Hermès überschreitet Grenzen – so die Aussage des 182 Jahre alten französischen Konzerns bei der Eröffnung seiner neuen Niederlassung im New Yorker Meatpacking District. Die 535 Quadratmeter große Verkaufsfläche ist weit entfernt von den schillernden Fassaden der Madison und Fifth Avenue oder den opulenten Manhattan Malls. Es befindet sich an einer Straßenecke zwischen einer No-Name- Modeboutique und einem peruanischen Restaurant. Den nun fünften Laden in Manhattan eröffnen die Franzosen ganz bewusst nicht in der edelsten, aber in der aufstrebendsten und innovativsten Gegend New Yorks.
Der Meatpacking District ist für Attraktionen wie das Whitney Museum of American Art und die High Line, einem Park auf ausrangierten oberirdischen U-Bahngleisen, bekannt. Die Beliebtheit des Stadtteils wächst bei Einheimischen und Touristen. Weitere High-End-Geschäfte, darunter ein Tesla-Showroom, befinden sich in der Nachbarschaft. Tech-Unternehmen wie Google sind fußläufig erreichbar.
Generationen Y und Z werden stärker angesprochen
Mit dem neuen Geschäft will das Unternehmen die nächste Generation von Hermès-Kunden anziehen. Bob Chavez, CEO von Hermès USA, geht davon aus, dass diese Kunden Hermès zum ersten Mal entdecken. Meatpacking sei eine Chance, sich moderner und fortschrittlicher darzustellen. Die Kundschaft der Luxusmarken wandelt sich. Die zahlungskräftigsten Kunden waren lange Zeit naturgemäß älter, müssen sie zumeist das Geld doch erst einmal verdient haben. Diese forderten klassischen Luxusdesigns und Geschäfte in edlen Gegenden. Doch eine neue Käuferschicht ist nachgerückt: Generation Y (Millennials) und Generation Z trugen im vergangenen Jahr zu 100 Prozent zum Gesamtwachstum des Luxusmarktes bei, verglichen mit 85 Prozent im Jahr 2017, so eine Studie der internationale Managementberatung Bain & Company.
Hermès konnte 2018 einen Umsatzanstieg von über zehn Prozent verzeichnen. In allen Regionen war eine höhere Nachfrage zu verzeichnen, einschließlich zweistelliger Zuwächse sowohl in Asien als auch in Nordamerika. Einer der größten Umsatzbringer 2018 war die Apple Watch Hermès-Kollektion. Die Seiden- und Textilkategorie entwickelte sich aufgrund einer nachlassenden Nachfrage nach Krawatten am schwächsten. Zu den Bestsellern zählen auch die Turnschuhe. Hermès führt über 310 Geschäfte in 49 Ländern. New York City ist der umsatzträchtigste Standort. Aber bereits die Eröffnung eines Geschäfts im vergangenen Jahr in Palo Alto im Silicon Valley zeigt, dass sich das Unternehmen an eine Kundschaft mit neuen Bedürfnissen gewöhnen muss und will.
Diese neue Kundengruppe verlangt zum einen Einkaufsmöglichkeiten im Internet, wo Luxusmarken noch schlecht aufgestellt sind. Zum anderen gilt im stationären Handel: Je jünger die Kunden, desto größer ist ihr Wunsch nach Individualität. Die ab 1995 geborene Generation Z, die laut Bain in absehbarer Zeit zehn Prozent der Topkonsumenten stellen wird, will beispielsweise in Luxusläden ganz persönlich bedient werden. Diesen Bedürfnissen passt sich Hermès im Meatpacking auf zwei Stockwerken an. Bei der Einrichtung geht es nicht nur um die Waren. Ein Sitzbereich mit Barhockern, in dem Kunden beim Aufladen ihres Telefons kostenlos Kaffee, Mineralwasser oder Wein bestellen können, ist nur ein Beispiel. Hermès will die Kunden bewusst erst einmal an die Produkte heranführen. Es ist gewünscht, dass sie lediglich Kaffee trinken, solange sie dann später online bestellen.
Fahrrad und Turnschuhe neben Krawatte und Handtasche
Das Produktsortiment steht für jung und aktiv und passt sich der Atmosphäre der Nachbarschaft an: Eine Skateboard-Tasche, ein Fahrrad, Turnschuhe und Freizeitbekleidung werden neben den typischen Seidentüchern, Krawatten und Damenhandtaschen des Unternehmens präsentiert. Die Klassiker dürfen dennoch nicht fehlen, sie werden nur anders präsentiert: In einer Glasvitrine steht eine weiß-graue Birkin-Tasche aus Krokodilleder. Mit einem Wert von 150.000 US-Dollar ist die Tasche eines der seltensten und teuersten Objekte, die das Label kreiert. Genauso wie viele der jungen und reichen Kunden nicht mehr in Anzug und Krawatte zur Arbeit erscheinen, tragen auch die Angestellten Turnschuhe.
Locker, konsumentennah, edel aber bodenständig – das ist laut Bain & Company der Schlüssel, die neue kaufkräftige Zielgruppe zu erreichen. Somit macht Hermès vieles richtig in der neuen Niederlassung. Der Weg, den Edelmarken gehen müssen, ist aber noch weit. Das zeigt sich allein darin, wie deutlich Chavez bei der Shop-Eröffnung betonte, dass die Mitarbeiter intensiv darin geschult werden, auch wirklich jeden, der in den Laden betritt, zu begrüßen. Hermès gelte schließlich als elitär, so der CEO. Sein Engagement im Meatpacking District verspreche aber die Hemmschwelle ein Hermès-Geschäft zu betreten, deutlich senken.