Ein Kommentar von Christoph Pietsch, CMO der Agenturgruppe DDB Group
Die Diskussion um den „Pitch“ hüpft in regelmäßigen Rhythmen auf das Radar der Agenturen aber auch der Fachmedienwelt. Die beiden bisherigen Diskutanten beschreiben in Ihrer Auseinandersetzung nahezu alle relevanten Punkte, Bedüfnissituationen, vor allem aber Schwachstellen des gelernten Prozesses. Ein Großteil der vorgeschlagenen Ideen zur Optimierung ist dabei allerdings schlichtweg realitätsfremd, inhaltlich wie betriebswirtschaftlich nicht abbildbar. Es scheint alles gesagt, oder?
(klicken Sie hier, um den Artikel „Effiziente Agentursuche, statt Pitch-Quatsch“ von Simon Dietrich zu lesen. Und hier für den Text von Heiko Burrack: Statt Pitch-Vokabular Konzentration auf die richtigen Pitches).
Grundsätzlich spüren natürlich auch wir eine Veränderung in der Vergabekultur von Kommunikationsmandaten. Eine Verallgemeinerung beziehungsweise deutliche Erkennbarkeit von „Trends“ fällt allerdings schwer. Sprechen wir also lieber über neue Tendenzen. Der Grund: Kaum ein Markenbedürfnis, keine Marktsituation und kein Organisations-Status Quo gleicht in Summe dem anderen. So manigfaltig die Herausforderungen, so divers die Prozessgestaltung in der Findungsphase.
Steigende Aufgabenkomplexität
Markenverantwortliche suchen auf der einen Seite noch intensiver nach Service-Spezialisten, teilweise sogar nach einzelnen Köpfen, vergeben projektorientierter und passen ihr Screening-Verhalten, ihre Budgethaushalte und Auswahl-Zeitkontingente der neuen Geschwindigkeit und den Anforderungen ihrer Märkte an. Auf der anderen Seite zeichnen steigende Aufgabenkomplexität, reduzierte Personalstärken in Marketingabteilungen und ein immer internationaleres Geschäft, ein Bild der Renaissance von Verbundagenturen und Networks mit breitem Portfolio entlang der Marketingkommunikations-wertschöpfungskette. Außerdem werden die Rufe nach Verzahnung der Services und vollindividualisierten Angeboten immer lauter – „Customized Agency“ wird zum Modebegriff.
Auch mal absagen
Die Frage nach der gemeinsamen Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle und Strukturen, sowohl für Unternehmen als auch Agenturen, steht also im Zentrum der Diskussionen und auch der Wettbewerbe. Ob der „Pitch“ in all seinen Ausprägungen und Abkürzungsmöglichkeiten den Königsweg darstellt? Wir wissen es nicht. Wir bei DDB prüfen über einen Kriterienkatalog daher sehr genau, ob wir mit unseren Fähigkeiten zur Aufgabenstellung, inhaltlich und kaufmännisch zum potentiellen Partner, seinen Zielen und auch zu den Vorstellungen einer Ausschreibungslogik passen. Das führt schlussfolgernd auch zu regelmäßigen Absagen von Angebotsanfragen.
Diskussion immer wieder führen – sie schafft Bewusstsein auf beiden Seiten
Um es daher kurz zu machen: Wettbewerbe und Pitches, oder besser die Neugeschäftsjagd, bedeuten für Agenturen hohe Investitionen und phasenweises Überschreiten von Leistungsgrenzen. Das sollten alle Beteiligten verinnerlichen. Sie sind für die Unternehmenskultur allerdings auch zwingend notwendig. Sie erhalten und fördern den Jagdinstinkt, den Hunger unserer Teams, machen uns schlauer und holen uns immer wieder aus unseren Komfortzonen. Und auch auf Auftraggeberseite bindet ein Auswahlprozess selbstredend kostbare Ressourcen. Ob gesteuert durch einen professionellen Consultant, eine digitale Vorauswahl über Plattformen, zahlreiche Prozessschleifen oder Matching-Tools – Gott sei Dank entscheiden sowohl Marken als auch Agenturen noch selbst über ihre Auswahl und Teilnahme. Niemand zwingt uns.
Ich möchte mich daher heute nicht für das eine „beste“ Verfahren aussprechen oder den Pitch als solches kritisieren, sondern bei allen Beteiligten für einen wertschätzenden und offenen Umgang miteinander werben. Für das Verständnis, dass Kommunikation, Kreativität und medienübergreifende Strategieentwicklung harte 2
Arbeit sind und eine Leistungserbringung vieler Experten abbildet. Dafür, dass auch Agenturen, ihre Marken- und Kommunikationsarbeit auf einem kaufmännischen Prinzip beruhen. Und dafür, dass wir durch ein offenes Ohr und intensive Gespräche im Vorfeld Bestes ermöglichen oder auch Schlimmstes verhindern können. Im Sport sagen wir dazu „fair play“. Hoch lebe der Wettbewerb.
Zum Autor: Seit 2017 ist Christoph Pietsch Teil des Management Boards der Agenturgruppe DDB Group Germany. Als Chief Marketing Officer verantwortet er die Unternehmensbereiche Group Marketing, Business Development und Corporate Communications in Deutschland. Pietsch begann seine noch junge Karriere 2006 mit einer Ausbildung zum Kaufmann für Marketing-Kommunikation bei GREY. Neben seiner Funktion im Agentur-Management engagiert sich Pietsch in diversen Gremien der Marketing-, Kultur- und Kreativwirtschaft. Für sein unkonventionelles Vermarktungsverständnis wurde er in den vergangenen Jahren mehrfach ausgezeichnet. Seit 2017 ist er Vorstandsmitglied des Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V.