Schon vor über einem Jahr führte Otto ein eigenes Attributionsmodell ein. Die Hamburger waren es leid, nicht zu wissen, welcher Werbekanal welche Umsatzbedeutung hat und begannen, genauer nachzumessen. Anders als viele andere Onlinehändler, wollte man sich nicht mehr auf vorgegebene Standardmodelle, wie zum Beispiel die „Badewanne“ verlassen. Bei diesem Ansatz werden vor allem der erste und der letzte Werbekontakt vor einem Kauf stärker gewichtet als die dazwischen liegenden. Otto sezierte nicht nur den zeitlichen Ablauf der Werbekontakte sondern segmentierte das auch nach Kanälen. Welcher Werbepartner hat welche Bedeutung für den Umsatz, und wenn man die Kosten der Schaltung mitrechnet, ergibt sich der Gewinn pro Marketing-Euro. „Mit der Einführung des Attributionsmodells, hat beispielsweise Affiliate-Marketing bei uns durch die veränderte Nachfragezuordnung am stärksten verloren. Allerdings gibt es auch viele positive Effekte auf Kanäle, die in der Customer Journey eher am Anfang stehen wie beispielsweise Display oder SEA“, berichtet Kerstin Pape, die Onlinemarketingleiterin bei Otto.
Otto setzt auf dynamische Attribution
Das Besondere am Attributionsmodell von Otto ist die Tatsache, dass es dynamisch angepasst wird. Die Zahlen werden auf Tagesbasis kontrolliert, besonders gute Kanäle werden mit mehr Budget ausgestattet, schlechtere Kanäle mit weniger. Mit Hilfe einer neuen Mediaeinkaufssoftware (DSP) will Kerstin Pape künftig noch schneller auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können, am Besten in Echtzeit. Damit ist Otto – einer der größten Online-Werbungtreibenden Deutschlands – sehr weit vorne. David Nelson, europäischer Produkt Direktor bei Rocket Fuel, einem Anbieter von künstlich intelligenten Werbelösungen für Digital-Vermarkter, weiß: „Dynamische Attribution steckt in puncto Marktentwicklung noch in den Kinderschuhen. Es gibt zwar einen breiten Konsens, dass der Werbungtreibende davon profitieren wird, aber dafür sind auch erhebliche Investitionen und Umstrukturierungen nötig. Und dafür braucht es vor allem mehr Aufklärungsarbeit und Vertrauen in das System“.
Wirkungszusammenhänge erkennen
Wie komplex der Ansatz der dynamischen Attribution sein kann, weiß Mario Szirniks von Exactag. „Eine Differenzierung nach Kanälen ist noch viel zu grob. Es kann sein, dass ein Kanal im Ausland gut und in Deutschland schlecht funktioniert. Besser ist die Differenzierung bis auf Publisher-Ebene“. Kerstin Pape, die unter anderem mit Exactag zusammenarbeitet, stimmt dem zu, ergänzt allerdings einen weiteren Wirkungszusammenhang: nämlich die Frage, welche indirekten Auswirkungen die Kündigung eines einzelnen Publishers auf den Rest der Customer Journey haben kann. „Das wird einem auch ein Attributionsmodell nie vollumfänglich prognostizieren können. Unsere Kanalverantwortlichen steigen dafür in die qualitative Analyse ein.“
Lässt sich Kaufverhalten messen?
Timo von Focht, Key-Account-Manager bei Adobe, gibt zu bedenken, dass es eine Vielzahl auch externer Faktoren gibt, die das Kaufverhalten beeinflussen, und die kaum in solche Modelle eingepflegt werden können. Bei Otto beispielsweise übt das Wetter einen großen Einfluss auf das Kaufverhalten aus. David Nelson hält dagegen, dass man nicht unbedingt die Ursachen kennen muss, um die Wirkungen zu messen. „Unser Tool reagiert automatisch auf das veränderte Kaufverhalten der Nutzer. Die Veränderung kann auch durch die Offline-Welt beeinflusst worden sein. Man muss also die Offline-Daten nicht unbedingt direkt ergänzen. Es genügt, die Effekte zu sehen.“
Freilich kann es dann ein Problem sein, dass die Lerneffekte tief in der Software verborgen bleiben und das Marketing-Team in eine immer größere Abhängigkeit gerät. Kerstin Pape begegnet diesem Risiko mit selbst-entwickelten Berichtsformaten, mit deren Hilfe versucht wird, Muster und Zusammenhänge zu erkennen. David Nelson sagt: „Das Extrahieren der Daten ist nicht das Problem, es geht um die Aufbereitung. Wir können sehr granuläre Daten einer Kampagne extrahieren, die wir für die Optimierung nutzen. In einer idealen Marketingwelt würden wir diese Daten mit Daten des Werbetreibenden und Offlinedaten kombinieren. Daran arbeiten wir gerade.“
Veränderte Budgetplanung
Nicht zuletzt verändert dynamische Attribution auch die Budgetplanung. Feste Zielvorgaben werden schwieriger, es geht vielmehr um Budgetkorridore und Allokationskriterien. Kerstin Pape setzt zum Beispiel Obergrenzen, lässt die Budgets aber schwanken. Das kann sie, weil sie ausschließlich das Performancemarketing verantwortet und hier erfolgt die Vergütung der Werbepartner gemäß deren Beitrag zum Gewinn. Sollte sich das Budget über Plan steigern, stünde das in direktem Zusammenhang mit mehr Gewinn.
Doch hier sind viele Unternehmen längst noch nicht so weit. Nelson weiß das: „Der gesamte Prozess der Budgetbestimmung und –verteilung muss auf den Prüfstand, wenn mit dynamischer Attribution begonnen wird.