Digitale Urlaubswelt: Surfst du noch oder reist du schon?

Das Reisebüro ist für "Digital Natives" obsolet geworden, für die ältere Generation aber noch immer der logische Weg in den Urlaub. Onlineportale und Share-Economy aber haben den stationären Reisemarkt längst ausgehöhlt. Wer hier überleben will, muss sich virtuell aufstellen.

Niklas und Nathalie wollen in diesem Monat nach Nord-Zypern. Am liebsten wäre ihnen eine Pauschalreise. Eine Woche, Flug, Halbpension im Drei-Sterne-Hotel. Gemeinsam besuchen sie ein Reisebüro um die Ecke, die Beraterin ist freundlich, die Angebote ansprechend. Nur der Preis, da ist sich Niklas sicher, der ist online besser. Eine halbe Stunde nach Verlassen des Reisebüros buchen die beiden denselben Urlaub online für 110 Euro weniger.

Das Reisebüro muss zum Onlineprofi werden

Ein Phänomen, das nicht gerade selten vorkommt. Laut einer repräsentativen Umfrage im Jahr 2014 im Auftrag des Hightech-Verbandes Bitkom kaufen rund zwei von drei Internetnutzern über 14 Jahre (63 Prozent) ihre Reiseleistungen im Web, insgesamt sind das 34 Millionen Deutsche. 80 Prozent recherchieren ihr Reiseziel und Angebote im Internet, so die aktuelle ROPO-Studie (Research Online, Purchase Offline). Auch Deutschland-Chef von Thomas Cook, Michael Tenzer, beschrieb jüngst die Entwicklung so: „Der Kunde bestimmt unabhängig von Öffnungszeiten, wann, wo und wie er Reisen sucht und bucht.“ Der Urlauber erwarte Dialog auf allen Kanälen, und er sei weniger loyal als noch in analogen Zeiten.

2014 ist der deutsche Reisemarkt insgesamt um sechs Prozent gewachsen, bei den Onlinebuchungen jedoch um 13 Prozent, rechnet Michael Buller, Chef des Verbandes Internet Reisevertrieb, vor. Doch Reisebüros haben noch lange nicht ausgedient, sind sich viele Experten sicher. Axel Jockwer ist seit 2013 Professor für Tourismusmanagement an der EBC Hochschule in Stuttgart und baute von 2005 bis 2012 als Marketing Director das Unternehmen Holidaycheck mit auf. Für ihn steht fest: „Die Generation der Mittzwanziger bucht zwar selten Kurztrips und Individualreisen über das Reisebüro, doch in Sachen Rundreisen und Pauschalreisen zieht es auch die Jüngeren ins Reisebüro.“ Pauschalreisen würden noch immer zu 75 Prozent im stationären Reisebüro gebucht. Und da scheinen die Unterschiede zwischen den Altersgruppen gar nicht so überraschend. „Bei der massiven Transparenz und Fülle an Information, die online herrscht, ist es gar nicht so einfach, das richtige Angebot zu finden. Fast immer recherchieren die Kunden auch online und sind bereits gut informiert – darauf muss das Reisebüro reagieren und selbst zum Onlineprofi werden“, so Jockwer.

Stationärer Service kann Orientierung bieten

Die Schwächen des Onlinehandels wiederum liegen ganz klar im Service und den Empfehlungen. Hier kann das Reisebüro zum Führer durch die Angebotsvielfalt werden und mit Sachkenntnis von Produkt und Kunden punkten. „Dazu kommt natürlich noch der wichtige Aspekt, dass man dort einen ‚echten‘ Menschen als Ansprechpartner hat, wenn Fragen aufkommen oder etwas schiefläuft“, sagt Jockwer. Im Reisebüro müssen also Kundenbindung und Kommunikation ganz oben stehen.

Die Grenzen zwischen Online und Offline sind dabei längst fließend. So wird der gute alte Reisekatalog um digitale Möglichkeiten erweitert. Der Kunde kann Hotelbilder einscannen und macht via App oder Datenbrille einen Rundgang durch das entsprechende Hotel. DER Touristik oder auch ITS haben Apps für ihre Kataloge. Spielereien, die den Reisenden zurück ins Büro locken sollen.

Omni-Channel-Marketing führt On- und Offline zusammen

Nicht nur dort spürt man den Umbruch. Auch der Online-Reisemarkt befindet sich im Wandel: Durch Big Data lernen diese ihre Kunden genau kennen. „Die Analyse großer Datenmengen begünstigt Innovationen im Mobile-Bereich wie Predictive Apps. Neue Zahlungssysteme erleichtern die Abwicklung von Reisebuchungen. Die verschiedenen Kanäle, über die Kunden Reisen suchen und buchen, werden im Omni-Channel-Marketing smart verzahnt“, so David Ruetz, Leiter der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB). Ein Beispiel: Hat ein Urlauber die Reise im Büro gebucht, aber vergessen, das Auto dazuzubuchen, kann er das bequem im Internet nachholen. Mithilfe eines Accounts kann er seine Reisedaten ganz einfach aufrufen und zusätzliche Elemente hinzufügen. Alle Informationen werden somit online zusammengeführt.

