„Wer ein Produkt verkauft, muss auch für dessen Qualität geradestehen.“ Fast mantra-artig wiederholt Arne Kirchem seine Kritik an der Angebotsseite für digitale Werbeflächen. Kirchem ist Media-Chef von Unilever und Präsidiumsmitglied im OWM. Julian Simons rollt mit den Augen: „Wer Invalid Impressions ausschließen will, muss auch bereit sein, höhere Preise zu bezahlen, damit sich die Technik, die für die Bereinigung nötig ist, auch finanzieren lässt.“ Der Chef von Mediascale kennt den Vorwurf der Advertiser, weiß aber auch, dass das Wettrennen mit Betrügern inzwischen auf technisch hochprofessionellem Niveau stattfindet. Vor allem in langen Lieferketten ist es für Vermarkter und Publisher schwer, die genaue Qualität des Traffics und den Verursacher von Fraud festzustellen. Besonders bei Facebook und Google, den Walled Gardens, reicht die bereitgestellte Datentiefe oft nicht aus, um die Qualität der Ausspielungen genau zu überprüfen.
Björn Kaspring, Vizepräsident bei Ströer und AGOF-Vorstand, fragte den OWM-Vertreter pointiert: „Seid Ihr bereit, auf Umfelder wie Facebook zu verzichten, um die Qualität des Traffics zu erhöhen?“ Kirchem wich der Frage aus. Und natürlich könnte auch Simons mit seiner Agentur darauf setzen, nur noch im höherpreisigen Segment einzukaufen und zu verkaufen. „Wir haben uns das überlegt, aber dagegen entschieden“, sagt er auf Nachfrage der absatzwirtschaft. Beide wissen genau, dass man Invalid Traffic auch einfach als Streuverlust rechnen kann. Und dann ist es eben nur eine Frage des Preises, ob der ROI für den Werbungtreibenden am Ende stimmt. Aber eines ist dann eben auch klar: „Wer billig einkauft, sorgt dafür, dass sich das ‚Geschäftsmodell‘ Invalid Traffic lohnt und macht die Situation damit noch schwieriger“, so Simons.
Lesen Sie hier Frank Puschers Eindrücke vom ersten Tag der Dmexco.
Am Ende des Panels am zweiten Tag der Dmexco fand man zwei Lösungswege: Es müssen strafrechtliche Präzedenzfälle geschaffen werden, um bei den Betrügern Abschreckung zu erzielen. Und alle Parteien müssen enger zusammenarbeiten, um das Problem zu lösen. Und letzteres tun sie natürlich längst, aber die Dmexco ist halt auch der Jahrmarkt der Eitelkeiten und Forum zur deutlichen Positionierung.
Dmexco: Mehr Arbeit, weniger Show
Die Diskussion um Invalid Traffic markiert nur eine der vielen Baustellen, die das Marketing zu bewältigen hat. Ad-Fraud, Invalid Traffic, gefälschte Reichweiten bei Influencern sind die infrastrukturellen Themen, die man tunlichst in den Griff kriegen sollte, damit der Digitalmarkt weiter wächst, was sich ja letztlich auch positiv auf die Messe auswirkt.
Das Gleiche gilt aber auch für die ganz großen Botschaften, die die Werbung transportieren möchte. Wenn „Trust in you“ zum Leitmotto eines Digitalevents wird, dann scheint es ein Vertrauensproblem zu geben. Und das ist vielschichtig. Beispiel Influencer-Marketing: Der populäre Profi-Youtuber LeFloid weiß heute gar nicht mehr, was er wann als Werbung kennzeichnen muss. Bis vor wenigen Monaten schien das klar: „Ich kennzeichne alles, wofür Geld geflossen ist“, sagte der Influencer auf der Experience Stage. Die neben ihm sitzende Medienanwältin Margret Knitter zaubert allerdings sofort ein Urteil aus dem Hut, das diesen Ansatz als ungenügend klassifiziert. Die gesamte Branche ist verunsichert und aus der öffentlich ausgetragenen Debatte entsteht beim Nutzer das Bild, dass selbst die vermeintlich „authentische“ Werbeform Influencer-Marketing nur dazu gemacht ist, ihn zu übervorteilen.
