Die gute Nachricht zuerst: Dmexco bleibt der „Place to go“ für die Digitalbranche und zwar international. „Es ist verrückt, aber ich musste erst von New York nach Köln fliegen, um einen alten Schulfreund zu treffen, der jetzt auch in der Digitalbranche arbeitet.“ Zitate wie dieses kann man an jeder Ecke der Kölner Messehallen aufschnappen. Und zwar in jeder erdenklichen Sprache.
Das Messegelände war am Mittwoch zum Messeauftakt gut gefüllt, aber dem ersten Eindruck nach nicht so proppevoll wie noch vor zwei Jahren. Messechef Gerald Böse ist sich etwas unsicher, ob das an der Neukonzeption durch das Team um Dominik Matyka liegt, oder ob sich die Branche in einer Konsolidierungsphase befindet, wo Firmen fusionieren und dann eben nur noch einen Messestand brauchen. „Wir erwarten ähnlich viele Besucher wie im Vorjahr, sind aber auch nicht unzufrieden, wenn es ein paar weniger sind. Hauptsache es sind die richtigen“, sagen der Messechef und der BVDW-Präsident Mathias Wahl unisono.
Besucherführung durch Displays erleichtert
Die Messe hat sich herausgeputzt. Böse ist stolz auf die ersten Früchte der Zusammenarbeit mit Samsung, die sich für die Besucher vor allem in den riesigen Displays zeigt. Mithilfe der Displays kann die Messe eine dynamischere Informationspolitik und Steuerung der Besucherströme betreiben und natürlich die unübersehbare Displayfläche auch vermarkten. Die Besucherführung funktioniert gut und das zieht sich auch durch alle anderen organisatorischen Themen durch. Der erste Messetag verlief sehr reibungslos.
„Wir erwarten ähnlich viele Besucher wie im Vorjahr, sind aber auch nicht unzufrieden, wenn es ein paar weniger sind. Hauptsache es sind die richtigen.“
Messechef Gerald Böse
Inhaltliches Highlight des ersten Messetages war ohne Zweifel der Auftritt von Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales. Er schlug nachdenkliche Töne an, wenn er auf die Zukunft des unabhängigen Qualitätsjournalismus blickte: „Wir haben einen Test gemacht mit einem jungen Blogger aus unserem Team und einem gut bezahlen Journalisten. Der Blogger erzielte annähernd die gleiche Reichweite bei einem Bruchteil der Kosten.“ Aktuell arbeitet Wales an einem Projekt, das klassischen Journalismus mit Crowdsourcing kombiniert: Weekly Tribune. „Oft wissen die Menschen da draußen viel mehr, als die Journalisten, einfach weil es ihr Hobby ist, oder sie zum Beispiel an einem bestimmten Ort wohnen“, sagte Wales. Wikipedia selbst hat sich entschieden, mehr mit professionellen Schreibern zusammenzuarbeiten, auch wenn es teurer ist. „Das sind wir, das ist unsere Marke. Ich bin erstaunt, dass viele Marketer das Big Picture aus den Augen verlieren, wenn sie kurzfristigen KPI nachjagen.“ Peng, das saß.
Überhaupt hörte man auf jedem zweiten Vortrag oder auf jeder zweiten Podiumsdiskussion kritische Töne über das Gebaren der Branche. Arne Kirchem, der Media-Chef von Unilever, ist fast entrüstet darüber, wie viel von seinem Budget inzwischen durch Betrüger abgezweigt wird. Er sieht die Vermarkter und Technologie-Lieferanten in der Pflicht, ihre Hausaufgaben zu machen. „Das wäre, wie wenn wir Paletten ausliefern, auf denen Ware fehlt, und dann versuchen, den vollen Preis zu berechnen“, sagt der Hamburger.
