Die Werbewelt wird von Stereotypen dominiert: Westeuropäische, heterosexuelle, säkulare Menschen ohne körperliche und geistige Einschränkungen lachen uns entgegen. Daran ist auch erst mal nichts falsch, denn die Mehrheit der Bevölkerung fällt in diese Gruppe. Nur, wer ausschließlich die Mehrheit darstellt, stellt nie die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit dar.
In Deutschland haben rund 22 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund (ich bin einer davon), allein in der Gen Z identifizieren sich rund 1,5 Millionen Menschen als LGBTQI+, rund 5,5 Millionen sind Muslime und rund 7,8 Millionen Menschen haben eine Schwerbehinderung. Ich könnte die Liste fortführen, mein Punkt dürfte aber rübergekommen sein: Unsere Gesellschaft ist vielfältiger als ihre werbliche Darstellung.
Viele Unternehmen haben das erkannt und versuchen, ihr Marketing diverser und inklusiver zu gestalten. Worauf die wenigsten vorbereitet sind, ist die Empörungskultur im Netz. Selbst kleine Gruppen können hier eine beeindruckende Lautstärke entwickeln und Unternehmen in die Defensive treiben. In der Regel hat man es dabei mit zwei Empörungstypen zu tun: mit den Hobbykritisierenden und den vermeintlich Bedrohten.
Haltung zu haben, heißt, Haltung zu zeigen
Hobbykritisierende erfreuen sich daran, Unternehmen in die Schranken zu weisen, und prangern selbst kleinste Fehltritte genüsslich an. Das kann man als nervig empfinden, die Intention ist aber selten böswillig. Zudem kommt es immer wieder vor, dass diese Menschen berechtigte Fragen stellen. Im Pride Month mussten sich zahlreiche Marken in sozialen Medien tausendfach anhören, wie scheinheilig ihr Umgang mit der LGBTQI+- Community ist. Während in eher liberalen Ländern mit Regenbogenlogos Solidarität und Unterstützung beschworen wurden, schwieg man in eher trans- und homophoben Ländern. Echte Haltung sieht anders aus und das wird in sozialen Medien schnell entlarvt.
Problematischer sind die vermeintlich Bedrohten. Sie verstehen Diversity im Marketing nicht als legitimen Versuch, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit abzubilden, sondern als Angriff auf ihre Lebensweise. So brachte der AOK ein Video Ad mit einem lesbischen Paar Hunderte negative Kommentare ein. „Eklig“, „krank“, man müsse die Kasse wechseln. Auf die Frage, ob wir noch Werbung für „sexuell normal orientierte Menschen“ machen würden, hat mein Team dem Kommentator den Spiegel vorgehalten: „Gesundheit betrifft alle Menschen, auch homophobe.“ Er fand unsere Antwort nicht so lustig. Komisch.
Haltung zu haben, heißt, Haltung zu zeigen. Wenn man es als Unternehmen mit Diversity im Marketing ernst meint, dann darf man in solchen Momenten nicht klein beigeben – auch auf die Gefahr hin, Kunden zu verlieren. Aber wer will schon Geld mit Menschen verdienen, die in sozialen Medien Hass verbreiten? Ich hoffe, niemand.