von Dr. Oliver Hermes, Berger Baader Hermes GmbH
Wenn das überwältigende Wachstum von Facebook, Twitter, Youtube oder Flickr anhält, werden einzelne Menschen in Zukunft zu machtvollen Spielern mit großer Magnetwirkung und direktem Zugang zu allen anderen Menschen. Man kann den Hype gut oder schlecht finden, fest steht jedenfalls, dass die Welt unaufhaltsam ins digitale Zeitalter steuert.
Deshalb ist es überraschend, dass sich zwar die Nutzungsstatistiken überschlagen, gleichzeitig aber kein Konzept für die Markenführung im Web 2.0 vorliegt. Denn Markenstrategie und -technik werden sich kategorisch ändern müssen, um in der „schönen neuen Welt“ zu überleben. Dies hat schmerzhaft gerade der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt erleben müssen und damit unfreiwillig den letzten Beweis für die Richtigkeit und Dringlichkeit dieser These erbracht. Es scheint fast, als würden in Zukunft soziale Netzwerke und virale Kampagnen, deren multiplizierendes Medium der Mensch ist, in vielen Segmenten darüber entscheiden, ob ein Produkt sich am Markt durchsetzt oder ob es gnadenlos durchfällt.
Wie Nestlé im Fall Kitkat an Social Media scheiterte
Ein aktuelles Beispiel von spektakulärer Reichweite zeigt, welch desaströse Wirkung ein mangelndes Verständnis des Paradigmenwechsels im Konsumentenverhalten haben kann. Mitte März hat es Nestlé, den größten Lebensmittelkonzern der Welt, schwer erwischt. Eine Marken-Institution, die es bislang wohl gewohnt war, ihre Kommunikation kontrollieren zu können und innerhalb von fünf Tagen einen empfindlichen Reputationsabsturz erlebte. Nach diesem Alptraum ist man fast geneigt zu fragen, ob sich durch Social Media die Machtverhältnisse bereits derart verschoben haben, dass nun die Verbraucher und ihre Schutzorganisationen unter Missbrauchsverdacht geraten – also unverhältnismäßig, ohne Rücksicht auf Verluste, Markenimages zerstören. – Was war passiert?
Nestlé benötigt Palmöl zur Herstellung des Schokoriegels Kitkat. Sein indonesischer Lieferant Sinar Mas rodet zur Palmöl-Gewinnung illegal Urwälder und vernichtet damit den Lebensraum der dort lebenden Orang Utans. Nachdem Gesprächsversuche seitens Greenpeace mit dem Nahrungsmittelmulti fehlschlugen, startete Greenpeace eine Kampagne „Ask Nestlé to give rainforests a break“, angelehnt an den berühmten Kitkat-Slogan.
Mit einem Youtube Video, diversen Gruppen und Fanpages in Social Networks torpediert Greenpeace Nestlé auf diversen Kanälen. Und während es Greenpeace durch virtuose Nutzung der gesamten Social Media-Klaviatur schafft, Konsumenten weltweit zu mobilisieren, begeht der Marken-Goliath einen Fehler nach dem anderen.
Der erste Fehler:
Mit Hinweis auf Copyright-Verletzungen bewirkt Nestlé eine Löschung des britischen Youtube-Videos. Als würde diese ungeschickte Zensur nicht schon allein für eine beschleunigte virale Verbreitung des gelöschten Videos reichen, nutzte Greenpeace geschickt Google-Adwords („Have a break“) und die eigenen Social Media-Fanpages, zum Beispiel auf Facebook, um Konsumenten auf ihre Website zu locken und zur Verbreitung des Videos zu animieren.
Außerdem wird zu einer Protestmail-Aktion aufgerufen. Jetzt geht das Video erst richtig viral und wird bei verschiedensten Videoportalen hochgeladen, Blogs und Nachrichtenwebsites springen auf das Thema auf. Auf den Fanpages von Nestlé/Kitkat gehen tausende Proteste ein. Ein repräsentatives Zitat:
Derart provoziert, beginnen User veränderte Nestlé/Kitkat-Logos als Profilbild zu kreieren und massenhaft zu verbreiten.
Der zweite Fehler:
Mit der Androhung von Zensur sowie der Löschung von Pinnwandbeiträgen sticht Nestlé in ein Wespennest und mobilisiert noch mehr Social Media-Massen. Das Ganze springt auf die internationalen traditionellen Medien über. Negative Kommentare fluten die Nestlé- und Kitkat-Fanpages.
Der dritte Fehler:
Nestlé hört nicht zu, lernt nicht dazu, will „Recht haben“ und eskaliert die Lage weiter. Als Folge gründen User eigene Seiten für Kommentare und Diskussionen. Die Zensur läuft ins Leere, im Gegenteil: sie forciert sogar die Verbreitung der unliebsamen Botschaft. Das System beschleunigt sich selbst.
Der vierte Fehler:
Die größte KitKat Fanpage mit zuletzt 758 712 wird von Nestlé aufgrund der Flut kritischer Kommentare aus dem Netz genommen. Nestlé verzichtet lieber auf den Kontakt mit über 750 000 Konsumenten, als mit diesen in Dialog und Aufklärung zu treten.
Der fünfte Fehler:
Auf Anfragen reagiert Nestlé nicht. Die Pinnwandeinträge von Nestlé verstummen. Resignation? Nestlé entschuldigt sich kleinlaut und verschwindet erstmal von der Bühne. Die Reaktionen: „Nestlé, du musst noch viel lernen über das Internet.“
Das alles passiert in weniger als einer Woche. Was folgt, ist ein beträchtlicher Image- und wahrscheinlich auch Umsatzschaden für die Marke. Erste Analysen zeigen einen Absturz der (Online-) Reputation. Die Ergebnisse zum Suchbegriff Nestlé auf Google oder Twitter weisen nur fast ein Thema auf. Zu löschen: Nie! Selbst die internationale Wikipedia-Seite wird ungewollt um das Social Media-Debakel „aktualisiert“. Am Ende gibt sich Nestlé kleinlaut, der Hinweis auf die Kündigung des umstrittenen indonesischen Lieferanten verhallt. Der Marken-Riese hat nichts gewonnen, aber viel verloren.
Über den Autor:
Dr. Oliver Hermes ist Gesellschafter der Agentur Berger Baader Hermes.