Der Aktienkurs fällt, Analystinnen und Analysten sind enttäuscht. Was ist nur mit Google los? Als der Mutterkonzern Alphabet Anfang Februar seine Zahlen fürs vierte Quartal 2024 veröffentlicht, sind die Nachrichten mit Trauerflor geschmückt. Grund: ein Erwartungscrash. Denn das Unternehmen machte zwischen Oktober und Dezember letzten Jahres einen ansehnlichen Umsatz von 96,5 Milliarden Dollar, mithin 12 Prozent mehr als in Q4/2023. „Nur“ 12 Prozent, um genau zu sein. Schließlich lag das Alphabet-Plus im Jahr zuvor bei: 13 Prozent! Nun war der Umsatz mit Werbung und Clouddiensten geringer gestiegen als erwartet. Und da können Börsianer schon mal sauer werden.
Der Konzern gehört zum Giganten-Quintett hinter dem Akronym GAFAM, bestehend aus Alphabet (Google), Amazon, Meta (Facebook), Apple und Microsoft. In kürzester Zeit ist hier eine digitale Weltmacht entstanden, wie ein paar wenige Zahlen zeigen: Meta, wurzelnd im 2004 gegründeten Facebook, hat seinen Umsatz zwischen 2018 und 2024 auf 164,5 Milliarden US-Dollar verdreifacht – bei einem Gewinn von zuletzt 62,4 Milliarden Dollar, das ergibt eine Marge von 38 Prozent. Alphabet mit der 1998 gegründeten Kernmarke Google hat seine Erlöse im Vergleich zum Jahr 2020 nahezu verdoppelt auf 350 Milliarden US-Dollar und ein Ergebnis von 100 Milliarden Dollar erzielt (Rendite: rund 29 Prozent).
Zur Einordnung: Zusammen kommen Alphabet und Meta auf einen Umsatz von 515 Milliarden Dollar, das entspricht ziemlich genau dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) Österreichs. Ein Ende der Wachstumsfantasie ist nicht abzusehen, darauf deuten die Börsenkurse der Digitalriesen hin. So stand die Marktkapitalisierung von Alphabet Anfang Februar dieses Jahres bei 2,54 Billionen Dollar, Meta notierte bei 1,78 Billionen Dollar.
Hier Monopole, dort Friedhöfe
Gute Geschäfte, satte Renditen, wuchtiges Wachstum sind per se kein Grund zur Sorge. Bei den Digitalriesen ist das – inzwischen – anders. Denn ihr Agieren ist ursächlich dafür, dass das heutige Internet von zwei Erscheinungsformen bestimmt wird: vom „Monopol der Plattformen“ und dem großen kleinen Rest – dem „Friedhof“, wie Martin Andree es nennt. Der habilitierte Medienwissenschaftler, lange Zeit auch für das digitale Marketing bei Henkel zuständig, hat gemeinsam mit dem Datenanalysten Timo Thomsen das Internet kartografiert und im „Atlas der digitalen Welt“ anschaulich gemacht. Dazu analysierten die Forscher das Nutzungsverhalten von 16.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland, die mehr als 130.000 Online-Angebote aufriefen und viele Milliarden Impressions erzeugten. In dieser Form eine bislang einzigartige Vermessung der Onlinewelt.

Das Ergebnis, kurzgefasst: Die Top 100 Websites und Apps vereinen rund drei Viertel des Traffics auf sich. Websites von Zeitungen und Sendern, hunderttausende Institutionswebsites, Blogs, Enzyklopädien und der ganze Rest liegen laut Andree praktisch brach. „Die Big-Tech-Konzerne kontrollieren die politische Öffentlichkeit in den digitalen Medien ganz einfach durch die riesige Konzentration des Traffics in ihren Plattformen. Durch Netzwerkeffekte und andere Tricks und Kniffe haben sie unabhängige Anbieter im Netz weitgehend von Traffic und Nutzung sozusagen trockengelegt – das hat unsere Grundlagenforschung bis ins letzte Pixel offengelegt“, erklärt der Experte, der nach der Publikation des „Atlas“ weitergeforscht und die Folgen der Entwicklung im 2023 erschienenen Buch „Big Tech muss weg“ detailliert beschrieben hat.
