Es riecht nach Holz, Metall und Geschichte. Ein lautes Rattern hallt durch die Hallen der alten Weberei, wo riesige mechanische Webstühle – Relikte aus einer längst vergangenen Ära – unermüdlich arbeiten. Hebel und Zahnräder greifen präzise ineinander, angetrieben von jahrzehntealtem Handwerkswissen. Zwischen den Reihen der klappernden Maschinen steht Gregor Spitzke, der neue Geschäftsführer, mit einem frisch gewebten Stück Leinen in der Hand. Sein Blick ist konzentriert – und voller Zuversicht.
Die Leinenweberei Hoffmann in Neukirch ist eine der letzten ihrer Art in Deutschland. Während viele Betriebe des traditionellen Handwerks den globalen Marktkräften zum Opfer fielen, kämpft dieses Unternehmen ums Überleben – und will mehr: Mit der Unternehmerfamilie Spitzke an der Spitze soll die Weberei nicht nur überleben, sondern wachsen. Nachhaltige, handwerklich gefertigte Produkte, gefertigt mit Leidenschaft und Präzision, sollen als Alternative zu Massenproduktion begehrlich werden. Kann der Balanceakt zwischen Tradition und Moderne gelingen?
Vom Kunden zum Retter
Als Andreas Spitzke, Vater von Gregor Spitzke und Impulsgeber für die Übernahme, das erste Mal den Boden der in die Jahre gekommenen Weberei betrat, tat er dies nicht etwa mit der Absicht ein Unternehmen zu kaufen. „Eigentlich waren wir bloß auf der Suche nach qualitativ hochwertiger Bettwäsche“, sagt Spitzke und lacht. Aber wie kommt man dazu, statt des Produktes, direkt das ganze Unternehmen zu kaufen?
Bei einem Besuch der Leinenweberei vor zwei Jahren erfuhr der 59-jährige Unternehmer vom damaligen Geschäftsführer, dass die Weberei Insolvenz anmelden müsse. Ein chinesischer Investor sollte die Produktion übernehmen, das Unternehmen in Deutschland Stück für Stück ab- und in China wieder aufgebaut werden. „Diese Vorstellung hat uns tief bewegt und ließ uns keine Ruhe. Deshalb haben wir uns nach kurzer Überlegung dazu entschieden, selbst ein Übernahmeangebot zu machen. Es war für uns keine rein kaufmännische Entscheidung, sondern eine Herzenssache.“, so Spitzke im Gespräch.
Das Potenzial der Leinenweberei sah der Unternehmer vor allem in der Qualität und der Nachhaltigkeit der Produkte. „Wir erleben selbst, dass immer mehr Menschen nachhaltige, natürliche und chemiefreie Produkte schätzen und bereit sind, dafür auch etwas mehr zu investieren.“
Über 100 Jahre Handwerkskunst
Die Geschichte der Leinenweberei Hoffmann reicht weit zurück. Im Jahr 1905 gründen Fabrikant Karl-Gustav Schulze der Kaufmann Martin Hoffmann das Unternehmen. Mit einer Spezialisierung auf Jacquardstoffe und Stickereien wächst die Firma schnell und bezieht noch im selben Jahr ihren bis heute genutzten Standort in Neukirch/Lausitz.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt die Weberei von der Verstaatlichung verschont und konzentriert sich fortan auf die Herstellung von Reinleinenbett- und Haushaltswäsche für Werften, Hotels und zahlreiche weitere Kundengruppen. In den frühen 1950er Jahren nimmt sie zusätzlich die Produktion von Arbeitskleidung und später auch Kinderhosenkonfektion auf. Ab Ende der 50er Jahre verlagert sich der Fokus vor allem auf die Fertigung von Bettwäsche.
Nach der Wiedervereinigung steht das Unternehmen vor dem Aus: Die Schließung scheint unvermeidlich. Doch ein glücklicher Zufall – der Eintrag im Handelsregister wurde nie gelöscht – ermöglicht 1994 die Rückführung der Weberei. Mit 30 Mitarbeiter*innen nimmt der Betrieb die Produktion wieder auf. Ein bedeutender Großauftrag der Bundespost, der die Herstellung von Postsäcken und Münzbeuteln umfasst, sichert den Neustart. Parallel dazu wurde weiterhin Reinleinenbettwäsche und Bekleidung gefertigt.
