Eine Disziplin ohne Orientierung und Inspiration für Marketer?

An Marketinggurus oder -forschern und anderen Experten der Disziplin orientieren sich die Entscheider in der Praxis selten. Inspiration und Anregungen fürs Alltagsgeschäft holen sich Marketingchefs eher von angesehenen Kollegen, vorbildlichen Unternehmern oder herausragenden Vordenkern aus anderen Fachrichtungen. Dabei wird doch im Marketing eifrig publiziert – allerdings offensichtlich am Bedarf von verantwortlichen Praktikern vorbei. Die am Freitag erscheinende Ausgabe der absatzwirtschaft widmet das Titelthema diesem Phänomen und sucht nach Leuchttürmen im Marketing. „Wer oder was inspiriert Sie für Ihren Beruf in puncto Management?“ – dazu hat Redakteur Thorsten Garber in einer Kurzumfrage auch Stimmen unter den Mitgliedern des Kuratoriums des Deutschen Marketing-Verbandes (DMV) gesammelt, von denen wir vorab hier einige exklusiv veröffentlichen.
Sign in the Mountains

Wer oder was inspiriert Sie, Jürgen Herrmann?

Jürgen Herrmann, Geschäftsführer Marketing, Alfred Ritter GmbH & Co. KG:

„Zum einen die ,alten Philosophen‘, weil die von diesen bereits damals beschriebenen Treiber und Mecha-nismen auch heute noch nahezu unverändert gelten. Zum anderen die Mathematik zusammen mit der Kunst, weil beider Regeln – Logik und Kreativität oder Ratio und Emotion – das Leben im Allgemeinen sowie das Management im Speziellen umfassen. Zudem Intuition, in dem Sinne, dass angesammeltes Wissen sowie Erfahrung permanent und spontan abgefragt werden können. Ferner ist es hilfreich, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, denn: Sach-Energie ist wichtiger als Macht-Energie.“

Wer oder was inspiriert Sie, Tina Müller?

Tina Müller, Chief Marketing Officer und Vorstandsmitglied, Adam Opel AG:

„Besondere Inspiration war für mich die zwei Monate auf dem Campus der Harvard Business School zum Thema „Change Management. Die Kombination ausglobalen Wissenschaftsbeiträgen und Praxisvorträgen haben mir jede Menge Insights für den Management-Alltag mitgegeben.“

Wer oder was inspiriert Sie, Peter Beuke?

Peter Beuke, Vice President Marketing, Communications and Citizenship, IBM Deutschland:

„Jupp Heynckes, der ehemalige Trainer des FC Bayern München inspiriert mich sehr mit dem, was er erreicht hat: Wie forme ich aus lauter guten Einzelspielern ein schlagkräftiges, erfolgreiches Team? Mit dieser Frage sollten sich auch Manager in Unternehmen regelmäßig auseinandersetzen. Marketing ist in unserer komplexen Welt längst keine Disziplin mehr, die ein paar einzelne kreative Köpfe braucht. Erstklassige Ein-zelspieler machen noch kein Top-Team! Erst im Zusammenspiel wird es meisterlich.“

Wer oder was inspiriert Sie, Anke Olesch?

Anke Olesch, Geschäftsführerin, e+p films GmbH:

„Menschen mit Leidenschaft und Herzblut, egal aus welcher Disziplin. Entscheidungsprozesse, die nicht nur vom Kopf, sondern auch mit Instinkt und Bauchgefühl getroffen wurden, nur dann können neue Visionen und Ideen entstehen und umgesetzt sowie Prozesse vorangetrieben werden. Manager, die eine gewisse Risi-kobereitschaft eingehen. Interdisziplinäre Projekte, die das Ausbrechen aus Schubladendenken ermöglichen,
speziell nun im Filmbereich: ,Ein Stück Film‘, das dann in allen Kommunikationskanälen unterschiedlich verlängert und interpretiert wird.“

Wer oder was inspiriert Sie, Dr. Ralf E. Strauß?