Freie Natur des Internets zerstört
Dem ursprünglichen Internet ist eine freiheitliche DNA eigen, gewährleistet durch offene Standards wie das „Internet Protocol“ (IP), das die IP-Adressen strukturiert, das „Transmission Control Protocol“, das den Prozess des Datenaustauschs regelt, oder die Hypertext Markup Language (HTML) als Format für die Webinhalte des Browsers. Diese freie Natur des Internets, schreibt Andree in „Big Tech muss weg“, sei nach der Jahrtausendwende durch die Entstehung neuer Plattformen frontal angegriffen und zerstört worden. „Die Logik war ebenso schlau wie hinterhältig: Wie wäre es, wenn man Plattformen mit massiven, unwiderstehlichen Netzwerkeffekten über die Knotenpunkte des World Wide Web bauen würde und den Traffic aus dem demokratischen Netz heraus nach oben, in die Traffic-Silos dieser Plattformen absaugen würde?“ Andree nennt das, was passiert ist, „buchstäblich um eine feindliche Übernahme des Internets – Übernahme, weil sich diese neuen Medien über das alte freie Netz legten.“
Das Prinzip der Plattformen und die Geschwindigkeit, mit der sie wachsen, gibt ihnen Macht, die Strukturen des öffentlichen Diskurses zu gestalten, sagt Andree. „Das merken wir an der Zunahme von Hass, Hetze und Häme, aber auch an der zunehmenden Polarisierung. Wir haben als Gesellschaft selbst keinen gestaltenden Einfluss mehr auf die Struktur der Öffentlichkeit als Grundlage unserer Demokratie – und genau deshalb kann man diesen Verlust an digitaler Souveränität gar nicht dramatisch genug einschätzen.“
Experte: „Marken zahlen die Zeche“
Amazon, Google & Co. haben faktische Monopole geschaffen. Und die Nutzerinnen und Nutzer haben zwei Optionen, die beide tückisch sind: Entweder sie gehen dahin, wo der Traffic ist, also in die Plattformen, „dann arbeitet man in der Regel gratis für die Tech-Konzerne.“ Das sei übrigens auch für Produkthersteller so. Laut einer Studie der Beratung Oliver Wyman verdienen etwa ein Drittel aller Hersteller kein Geld mehr auf Amazon, weil die Konditionen unter monopolistischen Bedingungen so schlecht seien. Wer nun feststelle, dass er dieses Spiel nicht gewinnen kann und versuche, sich selbst durch unabhängige Präsenzen auf eigener Domain durchzuschlagen, „merkt schnell, dass er damit in dem riesigen Friedhof landet, der durch die Tech-Monopole und Oligopole weitgehend von Traffic und Nutzung leergefegt wurde“, so Andree.
Sein Fazit: „Die Marken zahlen am Ende die Zeche.“ Durch die Monopolisierung haben sie auf eigenen Domains kaum eine Chance: Content Marketing funktioniert immer weniger, die Tech-Konzerne können die Preise für Werbung manipulieren und diktieren. „In einem zukünftigen, digitalen Funnel sind alle Zugänge zu Transaktionen auf jeder Stufe des Funnels durch Tech-Monopole und Oligopole versperrt. Was soll ein Media-Planer denn im unteren Funnel als Alternative zu Google Search Ads buchen?“, erläutert der Medienwissenschaftler. Globale Markenkonzerne haben in den letzten Jahren viele Milliarden Euro in eigene digitale Ansätze, Lösungen und D2C-Akquisitionen gesteckt. „Mein Lieblingsbeispiel ist Unilevers Übernahme von ,Dollar Shave Club‘ – eine Katastrophe. Ich sehe nirgendwo erfolgreiche Best Practices“, resümiert Martin Andree, der selbst Digital-Unternehmer (AMP Digital Ventures) ist.
Der Kipppunkt ist erreicht
Die Höhe der Werbeausgaben sieht er als aussagekräftigen Indikator für die relative Bedeutung der verschiedenen Kanäle. Der Befund sei eindeutig: Der Kipppunkt lässt sich auf die Jahre 2020/21 ansetzen. Seither „werden auf digitalen Medien von den werbetreibenden Unternehmen mehr Investitionen getätigt als in allen anderen analogen Medien zusammengenommen“, stellt der Medienprofessor fest. Und es sei davon ausgehen, dass sich der Vormarsch der digitalen Medien stark beschleunigen wird. „Wir können aus den publizierten Prognosen erkennen, dass sie voraussichtlich im Jahr 2029 drei Viertel aller Werbeinvestitionen bündeln werden.“ Der Anteil der klassischen analogen Medien wird dann auf weniger als 25 Prozent schrumpfen.
Und nun – was tun? „Wir müssen ganz einfach die monopolisierten Märkte öffnen“, fordert Andree. So wie schon oft in der Vergangenheit, etwa als das Telekommunikationsmonopol aufgebrochen wurde. Welche Maßnahmen es dazu braucht, sei bekannt: Öffnung der Plattformen für Outlinks und Verbot der Abschottung der Plattformen; Durchsetzung offener Standards, die es ermöglichen, Inhalte nahtlos über Plattformgrenzen hinweg zu teilen; Öffnung mono-/oligopolistischer in demokratierelevanten Mediengattungen (Search, Social Media, Gratis-Video-on-Demand) für Drittanbieter. „So können wir schnell die Monopolstrukturen abbauen und faire Zugangschancen ermöglichen“, sagt Andree.
Im Buch skizziert er „eine europäische Befreiung des Internets, die eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik überall in der westlichen Welt auslösen würde. Seine Prognose: „Die digitale Transformation wird den Wachstumsturbo einlegen“ und alle würden daran partizipieren, von Bloggerinnen und Creatoren über Redaktionen bis zu Künstlern, Start-ups und Politikerinnen.