„Früher waren Marketer die Kreativen, dann übernahm das Controlling, gerade erst haben wir Data Analysts als bessere Marketer installiert und morgen ist eben der Rechtsanwalt der Richtige fürs Marketing.“
Es ist ein großes Qualitätsmerkmal der Dmexco, dass diese Themen mitunter auch sehr tief diskutiert werden. Allerdings fiel auf, dass mehr Fragen als Antworten existieren. Bei jedem zweiten Thema tauchen juristische Probleme und Stolperfallen auf: von Urheberrecht bis DSGVO. Eine Besucherin bilanziert: „Früher waren Marketer die Kreativen, dann übernahm das Controlling, gerade erst haben wir Data Analysts als bessere Marketer installiert und morgen ist eben der Rechtsanwalt der Richtige fürs Marketing.“
Beitrag zur Aufforstung der Wälder
Aber das Thema Vertrauen hat – und das zeigte die Dmexco sehr deutlich – auch viel mit der Adressierung der richtigen Themen zu tun. „We care“, „Healthier Life“ oder „Tech for Good“ waren die spannendsten Themen auf dem Dmexco-Kongress am Donnerstag. Ein kleiner Vortrag von Peter Christman zum Thema Plastikmüll sprengte die Kapazität der Demo-Arena. Und auch die Messe selbst trug mit dem gemeinsam mit Treedom inszenierten Aufforstungsprojekt zum Thema Nachhaltigkeit bei.
Und das Thema rockt. Das weiß man spätestens seit der Europawahl. Nun hat man es auch in Zahlen. In ihrem Sonderbericht zur Dmexco ermittelte die AGOF, dass pauschal ausgedrückt rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung die Extrameile geht, um die Umwelt zu schützen, selbst wenn es mehr kostet. Und sogar die Hälfte der Bevölkerung gibt an, darauf zu achten, ob Unternehmen sozialverantwortlich oder ökologisch handeln.
Dmexco, the place to go?
Judith Kühn und das Kongressteam haben einen guten Mix aus Themen gefunden, die die Branche interessieren. Auf der Hauptbühne, der Congress Stage, verlief das Programm am Donnerstag etwas oberflächlicher als am Vortag. Kuschelgespräche, wie das zwischen Cecile Frot-Coutaz, Europachefin von Youtube, und der Influencerin Lisa Sophie Laurent strahlen zwar etwas Glamour aus, sind aber inhaltlich eher langweilig. Und Kai Diekmann fühlte sich augenscheinlich nicht besonders wohl bei der Suche nach einem neuen Agenturmodell für die Digitalbranche. Das Gespräch mit Investor Martin Sorell kratzte die wirklich spannenden Themen nur an.
Dafür war auf den Nebenbühnen umso mehr los und die Debatten waren mitunter fast aggressiv, wie zum Thema AdFraud. Und es gab auch eine Reihe interessanter Innovationen zu bestaunen, wenngleich man schon den Eindruck hat, dass die Branche gerade eine schöpferische Pause einlegt. Augmented Reality, angeführt von Snapchat, war letztes Jahr ebenso bereits ein Thema wie auch Audio-Marketing und hier richten sich viele Augen auf Spotify. Sven Bieber, verantwortlich für die Werbevermarktung, baut gerade eine Infrastruktur auf für programmatische Audio-Vermarktung. Radiovermarkter RMS hat die schon, aber sowohl RMS-Digitalchef Bachér als auch Bieber geben zu, dass das Interesse bei den Advertisern erst noch wachsen muss. Nur das Thema Marken-Podcasts läuft gerade heiß, sagt Bachér.
Future Park bereichert die Messe
Unter Strich muss man klar sagen, dass die Dmexco 2019 einen guten Eindruck hinterlassen hat. Die veröffentlichte Besucherzahl mit 40.000 sorgt zwar bei einigen Besuchern und Ausstellern für Stirnrunzeln, da es in den Gängen vor allem am Donnerstag deutlich ruhiger zuging, als in den letzten Jahren. Aber das muss kein Nachteil sein, solange die Qualität stimmt.
Der neu eingerichtete Future Park ist eine echte Bereicherung, weil man sich endlich mal wieder inspirieren lassen kann. Dort war vor allem auch viel aus den Bereichen AR, VR und 3D zu sehen. Vielleicht wäre es sogar spannend, weitere Cluster auch zu inhaltlichen Themen zu machen. Themen wie New Mobility, Urban Gardening oder Smart Cities reflektieren auf inhaltlicher Seite das Lebensgefühl vor allem jüngerer Zielgruppen und sind somit auch für eine ausgereifte Branche wie das Digitalmarketing der richtige Energie-Impuls von außen.
Bei dem unvergleichlichen Preis-Leistungs-Verhältnis, der absolut reibungslosen Organisation und der Themenvielfalt ist die Dmexco 2020 definitiv „A Place to go“. Am 23. und 24. September. Bis dahin ist hoffentlich auch die Baustelle vor dem Haupteingang weg.
Ein 25-seitiges Special zur Demexco gibt es in der aktuellen Print-Ausgabe der absatzwirtschaft, die Sie hier bestellen können.