Nach vielen Prozesstagen Stillstand versuchte die Verteidigung von Aleksander Ruzicka den Prozess am Landgericht Wiesbaden am Montag zu ihren Gunsten zu beschleunigen. Nachdem Anträge auf Haftentlassung und Aussetzung des Verfahrens abgewiesen wurden, und sich der Prozess dahinschleppt, hat Ruzickas Verteidiger Marcus Traut den Universitätsprofessor und Fachbuchautor Dr. Klaus Bernsmann vom Lehrstuhl für Straf- und Strafprozessrecht an der Ruhr-Universität Bochum mit einem Sachverständigengutachten beauftragt. Dieser erhebt in seinem Gutachten schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Wiesbaden und das angeblich geschädigte Unternehmen Aegis Media.
Am 5. Juli 2005 reichte Aegis Media über Firmenanwalt Dr. Johann-Christoph Gaedertz bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden die erste Strafanzeige gegen den eigenen Geschäftsführer Aleksander Ruzicka ein. Unter dem Pseudonym „Anonymus“. Spätestens ab diesem Zeitpunkt, so Gutachter Bernsmann, habe die Staatsanwaltschaft Wiesbaden die Pflicht gehabt, bereits begangene Straftaten zu verfolgen und bevorstehende Straftaten zu verhindern. Da dies in wesentlichen Teilen nicht geschehen wäre, sei der Strafanspruch des Staates in den 31 Fällen, die nach dem 5.Juli 2005 stattgefunden haben sollen, verwirkt. Das kollusive Zusammenwirken (eine Art Unrechtspakt) zwischen Aegis Media und Staatsanwaltschaft Wiesbaden habe dazu gedient, die Angeklagten Ruzicka und David Linn, aber auch die gesondert Verfolgten Heinrich K. und Cornelius W. „in ein Geflecht aus Rechtsübertretungen zu verwickeln“. Dies sei mindestens mit Wissen von Aegis Media geschehen, um dem Hauptangeklagten Ruzicka eine Falle zu stellen und ihn als untragbar gewordenen CEO nachhaltig loszuwerden.
Die Verteidiger hatten trotz des langen Ermittlungsverfahrens wiederholt auf angeblich einseitige Ermittlungen und Versäumnisse der Behörde hingewiesen. Erst nach einer zweiten Strafanzeige kamen die Ermittlungen ab März 2006 voran. Tatsächlich seien laut Anklage große Teile der angeblich illegalen und angeklagten Geldflüsse zu Firmen wie Camaco, Watson, Ortago, Life 2 Solutions oder Objektgesellschaft Haideweg nach dem 5. Juli 2005 erfolgt. Bei Aegis Media kannte man die wesentlichen Satellitenfirmen bereits vor der eigenen Strafanzeige. Und man ahnte mindestens, dass der eigene CEO Ruzicka dahintersteckt. In der Strafanzeige bezieht sich die Mediaagentur auf einen Fall aus dem Jahr 2004.
Stattdessen seien laut Gutachten der Verteidgung dutzende Rechnungen, von denen man wissen musste, dass sie angeblich ohne ersichtlichen Rechtsgrund gestellt wurden, zur Bezahlung freigegeben worden. Es sei daher von einem, juristisch gesehen, Einverständnis auszugehen. Daher könne es bei 31 der 86 angeklagten Fälle, wenn überhaupt, nur eine versuchte Untreue geben, zitierte Ruzickas Verteidiger Marcus Traut das Sachverständigengutachten. Da dieser Straftatbestand jedoch nicht existiere, sei die Anklage in diesen Punkten fallen zu lassen. Der Staatsanwaltschaft Wiesbaden wirft Traut mit Bezug auf das Gutachten vor, in 31 Fällen Rechtsbeugung und Strafvereitelung begangen zu haben. Die Behörde wäre gesetzlich dazu verpflichtet gewesen, bevorstehende Straftaten zu unterbinden, so das Gutachten weiter.
Nachdem der anklagende Staatsanwalt Wolf Jördens seit mehreren Verhandlungstagen nicht mehr an der Hauptverhandlung teilnimmt, erwiderte der Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität Oberstaatsanwalt Dr. Achim Thoma. Der Antrag der Verteidigung sei abzulehnen. Es sei „geradezu eine Unverschämtheit“ der Staatsanwaltschaft Wiesbaden Rechtsbeugung vorzuwerfen. „Das wollen wir uns nicht bieten lassen“, so Thoma. Der Antrag der Verteidigung enthalte nichts Neues und diene nur dem Zweck, die Staatsanwaltschaft zu diskreditieren.
Den langen Zeitraum zwischen der Anzeige im Juli 2005 und Hausdurchsuchungen im September 2006 erklärte Thoma mit den Vorbereitungen auf das umfangreiche Ermittlungsverfahren. Von der Verteidigung ist er selbst als Zeuge benannt. Die Strafanzeige von Aegis Media vom 5. Juli 2005 ist an ihn persönlich adressiert. Die 6.Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden um den Vorsitzenden Richter Jürgen Bonk will über den Antrag auf teilweise Einstellung des Verfahrens zeitnah entscheiden.
Danach wurde Unit-Direktorin Petra M. von Carat Wiesbaden erneut gehört. Ergänzend zu ihrer Einvernahme von Anfang Februar teilte sie mit, dass beispielsweise der Kunde Pernod Ricard einen vertragsrelevanten Vorteil durch das Media-Modell von Emerson FF gehabt haben soll. Auch die Marketingleiter von Pernod Ricard Deutschland GmbH, Bernhard E., und Martin P. von Lactalis Deutschland GmbH bestätigten unabhängig voneinander, dass es sich bei der Geschäftsbeziehung zu Carat / Aegis Media um eine unauffällige und völlig normale Zusammenarbeit gehandelt hat. Die geschlossenen Verträge sind erfüllt worden, so die beiden Marketingexperten als Zeugen vor dem Landgericht Wiesbaden.
Mit dem Hauptvorwurf der Anklage, warum Gelder zu angeblichen Scheinfirmen geflossen sind und was dort damit passierte, wird sich das Gericht offenbar auch im Mai nicht beschäftigen. Zunächst werden weitere Vertreter von Aegis Media Kunden gehört. So zum Beispiel von Pit Stop, Esselte Leitz, Ferrero und dem ehemaligen Aegis Media-Kunden Campari. -mz