Herr Perrey, führt die Corona-Krise dazu, dass sich nun auch Unternehmen für D-to-C interessieren, die das Thema vorher kaltgelassen hat?
JESKO PERREY: Ja. Die Krise sorgt dafür, dass zehn Jahre Entwicklung des E-Commerce nun gerafft in 18 Monaten stattfinden. Es gibt einen dramatischen Shift zu Online. Unser aktueller Survey ergibt, dass 20 Prozent mehr Bundesbürger auch nach der Krise mehr im Internet einkaufen wollen. Daher versuchen die allermeisten Unternehmen, ihr Online-Geschäft zu stärken oder es überhaupt aufzubauen.
Warum reicht der Verkauf über die bestehenden Handelspartner nicht aus?
Klar, das Geschäft kann auch über die externen Plattformen laufen, und das tut es ja auch. Aber man hat mit einem eigenen D-to-C-Geschäft eine bessere Markenpräsenz und kann von deutlich besseren Kundenkontakten profitieren. Daraus lassen sich nicht zuletzt wertvolle Erkenntnisse für die Steuerung des Sortiments gewinnen. Die Grundfrage lautet doch: Warum sollen andere den direkten Zugang zu den Kunden haben – sozusagen zum wertvollsten Asset, das es gibt?
Wem empfehlen Sie D-to-C-Strategien – und wem nicht?
Es gibt eine ganz einfache Formel, um diese Frage zu beantworten: Wie verhält sich der Customer Lifetime Value (CLV) zu den Customer Acquisition Costs (CAC)? Die erste Komponente, also der Kundenwert, sollte mindestens zweimal so hoch sein wie die Kundengewinnungskosten. Diese Rechnung geht für die Konsumgüterindustrie unter Umständen nicht auf, da die Kosten – von der IT bis zum Fulfillment – sehr hoch sein können, während man oftmals eher niedrigpreisige oder selten benötigte Produkte vertreibt. In den Kategorien Reise, Telekommunikation, Media & Entertainment oder Mode ist das einfacher.
Gibt es auch Unternehmen, die das Thema weniger von der Sales-Seite sehen? Es kann ja sein, dass einem die Consumer Insights so wichtig sind, dass man die D-to-C-Aktivitäten nicht so genau nachrechnet.
Alle Unternehmen behaupten erst einmal, dass das eine wichtige Triebfeder sei. Aber langfristig wird es sich rechnen müssen. Klar: Die Online-Shops von Nike oder Adidas sind sehr gute Kundenbindungsinstrumente und werden sehr umfassende Insights liefern. Aber auch solche Unternehmen werden auf Dauer damit Geld machen wollen. Wir reden hier schließlich über massive Investitionen.
Wie kann sich denn ein Unternehmen sicher sein, dass das Ganze auch wirklich klappt, bevor es so viel Geld auf den Tisch legt?
Die meisten Firmen versuchen erst einmal, das Thema auf der Kostenseite so schlank wie möglich zu machen, über Partnerschaften im Fulfillment zum Beispiel. Hinzu kommt ein möglichst agiles Arbeiten. Gerade die IT stellt immer eine große Herausforderung dar. Wer da kleine, skalierbare Lösungen findet, kann das Risiko schon einschränken.
Ein Problem ist auch, dass die Handelspartner eher verschnupft reagieren, wenn Hersteller ihr D-to-C-Geschäft forcieren. Wie kann man das Thema harmonisch gestalten?
Natürlich hat man immer den Kanalkonflikt. Den kann man aber partnerschaftlich diskutieren und optimieren. Wer sagt, dass der Online-Shop, den ein Unternehmen eröffnet, zwangsläufig Konkurrenz zum Shop des Handelspartners darstellt? Im stationären Handel profitieren Geschäfte teilweise sogar davon, wenn in der Nähe ein Konkurrent aufmacht, weil so mehr Frequenz angezogen wird. Man kann zum Beispiel dafür sorgen, dass ein beeindruckender Auftritt einer Marke in einem D-to-C-Shop, in den man ja investiert, auch dem sonstigen Absatz der Marke zugutekommt – also auch dem Handelspartner.
Wie schafft man es denn, den Online-Shop attraktiv zu machen?
Besonders attraktiv sind Online-only-Angebote. Die italienische Modemarke Zegna zum Beispiel bietet eine sehr hippe Kollektion von namhaften Designern an – sehr zum Leidwesen von Stammkunden, die im stationären Laden vergeblich danach fragen. Für die Attraktivität eines Online-Shops gilt ein Vierklang: ein überzeugendes Sortiment mit exklusiven Produkten und spezifischen Packaging-Größen, guter Service mit personalisierter Ansprache, interessanter Content mit Geschichten rund um die Marke und eine inspirierende Community, die sogar bei der Gestaltung der Produkte mitwirkt. Das alles ist natürlich für Margarine schwieriger als für Turnschuhe, aber es ist nicht unmöglich.
Spricht auch die Dominanz von Amazon im E-Commerce für die Etablierung eigener Online-Kanäle?
Amazon hat ja auch Konkurrenten, das darf man nicht vergessen. Aber klar, es ist wie im persönlichen Leben: Auf zwei Beinen läuft es sich besser als auf einem.
Dieses Interview ist Teil der Titelgeschichte „Die neue Nähe“ über Direct-to-Consumer-Strategien von Herstellern im Printmagazin der absatzwirtschaft, das Sie hier abonnieren können.