Die elektronische Patientenakte soll endlich kommen. Obwohl mehr als 70 Millionen Kassenpatienten in Deutschland eine Chipkarte bereits seit Jahren mit sich herum tragen, haben sie davon keinen Mehrwert. Ab 2019 sollen nun Ärzte mit der Karte immerhin die Stammdaten der Patienten online abgleichen können. Die Digitalisierung der Gesundheitsbranche wird oft als „Königsdisziplin“ der vernetzten Versorgung benannt. Statistiken zeigen klar: Rund 60 Prozent der Deutschen würden befürworten, wenn ihre Gesundheitsdaten aus Arztpraxen, Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen zentral gesammelt werden. Das ergab eine repräsentative Umfrage, die der Digitalverband Bitkom und die Bayerische TelemedAllianz Ende März 2017 veröffentlichten.
Auch die YouGov-Studie im Auftrag des AOK-Bundesverbandes Ende 2017 zeigte, dass 78 Prozent der Befragten eine digitale Gesundheitsakte nutzen, wenn sie von ihrer Krankenkasse angeboten wird. 77 Prozent der Versicherten wollen zudem selbst darüber bestimmen, welche Ärzte Zugriff auf die Daten in ihrer elektronischen Akte haben. Die Realität in Krankenhäusern und Praxen zeigt das andere Bild. Denn 47 Prozent der Ärzte nutzen für ihren Schriftverkehr, etwa für Arztbriefe, überwiegend noch Papier und Stift, schicken ein Fax und arbeiten noch mit der papiernen Patientenakte. Dies ergab eine aktuelle Umfrage von Hartmannbund und Bitkom unter 477 Medizinern.
Spahn will schnell handeln
Es gebe kaum einen Bereich, „in dem noch so viel gefaxt wird wie im Gesundheitswesen“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich im „Handelsblatt“-Interview. Deswegen will der Minister die elektronische Patientenakte allen gesetzlich Versicherten bis spätestens 2021 zur Verfügung stellen. Spahn hatte bereits erklärt, er wolle, dass gesetzlich Versicherte spätestens ab 2021 generell auch per Handy und Tablet ihre Patientendaten einsehen können. Eigene Angebote für elektronische Gesundheitsakten hatten die AOK und die Techniker Krankenkasse (TK) schon vorgestellt.
So haben die Akteure im Gesundheitswesen die Schaffung gemeinsamer Standards verabredet, berichtete das „Handelsblatt“ unter Berufung auf eine dreiseitige Absichtserklärung. So soll ein Arbeitskreis eingerichtet werden, der vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) koordiniert werden soll. Er soll die Struktur der Digitalakten festlegen. In die Akte sollen neben Arztbefunden und Röntgenbildern auch kassenspezifische Informationen wie etwa zu Bonusprogrammen einfließen. Dazu soll es einen eigenen Bereich für Versicherte geben, in dem die Patienten Daten sammeln, die von Fitness-Trackern aufgezeichnet wurden.
TK ist Vorreiter
Ein Unternehmen hat nicht nur immenses Geld in die Entwicklung der eigenen elektronischen Patientenakte gesteckt, sondern promotet sie nun auch stark bei den Versicherten und bei Minister Spahn. Die Techniker Krankenkasse entwickelte „TK-Safe“ mit IBM Deutschland schon Mitte des Jahres. Bis Ende des Jahres sollen alle zehn Millionen TK-Versicherte die E-Gesundheitsakte nutzen können, wenn sie es wollen und bei der TK versichert sind. Zurzeit liegen alle medizinischen Patientendaten dezentral bei Ärzten, Krankenhäusern, Therapeuten und Krankenkassen. Meist kennt der Patient seine Krankendaten gar nicht. Das soll die neue App ändern: Jeder TK-Versicherte kann über ein Smartphone auf einen digitalen Datentresor zugreifen, wo Arztbriefe und Röntgenbilder in der neuen Gesundheitsakte hochgeladen werden können. Konkurrenten wie die AOK und die Politik stehen also unter Zugzwang.
Datenschutz ist Hauptaufgabe
Weil Gesundheitsinformationen zu den besonderen Arten personenbezogener Daten gehören, sind solche durch den Datenschutz besonders geschützt. Zum Beispiel die Übermittlung der Patientendaten an Dritte ist in nur wenigen Ausnahmefällen zulässig. Für die „TK-Safe“-App hat IBM Deutschland ein sicheres Log-in-Prinzip entwickelt. So haben Versicherte die Möglichkeit haben, Daten zurückzuhalten. Anmelden tun sie sich mit der Zwei-Faktor-Authentifizierung, sodass die Akte ausschließlich auf einem registrierten Smartphone mit dem persönlichen Passwort innerhalb der TK-App eingesehen werden kann. Ob diese Lösung zum Standard in der Gesundheitsbranche wird, zeigt die Entwicklung der E-Patientenakte in den kommenden Jahren.
Die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen soll nicht nur Hoffnung bringen, sondern am Ende auch Kosten sparen. Denn wie eine Analyse der Unternehmensberatung McKinsey herausfand, hätten in diesem Jahr bis zu 34 Milliarden Euro eingespart werden können, wenn die Gesundheitswirtschaft konsequent digitale Technologien anwenden würde.
(Lig) Mit Material der dpa