Dr. Ralf E. Strauß, Professor für Digitales Marketing und E-Business, Hamburg School of Business Admi-nistration (HSBA):

„Unter Denker und Lenker diese: Christian Illek, vormals Vorstand Marketing Deutsche Telekom, in Koopera-tion mit Hans-Christian Schwingen, Leiter Markenkommunikation, wegen der Kombination aus Analytik und Markenführung. Stefan Kowalsky, ehemaliger CEO von Bionade, wegen Aufbau und Turnaround einer Marke. Hubertus Bessau, Gründer und Geschäftsführer von mymuesli.com, wegen Aufbau einer Marke und Multichannel-Management inklusive Gründung eigener stationärer Handelsgeschäfte. Christian Klingler, Marketing- und Vertriebsvorstand im VW-Konzern, wegen der systematischen und schrittweisen Neuausrichtung im Automobilvertrieb. Und Conny Kalcher, Marketingleiterin Europa Lego, wegen des Turnarounds der Marke und der Einbindung von Social Media. Inspiration aus Disziplinen und Themen: Erfolgsfaktoren und Strategien im Digital Business; Business Intelligence und Big Data mit sinnmachenden Anwendungsszenarien; Location Based Services mit sinnmachende Anwendungsszenarien und Nutzerakzeptanz (Datenschutz) sowie Marketing & IT zur effizienten Gestaltung von Prozessen und begleitenden IT-Anwendungen bzw. -Architekturen. Und Inspiration aus Lesestoff beispielhaft aus drei Titeln: Paul Smith: ,Tell it with a story‘; Bergh & Behrer: ,How cool brands stay hot‘ sowie Strauß: „Digital Business Excellence“ (erscheint September 2013).“

Wer oder was inspiriert Sie, Godo Röben?

Godo Röben, Geschäftsleiter Marketing, Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH & Co. KG:

„Otto Pahnke, Storck: Wer mir beigebracht hat, dass Marketing keine Raketentechnik ist, war Otto Pahnke – langjähriger Geschäftsführer bei Storck und Erfinder von Werthers Echte, Storck Riesen, Merci, Knoppers etc.. Für den Mann war das ganze Marketinggeschwafel ein reines Versteckspiel von Leuten die keine Ahnung haben. Als wir mal eine Million D-Mark für TV-Werbung ausgeben wollte, meinte er nur: ,Kauft Euch davon lieber ein schönes Haus – mit einer Million D-Mark im TV erreichst Du nichts.‘ Spots in denen man lange nach der echten Botschaft suchen muss, waren nichts für ihn. ,Sag‘ Deinen Namen viermal und mehr im Spot. Zeig Dein Logo so groß, dass der Kreativdirektor schon kündigen will. Mach es dann noch einmal 10 Prozent größer. Wenn Du was zu essen verkaufen willst, lass die Menschen im Spot reinhauen…‘. Seit Otto ist es zum Beispiel für alle acht Agenturen, die uns derzeit beraten, verboten, Marketingfachvokabular zu nutzen oder englische Begriffe in den Raum zu schmeißen. Nur wenn auch Lieschen Müller versteht was wir in den Sitzungen besprechen, nur dann wird Lieschen Müller es auch kaufen.

Helmut Maucher, Nestlé: Ein kurzer – einfach zu lesender – aber sehr praxisorientierter Leitfaden ist das „Management Brevier“ von Helmut Maucher. Schön zu wissen, dass auch die größten Unternehmen klar und einfach geführt werden können. Auch Helmut Maucher hat es nicht nötig, sich hinter großen Worten zu verstecken. Sein erster – von zehn – Grundsätzen für den Geschäftserfolg ist zum Beispiel: Vergiss‘ nie die normalen Aufgaben in jedem Geschäft: Stelle marktgerechte Produkte her; kümmere Dich um Dein Management, um Deine Leute und um Deine Kunden; schau, ob die Kasse stimmt. Einfach und banal.