Nutzer machen sich Sorgen um Datenschutz
Ein zweites großes Thema, das ebenfalls gut unter das Dachmotto „Trust in you“ passt, ist das Datenmarketing. Eine Adobe-Studie hat ergeben, dass grundsätzlich drei Viertel aller User bereit sind, Daten gegen Mehrwert abzugeben. Aber gleichzeitig machen sich 90 Prozent aller Nutzer Sorgen darüber, dass ihre Daten missbraucht werden könnten. Passenderweise nutzte Google den ersten Messetag für das markige Statement: „Wir wollen in Zukunft mehr machen mit weniger Daten“. Das klingt wie Whitewashing, ist es aber nicht, dann defacto hat kein Unternehmen so gute Kontext-Informationen und kann daraus Relevanzkriterien ableiten. Die personenbezogenen Daten braucht man also gar nicht.
Und Daten sind bei weitem nicht das Einzige, was die User am Marketing stört. Sie verzeihen es Marken auch nicht, wenn deren Werbung neben Artikeln über Terrorismus oder Katastrophen auftaucht. Ein signifikanter Teil selbst der jungen Generation Z würde eine Marke sogar dafür mit Boykott abstrafen, wenn man sich nicht öffentlich entschuldigt.
Für Generation Z müssen Marken zu eigenen Werten passen
Die harmonische Integration von Werbemaßnahme und Medium ist aber nicht nur eine Maßgabe von Brand Safety. Sie ist auch die Grundlage für bessere Werbewirkung. Die Macher von Pinterest, Spotify oder Snapchat verkünden wie aus einem Mund, dass die jungen Zielgruppen vor allem auf Werbung reagieren, wenn sie Werte abbildet, die denen der Zielgruppe entsprechen. Jeff Miller, der Chief Creative Director von Snapchat, berichtete von einer spannenden Kampagne zu den Frauenrechten in Saudi Arabien. „Wir mussten uns von unserer westlichen Arroganz lösen, um überhaupt gehört zu werden“, sagte er. Miller bezog die Aussage auf die Face Lenses, die für Kampagnen auf Snapchat fast ein Erfolgsgarant sind. Für die arabische Kampagne musste das auch und vor allem mit den Kamerabildern verschleierter Frauen funktionieren. Heraus kam eine sehr liebevoll inszenierte Kampagne, bei der Mütter Wünsche öffentlich machen konnten, wie sie sich die Zukunft ihrer Kinder vorstellen, vor allem der Mädchen.
Marco Bertozzi von Spotify glaubt ebenfalls an den Erfolg von Plattformen, denen es gelingt, eine organische Verbindung zwischen Content und Werbung herzustellen. Spotify hostet inzwischen 450.000 Podcasts und investiert hier massiv. Man hat sich soeben die Exklusivrechte für „Gemischtes Hack“ gesichert, den Erfolgspodcast der Zwanzigjährigen im letzten halben Jahr. Und genau hier sieht Bertozzi auch den Eintrittspunkt der Marken: „Ich bin sicher, dass Audio-Influencer in den nächsten Monaten massiv an Bedeutung gewinnen.“ Nur müsse sich die Marke ein „hörbares“ Profil anschaffen und sie müsse erneut sich auf die Werteebene der jeweiligen Zielgruppe einlassen. „Für die Hälfte aller Nutzer ist Spotify die Entspannung von den vielen Bildschirmen, die sie den ganzen Tag über sehen. Dadurch ist das Medium sehr intensiv und der User aber auch sehr empfindlich“, so Bertozzi.
Nachhaltigkeit steht am zweiten Tag auf der Agenda
Unter Strich hat der erste Messetag sehr ernsthafte, aber spannende Debatten auf die Tagesordnung gebracht. Am zweiten Tag steht vor allem auch das Thema Nachhaltigkeit auf der Agenda. Und die Koelnmesse hat hier einen ersten kleinen Schritt gemacht: Sie subventioniert die Aufforstung von Wald zur Kompensation des eigenen CO2-Footprints.
Die Dmexco muss kein Festival wie die OMR in Hamburg werden, um ihre Bedeutung zu halten. Im Gegenteil: Das den Tag abschließende Musical auf der Kongressbühne wirkt fehl am Platz. Wie sagte Dominik Matyka zum Auftakt der Messe: „Hier wird Business gemacht.“ Das ist zwar nicht so sexy wie in Hamburg und mag nicht für den ganz großen Besucherzuwachs sorgen, aber es ist richtig. So funktioniert Dmexco.
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