Daher ist es auch im Interesse des stationären Vertriebs, dass Angebote prominent online vermarktet werden. TUI schafft mit seinem „Reisebüro der Zukunft“ in Berlin eine Verbindung zwischen Online und Offline. „Die Verknüpfung beider Welten ist hier gelebte Realität. Der Kunde entscheidet, ob er ein klassisches Beratungsgespräch am Schreibtisch bevorzugt oder sich gemeinsam mit einem Reiseexperten in einer gemütlichen Lounge-Ecke mithilfe von iPads durch die Angebote klickt“, erklärt Pressesprecherin Susanne Stünckel.

Doch erlebt der Kunde all das nicht auch im Internet? Kommentare und Bewertungen von Hotels gehören auf Reiseplattformen wie Expedia.de und weg.de zum guten Ton. Bewertungen nimmt der Leser ernst und empfindet sie auch als persönliche Beratung – von jemandem, der tatsächlich am Urlaubsort war. Damit punktet auch die neue innovative Online-Reisewelt Airbnb (Airbedandbreakfast) und Couchsurfing. Das sind Plattformen, die Produkt- und Servicequalität durch Innovationsfähigkeit und ein klares Markenerlebnis bieten und auf Transparenz in Sachen Bewertung setzen. Mehrwert hinsichtlich Personalisierung und Inspiration kommen vor allem aus Big Data und mobilen Use Cases.

Individueller Urlaub durch Share Economy

Was Couchsurfer und Nutzer von kommerziellen Seiten gemein haben, ist der Wunsch nach individuellem Urlaub. Weltweit gibt es rund 735 000 Couchsurfer. In der Regel kennen sich Couchsurfer und Couchbesitzer nur über das Internet. Sie registrieren sich kostenlos, füllen ein kurzes Profil aus, geben ihre Hobbys und Sprachkenntnisse an und bieten anderen Mitgliedern einen Schlafplatz an. Nutzer versprechen sich durch das Wohnen bei Einheimischen authentischere Einblicke in die jeweilige Stadt, die Kultur und suchen neue Freunde. Der kommerzielle Reisemarkt hat dieses Gefühl schnell für sich entdeckt. Während das Couchsurfer-Internetportal immer noch von ehrenamtlichen Mitarbeitern betrieben wird, ist die Plattform Airbnb zur professionellen Vermietung von Apartments und Häusern übergegangen.

Doch das Share-Economy-Unternehmen geriet zunehmen in Kritik: Denn Teilen statt Kaufen, sharing statt buying, ist schon lange nicht mehr Hauptthema von Airbnb. Der Aufstieg der Plattform ist zwar offensichtlich, doch entsprechend ist diese Art der Unterkunftsvermittlung der klassischen Hotellerie ein Dorn im Auge. Für Axel Jockwer steht fest: „Reglementierungen und Pflichten (Meldepflicht, Brandschutz, Versicherungen, Steuern) scheinen nicht für alle zu gelten, darüber sind die Hoteliers sauer. Und dann gibt es noch schwarze Schafe, die lieber per Airbnb auf teurer Tagesbasis vermieten als einen festen Mieter zu nehmen.“ Trotzdem: Das Angebot ist nicht nur erfolgreich, sondern eine wirkliche Alternative zum tristen Hotelzimmer. Für Jockwer muss die Hotellerie ihre Leistungen entsprechend verändern und zuspitzen, um konkurrenzfähig bleiben zu können – zumindest im Sektor der individuellen Reisegestaltung.

Den Kunden abholen, egal wo

Konkurrenzfähig und erfolgreich möchten auch die Qaribu-Erfinder Oliver Köhlenbeck und Johannes Hebbelmann werden. Sie fragten sich: Was passiert, wenn Freunde aus unterschiedlichen Ländern zusammen Urlaub machen wollen? Dafür gibt es nun ihre Seite „Qaribu – the Social-Travel Agency“. Das Start-up macht Urlaubsplanung stressfrei. Hierbei handelt es sich um ein digitales Planungstool, das Reisevorbereitungen simpel und unabhängig vom Standort der Teilnehmer machen soll. Das Herzstück ist das „Travel Desk“, das als Dashboard funktioniert und ein bisschen an eine Google-Timeline erinnert. Dort wird jeder Reiseabschnitt genau verzeichnet, kann hinzugefügt oder einfach wieder gelöscht werden. Programmiert wird in Chile, vermarktet in der Schweiz. Noch ist Qaribu in der Betaphase, eigenen Angaben zufolge nutzen es derzeit rund 1 500 Personen. Ihnen stehen über 110 000 Hotels und 460 Airlines weltweit zur Verfügung; mehr als 2 000 individuelle Trips sind in der Community bereits gespeichert.

Planung und Buchung per Internet sind also gang und gäbe und erschweren den klassischen Reisebüros zunehmend das Geschäft. Für sie gilt: den Onlinebetrieb parallel aufbauen. Denn um möglichst viele Kundengruppen ansprechen zu können, darf die junge Generation nicht vergessen werden. Doch auch die Gruppe der älteren und betuchten Urlauber wird größer, und diese buchen im Reisebüro. So müssen stationäre Büros und das Web weiter zusammenwachsen, um den künftigen wirtschaftlichen Erfolg des Reisevertriebs zu gewährleisten. Berater werden tendenziell gerne aufgesucht, um sich eine Meinung zu einem Reiseziel oder einem Hotel einzuholen. Am Ende zählt nur der Kunde. Und der muss schließlich nur dort abgeholt werden, wo er sich gerade aufhält – egal ob online oder offline – beim Couchsurfen oder im Reisebüro.