Das Leben: Ich erledige alle Lebensmitteleinkäufe für die Familie selbst – bin somit jede Woche mindestens einmal im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt usw. Ich fahre regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln und beobachte und höre den Menschen zu. Ich bin oft in Stadien, bei Konzerten, in Kneipen, gehe zum Stammtisch usw. und verliere so niemals den Kontakt zum ,gemeinen Volk‘. Eigentlich ganz normal, sollte man meinen. Wenn ich aber auf den ,tollen Marketingempfängen‘ mit den ,großen Marketingleuten‘ rede, habe ich oft den Eindruck, dass die in Ihrer eigenen Werbewelt leben.“

Wer oder was inspiriert Sie, Hartmut Scheffler?

Hartmut Scheffler, Geschäftsführer, TNS Infratest Holding GmbH:

„Mein Vorbild? Nennen wie es die ,Münsteraner Schule‘ mit zuvorderst natürlich Professoren wie Meffert oder Backhaus, aber auch in ,zweiter Generation‘ Kirchgeorg, Krafft, Burmann und andere. Inspirierend ist zudem meine eigene Tätigkeit, das heißt es sind die ständig neuen Herausforderungen und Fragestellungen. Inspirierend ist auch, einen gedanklichen Gegenpol in einer immer mehr finanz- und controllinggetriebenen Diskussions- und Entscheidungskultur zu schaffen, also primär von den Themen und Lösungen her zu den-ken. In diesem Zusammenhang ist dann auch die ständige und für mich nicht nachzufolgende Diskussion vom Bedeutungsverlust des Marketings als Anreiz zu inhaltlichem Widerstand zu sehen. Und schließlich reizt es, die Marketingrolle weit zu denken, etwa auch oder sogar gerade strategisch in Richtung der Ge-schäftsmodelle.“

Wer oder was inspiriert Sie, Florian Haller?

Florian Haller, Geschäftsführer, Agenturgruppe Serviceplan:

„Unsere Mitarbeiter. So blöd es klingt: Mich motiviert, ein Unternehmen zu schaffen, in dem unsere Mitar-beiter Freude und Erfüllung finden. Das treibt mich jeden Morgen wieder an.“

Wer oder was inspiriert Sie, Frank Schübel?

Frank Schübel, Vorstandssprecher, Berentzen Gruppe AG

„Faszinierend ist es jede Stunde zu spüren, dass mein Job anfängt wo andere an Ihre Grenzen gekommen sind. Manager, die Probleme aus der Marktperspektive betrachten fühlen sich eher verpflichtet über Ideen und Anleitung zu führen, als stur über Autorität und Delegation die Linie in die Verantwortung zu nehmen.

Vorbild sind dabei für mich Kinderärzte, die Krankheiten nicht einfach kurieren können, sondern immer an die Perspektive für ein noch junges Leben denken müssen. Zudem sehe ich es als Pflicht Managementprob-leme immer mit realen Problemen zu vergleichen. Die Übung. was würde passieren, wenn der wichtigste Fachmann in einer sogenannten Krise binnen einer Minute das Büro verlassen muss, weil er einem naheste-henden Verwandten zu Hilfe kommen muss, erdet ungemein. In der Regel bringt so ein (oft unpassender) Vergleich wieder Ruhe in den Prozess und nimmt Drama raus. Vielleicht ist übertriebenes Drama – im posi-tiven wie negativen – die Krankheit, die vielen Marketer in den letzten Jahren Glaubwürdigkeit gekostet hat. Am meisten inspiriert haben mich hierzu Bergbauern und Mönche in Nepal im Himalaya-Gebiet, die in der Einfachheit Ihres Lebens eine unheimliche Zufriedenheit ausgestrahlt haben. Ein wunderbarer Gegen-punkt zu unserer oft inszenierten Komplexität im Berufsleben.“

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