Diversität verdient keine Lippenbekenntnisse

US-Unternehmen ziehen sich aus Diversity-Programmen zurück – aus Angst vor politischem Gegenwind und dem „Woke“-Label. Doch Vielfalt ist keine Bürde, sondern eine Chance, die Vertrauen, Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt sichert.
Ein McDonalds-Restaurant in Chelsea in New York zeigt die Progress Pride Flagge zu Ehren des Gay Pride Day 2023.
McDonald's stellt seine Bemühungen um Diversität, Gleichheit und Inklusion ein. (© Imago)

Wenn Weltkonzerne wie McDonald’s oder Meta ihre Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme (DEI) einstellen, hat das nichts mit Zufall zu tun. Es ist eine Reaktion auf den politischen Wind in den USA: Donald Trump kehrt zurück, und mit ihm ein Klima, in dem „Wokeness“ und Diversität zu Feindbildern stilisiert werden. Für viele Menschen mag es wie eine pragmatische Anpassung wirken – eine Maßnahme, um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden. Doch diese Entscheidungen gehen weit über kurzfristige Strategien hinaus. Sie haben Konsequenzen, die uns alle betreffen: die Gesellschaft, Marken und die Kommunikationsbranche.

Die Angst vor dem „Woke“-Stempel

Dass viele US-Unternehmen aus Angst vor dem „Woke“-Stigma Diversitätsbemühungen aufgeben, zeugt von einer gefährlichen Kurzsichtigkeit. McDonald’s beendet DEI-Trainings, Meta streicht dazu noch seine Faktenprüfungen und Banken wie JP Morgan treten aus Klimabündnissen aus. Auch Toyota, Ford, Harley-Davidson und John Deere haben ihre Regeln geändert. Walmart hatte bereits Ende November seine DEI-Regeln zurückgefahren. Diese Entwicklungen sind weniger strategisch als opportunistisch: ein kurzfristiges Einlenken gegenüber politischen und gesellschaftlichen Strömungen. Dieses Vorgehen jedoch schadet dem Vertrauen, das Marken über Jahre aufgebaut haben, und rüttelt an den Grundfesten ihrer Glaubwürdigkeit.

„Woke“ – einst Synonym für das Bewusstsein sozialer Ungerechtigkeiten – ist zum Reizthema geworden. Konservative Kräfte karikieren es als moralischen Absolutismus, der spaltet. Das Problem: Diese Verzerrung führt dazu, dass Unternehmen aus Angst lieber auf Diversität verzichten, statt sich ihr aktiv zu widmen. Dabei geht es bei Diversität um etwas völlig anderes: um Chancengleichheit, um Respekt und um die Freiheit, unterschiedlich zu sein.

Diversität als Grundpfeiler der Freiheit

Gerade jene, die Freiheit als höchsten Wert verteidigen – viele Konservative in den USA eingeschlossen – sollten Diversität eigentlich feiern. Denn was ist Freiheit, wenn nicht die Möglichkeit, man selbst zu sein, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Glauben? Eine pluralistische Gesellschaft lebt davon, dass alle Menschen ihren Platz finden können – nicht nur die, die in ein bestimmtes Schema passen.

Diversität ist kein Gegensatz zu liberalen Grundwerten, sondern ihr natürlicher Begleiter. Marken, die Vielfalt authentisch fördern, schaffen nicht nur Chancengleichheit, sondern auch Loyalität und Vertrauen bei Konsument*innen. In einer Zeit, in der Gesellschaften zunehmend auf Werte achten, ist Diversität ein wesentlicher Bestandteil von Corporate Social Responsibility (CSR). Und sie macht Unternehmen langfristig erfolgreicher. Studien von McKinsey und Harvard zeigen das immer wieder: Diverse Teams sind kreativer, produktiver und profitabler. Kurz: Vielfalt ist keine Bürde, sondern eine Chance.

Die Rolle der Kommunikationsbranche

Die Kommunikationsbranche steht nun vor einer wichtigen Entscheidung: Folgt sie den Unternehmen, die aus Angst vor Kritik auf Diversität verzichten, oder zeigt sie Haltung? Es ist an der Zeit klarzumachen, dass Diversität nicht mit „Wokeness“ gleichzusetzen ist. Es geht nicht um moralische Überheblichkeit oder symbolische Gesten, sondern um echte, praktische Maßnahmen, die etwas bewirken.

Marken haben die Macht, den öffentlichen Diskurs mitzugestalten. Sie können zeigen, dass Diversität nicht nur gesellschaftlich wichtig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Konsument*innen erwarten heute mehr von Unternehmen als gute Produkte – sie wollen Werte sehen, die gelebt werden. Wer hier einknickt, riskiert mehr als nur ein schlechtes Image.

Diversitäts-Rückzug: Ein Fehler mit Folgen

Der Rückzug von US-Unternehmen aus Diversity-Initiativen ist ein Fehler. Er signalisiert, dass kurzfristige politische Opportunität wichtiger ist als langfristige Werte und Fortschritt. Doch Diversität ist kein ideologisches Schlachtfeld – sie ist eine Grundlage für Freiheit, Innovation und Gerechtigkeit. Marken, die diesen Wert erkennen und konsequent vertreten, schaffen nicht nur eine gerechtere Zukunft, sondern sichern auch ihre eigene Glaubwürdigkeit und Relevanz.

Diversität verdient keine Lippenbekenntnisse, sondern mutige Taten – gerade in Zeiten, in denen sie angegriffen wird.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.