Kaufland als Online-Marktplatz. Welche Strategie steckt dahinter?
Hinter beiden Angeboten stehen andere Geschäftsmodelle. Lidl ist im stationären Einzelhandel ein Discounter mit vergleichsweise kleinen Flächen und einem sehr fokussierten Angebot. Kaufland hingegen verfügt über riesige Verkaufsflächen mit einem sehr breiten Angebot. Es sind also zwei völlig verschiedene Einkaufserlebnisse. Hinzu kommt, dass Kaufland in seinen Märkten auch Konzessionären Raum bietet. Das verleiht Kaufland auch im klassischen Einzelhandel einen gewissen Marktplatz-Charakter. Diese unterschiedliche Customer Experience bilden wir entsprechend online ab – mit einem klassischen Lidl-Onlineshop und einem Online-Marktplatz Kaufland.
Welche Rolle spielen die Mitarbeiter*innen für den Erfolg solcher Digitalisierungsprojekte?
Unseren Mitarbeitern kommt dabei generell eine sehr wichtige Rolle zu, denn wir binden sie aktiv in Entwicklungsprozesse ein. Wir haben für die Markteinführung neuer Lösungen explizit eine „Family and Friends“-Phase eingeführt. In ausgewählten Regionen testen dann Mitarbeiter sowie deren Familienangehörige und Freunde neue Angebote und Funktionen. Diese Verprobung mit direktem Feedback ist sehr wertvoll für uns. Wenn man eigene Lösungen aufsetzt, ist es wichtig zu wissen, wie sie wachsen und sich weiterentwickeln. Testen, optimieren, technisch skalieren, Regionen ausweiten und immer wieder testen – wir haben den Anspruch, sehr ausgereifte Lösungen auszurollen. Und bisher ist uns das auf diese Weise sehr gut gelungen.
Innerhalb eines Unternehmens ziehen neue Tools oft neue Prozesse nach sich. Wie nehmen Sie die Organisation mit, wenn Technologie-Projekte intern zu Veränderungen führen?
Wir nutzen unterschiedliche Methoden nach deren Einsatzmöglichkeiten. In einigen Bereichen bewährt sich nach wie vor das klassische Wasserfallmodell; in anderen Bereichen operieren wir agil. Wichtig ist nur, mit den jeweiligen Fachbereichen eng zusammenzuarbeiten. Die Projekte werden gemeinsam, effektiv und effizient vorangetrieben. Dadurch haben wir auch immer die Chance, bei Bedarf frühzeitig zu korrigieren.
Welche Marketingtechnologien haben nach Ihrer Einschätzung großes Zukunftspotenzial und könnten perspektivisch für das Marketing der Schwarz Gruppe bedeutsam werden?
Daten sind das A und O. Wer nicht über eine solide Datenbasis und passende Algorithmen verfügt, wird es künftig schwer haben, richtige Entscheidungen zu treffen. Für unser Marketing wird der Einsatz künstlicher Intelligenz daher eine wachsende Rolle spielen. Unser zweiter Fokus liegt auf den Einkaufserlebnissen. Egal ob im Meta- oder Omniverse, mithilfe von Augmented oder Virtual Reality – das Shopping wird sich verändern.