Zwischen Tradition und Fortschritt
Heute, über ein Jahrhundert nach der Gründung, steht die Leinenweberei vor neuen Herausforderungen. Zwar bildet die traditionelle Handwerkskunst nach wie vor den Kern des Unternehmens, die richtige Vermarktung der Produkte sei aber lange Zeit auf der Strecke geblieben. „Eine der größten Herausforderungen war, dass es kaum Strukturen im Marketing und Vertrieb gab. Selbst das beste Produkt nützt wenig, wenn keiner davon weiß.“, sagt Geschäftsführer Gregor Spitzke.
Ein wichtiger erster Schritt war es daher, den bereits existierenden Onlineshop von Grund auf neu aufzubauen. Dieser sollte nicht nur den Vertrieb erleichtern und die Werte und langjährige Tradition des Unternehmens transportieren. Vor allem sollte er endlich die hochwertigen Produkte ins rechte Licht rücken. Mit Erfolg: Die Resonanz ist positiv, auch wenn laut Gregor Spitzke noch viel Luft nach oben bleibt. „Wir möchten unsere Geschichte und Produkte noch sichtbarer machen – mit hochwertigen Bildern, Videos und mehr Informationen.“ Dabei liegt der Fokus stets auf Authentizität: „Wir arbeiten daran, dass Kund*innen die Qualität und die Geschichte spüren – sei es durch Materialmuster, ausdrucksstarken Bildern oder Einblicke in die Weberei.“
Das Thema Fachkräftemangel sei für das Unternehmen aktuell zum Glück weniger von Bedeutung. Anders als viele Betriebe in der Region konnte die Leinenweberei neue Mitarbeiter*innen gewinnen. „Unsere Social-Media-Jobanzeigen haben uns dabei sehr geholfen“, berichtet Gregor Spitzke. Maschinenführer und Näherinnen wurden eingestellt, die das traditionelle Handwerk mit Leidenschaft weiterführen.
Qualität und Nachhaltigkeit
Gregor Spitzkes Vision für die Zukunft des Unternehmens ist klar: „Ich wünsche mir, dass die Weberei in fünf Jahren ein Symbol für Qualität und Tradition ist – ein Name, der selbst für den ein oder anderen Laien ein Begriff ist.“
Neben dem Ausbau des Online-Shops und einer diversifizierten Produktpalette plant Gregor Spitzke eine behutsame Modernisierung des Maschinenparks. „Das Ziel ist, die Tradition zu bewahren und gleichzeitig Effizienz und moderne Standards zu integrieren.“ Besonders stolz ist er auf die Möglichkeit, individuelle Kund*innenwünsche zu erfüllen. „Unsere Kunden schätzen die Handwerkskunst und die Individualität, die in jedem Produkt steckt.“ Viele der Leinenprodukte können nach Maß angefertigt oder etwa mit einer Gravur versehen werden. So sind Bettbezüge in Sondermaßen wie 220x240cm oder Tischdecken mit 5m Breite möglich.
Weichenstellung für die Zukunft
Die kommenden Schritte stehen bereits fest: Mit einem neuen Warenwirtschaftssystem und gezielten Investitionen in die Digitalisierung will Gregor Spitzke die Prozesse optimieren und die Marktposition der Weberei stärken. Auch eine stärkere Verankerung der Marke „Leinenweberei Hoffmann“ im Bewusstsein der Verbraucher*innen ist ein Ziel.
Langfristig sieht der neue Geschäftsführer großes Potenzial: „Leinen ist ein sehr natürliches und nachhaltiges Produkt, gleichzeitig wirkt und ist es sehr hochwertig. Das ist gerade in der heutigen Zeit wertvoller denn je. Mein Wunsch ist es, dass die Leinenweberei Hoffmann nicht nur überlebt, sondern wächst und sich gerade auch gegen Billiganbieter aus dem Ausland durchsetzen kann.“
Es bleibt wohl spannend, inwiefern die Verbindung aus Tradition und Innovation in den kommenden Jahren gelingt. Außer Frage steht jedoch die Leidenschaft und die Motivation, mit der Familie Spitzke das handwerkliche Kulturgut der Leinenweberei Hoffmann in die Zukunft führen will.