Fast zwei Drittel aller Internetnutzer verwenden Google Chrome. Und seit wenigen Tagen steht dieser Anwendergruppe eine neue Funktion zur Verfügung: Augmented Reality (AR). Kein Nutzer muss mehr eine zusätzliche App auf seinem Smartphone installieren. AR trifft den Massenmarkt.
In den Marketingetagen der Möbelhersteller und -händler dürften derzeit die Drähte glühen. Die Möglichkeit, die zum Verkauf angebotenen Möbelstücke virtuell ins eigene Wohnzimmer zu stellen, hat sich längst bewährt. Für die Anbieter eröffnet sich jetzt plötzlich die Möglichkeit, diese Technik in die Angebotskommunikation zu integrieren.
Und das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Facebook und Instagram haben Augmented Reality bereits integriert. Facebook hat bekannt gegeben, diese Technik auf für Werbemittel zur Verfügung zu stellen. Youtube testet ebenfalls bereits Augmented Reality. L´Oréal zählt zu den ersten Testern. Das Unternehmen bietet Kundinnen die Möglichkeit, im oberen Teil eines Splitscreens ein Schminktutorial zu sehen und in der unteren Hälfte die Lippenstifte virtuell selbst auszuprobieren.
Beispiele für Augmented Reality
Wer sich in der Vergangenheit mit AR beschäftigt hat, findet aus sehr vielen verschiedenen Branchen Anwendungsfälle, die Sinn ergeben. Das Rad muss heute nicht neu erfunden werden. Eine Auswahl:
- Automobil: BMW nutzte 2018 eine AR-Anwendung, um das Modell X2 zu promoten. User konnten das Fahrzeug virtuell an alle möglichen und unmöglichen Orte stellen, im Zweifel vor die eigene Garage. Daraus entsteht spannender Content für BMW und die Screenshots verbreiten die User selbst über die Sozialen Netzwerke.
- Unterhaltung: Sony Pictures gab den Nutzern die Möglichkeit, in die Monsterfratze von Venom einzutauchen und illustrierte so das „Jekyll and Hyde“-Konzept des Films. Sony verglich die Performance-Daten mit klassischen Kampagnen und kam zu dem Schluss, dass eine klar positive Wirkung auf die Ticketverkäufe zu errechnen war.
- Handel: Die Innovative Retail Labs in St. Wendel arbeiten schon seit drei Jahren an einem Gerät, das am Regal über ein Produkt gehalten werden kann und das dann Zusatzinformationen, Inhaltsstoffe oder Herkunft anzeigen kann. Lab-Chef Antonio Krüger nennt das Device „die Produktlupe“.
- Packaging: 2019 werden jede Menge Kinder beim Auspacken ihrer Weihnachtsgeschenke innehalten und das familiäre iPad auf die Verpackung richten, denn dort erscheint eine Simulation dessen, was im Inneren des Pakets wartet.
- Hotel, Gastro, Locations: Interaktive Pläne im Freizeitpark zeigen nicht nur, wo die Looping-Achterbahn ist, sondern blenden dazu ein Video ein. Indoor-Navigationssysteme führen den Benutzer zum Hotel-Spa und zeigen ihm im Vorbeigehen, was es sonst noch alles Spannendes zu entdecken gibt.
- Bildung: In Cannes wurde eine komplette Ausstellung mit AR-Kunstwerken bespielt. Die Bilder selbst waren eher langweilig, aber eben nur so lange, bis die Handy-Simulation das Kunstwerk in Bewegung brachte.
- Tourismus: Der geführte Stadtrundgang wird längst nicht nur vom Nachtwächter begleitet, sondern eine Software auf dem Smartphone des Nutzers übernimmt die Erklärung der Sehenswürdigkeiten – wahlweise für Kinder oder Erwachsene, mit historischem Bezug oder modern, auf Mandarin oder auf Schwäbisch.
Neu ist, dass Augmented Reality immer mehr Reichweite findet. Die meisten spannenden Marketing-Beispiele der vergangenen Jahre sind auf Snapchat gelaufen. Dort hat man sehr einfache Tools entworfen, die von den Nutzern in Minutenschnelle erlernt sind. „Die Marketer können die gleichen Tools nutzen, wie unsere AR-Teams“, sagt Liane Siebenhaar, die Kreativstrategin von Snap. Vor kurzem veröffentlichte Snapchat ein Projekt mit gesellschaftlicher Bedeutung: Im Kölner Zoo zeigte die Plattform drei leere Tiergehege, in denen nur dann Bewohner erscheinen, wenn man die Schilder mit Snapchat scannt. Die drei Tierarten sind vom Aussterben bedroht, auf einer dazugehörigen Landing Page wird das Thema Artenschutz behandelt.
Augmented Reality: Das fehlt noch
Was Early Adopter in ersten Gehversuchen auf Snapchat ausprobiert haben, können sie nun sukzessive auf anderen Plattformen und mit mehr Reichweite anwenden. Augmented Reality funktioniert mit den gängigen Assets wie Text, Bild und Video. Aber richtig spannend wird es mit 3D-Modellen. Ingenieursgetriebene Firmen aus technischen Branchen tun sich da um einiges leichter. Marketer aus anderen Branchen müssen hier erst Mal auf die Suche gehen. Doch auch hier winkt technische Abhilfe: Software-Systeme, die aus 2D-Bildern 3D-Figuren errechnen, werden immer besser und einfacher. Mimic Productions in Berlin arbeitet gerade daran, eine historische Persönlichkeit, von der es nur Ölgemälde gibt, digital zum Leben zu erwecken. Um welche Persönlichkeit es sich handelt, wollen die Berliner noch nicht verraten.
Snap-Managerin Siebenhaar blickt optimistisch in die AR-Zukunft. Sie sagt: „In den Workshops mit Agenturen stelle ich immer wieder fest, dass so viel kreatives Potenzial vorhanden ist.“ Aus ihrer Sicht sollte man nur eines ändern: den Kreativen mehr Zeit geben, um neue Technologien intensiver zu erforschen.