Steffen Preuß hat mit seinem Start-up Icho Systems kurz vor der Corona-Krise einen interaktiven Ball entwickelt, der mit Licht, Geräuschen und Vibrationen Demenzkranken einen neuen Weg zur Kommunikation bieten sollte. Katharina Mayer schuf mit Kuchentratsch ein Start-up, das von Seniorinnen liebevoll von Hand gebackenen Kuchen verkaufte und alten Menschen gleichzeitig einen Treffpunkt bot. Sebastian Stricker verkaufte über Share etwa Mineralwasser oder Flüssigseife und nutzte einen Teil der Erlöse für Menschen in Not.
Dann kam die Pandemie und veränderte auch für die Start-ups alles.
Innovation und Anpassungsfähigkeit Teil der DNA
Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie hat dennoch keines der drei Start-ups aufgeben. Alle drei haben sich verändert und es so geschafft, sich unter veränderten Bedingungen zu behaupten. In einem Punkt sind sie sich aber treu geblieben: Nach wie vor geht es ihnen nicht allein ums Geld. Wie viele andere sogenannte Sozialunternehmen wollen sie die Welt mit ihrer Arbeit ein bisschen besser machen.
„Insgesamt hat sich der Sektor als sehr widerstandsfähig erwiesen“, sagt Markus Sauerhammer, Vorstand des Sozialunternehmen-Netzwerks Send. Ein Grund dafür sei sicher, dass Innovation und Anpassungsfähigkeit Teil der DNA solcher Start-ups sei.
Start-up-Beispiel 1: Icho
Steffen Preuß von Icho Systems hatte 2019 zusammen mit Freunden einen High-Tech-Therapieball für Demente und geistig Behinderte entwickelt und wollte gerade die Serienproduktion aufnehmen, als die Pandemie zuschlug. Die Krise traf die Jungunternehmer doppelt: Lieferengpässe bei Elektronikbauteilen bremsten die Produktion. Gleichzeitig sorgten die Überlastung der Pflegekräfte in Heimen und pandemiebedingte Zugangsbeschränkungen dafür, dass auch der Vertrieb nicht in die Gänge kam.
„Wir haben die Zeit genutzt und haben viel entwickelt“, erzählt Preuß. Setzte das Unternehmen ursprünglich darauf, die gut 1400 Euro teuren Therapiebälle an Pflegeheime zu verkaufen, so konzentriert sich Icho nun auf ein Mietmodell, um auch stärker Privatkunden zu erreichen. „Die Leute wollen unser Produkt haben, für die eigenen Eltern mit Alzheimer oder für behinderte Kinder“, berichtet Preuß. Und es wurden neue Nutzungsmöglichkeiten für den Therapieball entwickelt – etwa Förderspiele für Kinder mit Behinderungen. „Wir konnten eine Niederlage in der Coronakrise zu einer kleinen Erfolgsgeschichte drehen“, sagt Preuß. Mittlerweile werde auch mit Krankenkassen verhandelt, um den Ball verschreibungsfähig zu machen.
Start-up-Beispiel 2: Kuchentratsch
Gegründet wurde das Start-up 2014 aus der Überzeugung heraus, dass es den leckersten Kuchen bei Oma gibt – aber auch, um etwas Soziales für Senioren zu tun. Jahrelang verkaufte Kuchentratsch Torten, die von „Omas und Opas“ nach eigenen Rezepten in der Backstube des Unternehmens in München gebacken wurden. Das sollte Kuchenfreunden Vergnügen bereiten, aber auch Senioren helfen – durch die mit dem Backen verbundenen sozialen Kontakte, das Gefühl gebraucht zu werden und den Zusatzverdienst. Dann kam Corona, und der Backbetrieb musste fünf Monate lang komplett eingestellt werden.
Doch das ist inzwischen Vergangenheit. Längst wird – unter Beachtung strenger Corona-Auflagen – wieder gebacken. Um die 50 „Omas und Opas“ sind bereits wieder dabei. „Wir haben die Krise ganz gut überstanden“, sagt Kuchentratsch-Mitarbeiterin Theresa Offenbeck. Gelungen sei das, weil das Unternehmen seine Strategie ziemlich rasch umgestellt habe. Als die Backstube schließen musste, half der Verkauf von Kuchentratsch-Backmischungen im eigenen Online-Shop und in zahlreichen Geschäften in und um München, das Überleben zu sichern.
Erst zu Jahresbeginn zog Kuchentratsch in ein größeres Gebäude um, wo künftig ein Café und eine Erlebnisbackstube die Umsätze zusätzlich ankurbeln sollen. „Wir haben das Gefühl, dass die Nachfrage nach Produkten, die etwas Soziales und Nachhaltiges darstellen und nicht nur Konsum sind, steil nach oben geht“, sagt Offenbeck.
Während Icho und Kuchentratsch unter Corona spürbar litten, gab die Pandemie dem Berliner Start-up eher Rückenwind. Das Besondere an dem Unternehmen, das eine Vielzahl von Produkten vom Mineralwasser über Seife bis zum Nussriegel vertreibt: Für jedes verkaufte Produkt wird einem bedürftigen Menschen mit einem gleichwertigen Produkt oder Service geholfen. „Im Durchschnitt konnten wir im vergangenen Jahr jede Sekunde eine Hilfeleistung ermöglichen“, sagt Gründer Sebastian Stricker. Darunter seien etwa 35 Millionen Tage Zugang zu sauberem Trinkwasser, 1,7 Millionen ermöglichte Unterrichtsstunden und 500.000 gepflanzte Bäume.
Denn Share glänzte auch in der Pandemie mit gut zweistelligen Wachstumsraten und erweiterte seine Angebotspalette von anfangs 10 auf gut 100 Produkte. So gibt es inzwischen auch Share-Filzstifte und eine Share-Brille. Die Produkte sind in 16 000 Läden zu finden – etwa bei dm, Rewe, Rossmann und Aldi Süd – aber auch bei der Deutschen Bahn und der Lufthansa. Partnerschaften mit Banken und Reiseanbietern sind angedacht.
„Corona hat dem Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und verantwortungsvollem Handeln in der Gesellschaft noch einmal einen großen Schub gegeben, und davon haben wir profitiert“, sagt Stricker. Schwarze Zahlen schreibt das Start-up noch nicht: „Ich glaube, wir könnten das schaffen, wenn wir wollten, aber es würde unser Wachstum bremsen – und mehr Wachstum bedeutet mehr Hilfe.“
Sozialunternehmen im Trend
Tatsächlich scheint die Pandemie die Idee sozialer Start-ups nicht bremsen zu können. Dirk Sander von der Duisburger Impact Factory, die als eine Art „Kaderschmiede“ jungen Sozialunternehmern Starthilfe gibt, spürt jedenfalls keinen Rückgang der Bewerber*innen-Zahlen. Im Gegenteil: Mit Corona habe die Zahl der Bewerbungen sogar zugenommen. „Die Gesellschaft hat Probleme, und Corona verschärft sie. Da machen sie viele Leute Gedanken, wie kann man die Gesellschaft zukunftssicher machen“, erklärt er den Trend.
Von Erich Reimann, dpa